Klinische Pharmazie

Medication Therapy Management (MTM) – Modell für Deutschland?

Was uns die Entwicklungen in den USA lehren

Von Monika Alter, Paul Doering und Hartmut Derendorf

Stellen Sie sich vor, Sie beginnen gerade einen neuen Arbeitstag. Sie betreten die Apotheke, doch begeben sich nicht hinter den Verkaufstisch. Sie gehen stattdessen in Ihr Beratungszimmer; Ihr Patient wartet dort bereits. Auf dem Tisch liegt ein Haufen Medikamente: frei verkäufliche wie verschreibungspflichtige, pflanzliche Produkte und Nahrungsergänzungsmittel. Das alles hat der Patient mitgebracht, er sollte schließlich alles einpacken, was er gerade so einnimmt. Sie schließen die Tür und atmen tief durch. Für die nächsten 60 Minuten gehört Ihre Aufmerksamkeit ganz dem Patienten: allen Erkrankungen, der gesamten Medikation sowie allen Problemen, die sich dadurch auftun. Nach einer Stunde verlässt der Patient sichtlich erfreut Ihre Apotheke; nie hat sich jemand so viel Zeit für ihn genommen und alle Fragen so genau erklärt. Sie atmen auf und begeben sich an Ihren Computer. Sie stellen eine Kostenrechnung für dieses Beratungsgespräch auf, die Sie noch am gleichen Tag der Krankenkasse zur Abrechnung zufaxen.

Dieses Szenario – ein Patientengespräch an dessen Ende der Apotheker von der Krankenkasse durch entsprechende Vergütung entlohnt wird – ist nicht nur irgendein Traum, der dem Wunschdenken des AMNOG- und Pick-up-geplagten Apothekers in Deutschland entspringt. Bereits jetzt ist dieses Bild Teil eines Programmes, welches unter dem Namen "Medication Therapy Management" seit einigen Jahren erfolgreich in den USA angewendet wird. Der dabei entstehende Nutzen – klinisch, ökonomisch und menschlich – trägt

dazu bei, dass immer mehr Kostenträger in Amerika die Erstattung dieser Beratungsleistung in ihren Leistungskatalog aufnehmen.

Bezahlung für erfolgreiche Beratung: Zukunft für Deutschlands Apotheken?

Kurz zusammengefasst definiert sich Medication Therapy Management, kurz MTM, als "[…] ein Programm des Arzneimitteltherapie-Managements, welches von einem Apotheker ausgeführt werden kann und das dazu

Apothekenketten haben viele traditionsreiche alte Apotheken in den USA verdrängt. Fremdbesitzverbot war und ist in den USA ein Fremdwort. Das hat den Druck erhöht, den Beruf des Pharmazeuten an neue Entwicklungen anzupassen.
Fotos: Peter Ditzel, Doris Uhl

bestimmt ist, die korrekte Anwendung verschriebener Arzneimittel unter Berücksichtigung der angestrebten Therapieziele sicherzustellen, den Therapieerfolg durch verbesserte Arzneimitteleinnahme zu optimieren, sowie das Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, inklusive Interaktionen, zu minimieren."

Von der ursprünglichen Idee über die Formulierung konkreter Richtlinien bis hin zur Erstattung durch die Krankenkassen war es jedoch ein langer Weg, den die Pharmazie in den USA durchlaufen musste. In manchen Punkten erinnert diese Entwicklung auch an den Prozess, den die deutsche Apothekerschaft mit einiger Verspätung gerade durchmacht. Die zentrale Frage ist somit: woraus können wir lernen?

Ketten zwangen US-Apotheker zum Umdenken

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges änderte sich mit der Industrialisierung des Arzneimittelmarktes das Tätigkeitsfeld des Apothekers dramatisch. Standen zuvor noch maßgeblich Entwicklung, Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln im Vordergrund, konnte durch den anhaltenden medizinischen Fortschritt und die immer weiter steigende Komplexität von Arzneistoffen und Wirkweisen der Trend weg von der Individualrezeptur und hin zum Fertigarzneimittel nicht mehr aufgehalten werden. Diese Entwicklung stürzte den Beruf des Apothekers in eine tiefe Sinnkrise. Maschinen und zentral agierende Pharmakonzerne ersetzten die zuvor noch einzigartige Fähigkeit der Arzneimittelfertigung durch den Apotheker, wodurch dessen Kernkompetenz zusammen mit seiner Identität verloren ging. Diese Veränderung traf die amerikanischen Apotheker noch drastischer, da sich seit den 1930er Jahren auch die Apothekenketten immer stärker ausbreiteten und im Kampf um Standort und Preis die private Apotheke weiter in den Hintergrund drängten. Fremdbesitzverbot? Gab es in den USA noch nie.

Die reine Beschränkung des Pharmazieberufs auf das fertige Produkt war nicht mehr wettbewerbsfähig und nach einer langen Phase der ‚no-identity‘ die Neuausrichtung des Tätigkeitsfeldes die Konsequenz. Es begann eine stärker patientenorientierte Annäherung an das Arzneimittel, die den Apotheker aus seiner Position "hinter dem Tresen" nach vorne, "over the counter", also über den Tresen, direkt zum Patienten, holen sollte.

In diesem Zusammenhang war die Entwicklung der "Klinischen Pharmazie" als zusätzliche pharmazeutische Disziplin eine der wichtigsten Neuerungen und führte letztlich auch dazu, dass der Beruf des Apothekers einen neuen Charakter annahm.

Die Eingliederung dieses neuen Fachgebiets nahm insbesondere in den 1960er Jahren immer mehr Gestalt an. Auch wenn es erste Versuche, die Berufsausrichtung und vor allem die pharmazeutische Ausbildung patientenbezogener zu gestalten, an der Universität Washington in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren schon gab, so scheiterten diese jedoch regelmäßig am Protest von Kollegen mit traditionellerer Berufsauffassung. Erst als eine Gruppe von Krankenhausapothekern in den 1960er Jahren erneut den weiteren Fortschritt voranzutreiben begann, fand der Begriff "Klinische Pharmazie" auch erstmals in der Literatur Erwähnung.

Klinische Pharmazie: 40 Jahre kontinuierliche Weiterentwicklung

Bei genauerer Betrachtung bedeutet das, dass zwischen den ersten formulierten Gedanken und der routinemäßigen Lehre und Anwendung an Universität bzw. im Öffentlichen Gesundheitswesen heute über 40 Jahre kontinuierlicher Weiterentwicklung liegen. Diesen reichen Erfahrungsschatz können wir uns heute zunutze machen um uns in einer veränderten Umgebung selbst nach vorne zu bewegen.

Klinische Pharmazie widmet sich maßgeblich der Kommunikation arzneimittelbezogener Informationen allgemein und der Anwendung von Arzneimitteln am Patienten im Speziellen und beschreibt somit das Tätigkeitsfeld des Apothekers in der öffentlichen Apotheke und dem Krankenhaus, wie es in Deutschland bereits heute in einigen Punkten der Realität entspricht. Die Philosophie der sicheren und zweckmäßigen Arzneimittelanwendung am Patienten galt damals jedoch noch zu Recht als revolutionär, forderte sie doch die Abkehr von der produktorientiert ausgerichteten Berufsausübung, bei der das Augenmerk pharmazeutischer Arbeit auf dem Arzneimittel als angebotene Ware liegt, hin zu Fachwissen als Gut, d. h. nichts anderes als die Beratung aller im Gesundheitswesen Beteiligten: Patienten, Ärzte, Pflegepersonal und anderer Gesundheitsdienstleister, sowie die Versorgung mit arzneimittelrelevantem Know-how, welches bei immer mehr Arzneistoffen die immer potenter wirken und somit auch immer mehr Risiken bergen, mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Das notwendige Faktenwissen, das für eine erfolgreiche Verordnung oder Therapie meist notwendig ist, und das oftmals schwer zugänglich oder praxisuntauglich formuliert ist, kann aus Zeit- und Kostendruck vom Arzt selbst normalerweise nicht mehr für den Patienten individuell aufgearbeitet werden oder wird nicht selten ganz außer Acht gelassen. Umso wichtiger ist also ein Kompetenzpartner, der die nötigen Inhalte kurz und knapp präsentiert.

MTM-Konzept – Teil der Gesamtidee

Als Teil dieser Gesamtidee kann schließlich das Konzept des Medication Therapy Managements verstanden werden, bei dem dieses Fachwissen und das Bereitstellen davon zum Wohle des Patienten schließlich auch noch finanziell honoriert wird.

Doch was bringt die finanzielle Vergütung pharmazeutischer Beratung?

1 Dollar für Arzneimittel, 1 Dollar für Nebenwirkungstherapie

Arzneimittelbezogene Probleme machen heute keinen unerheblichen Teil der Schwierigkeiten in unserem Gesundheitssystem aus. Seit Längerem schon ist bekannt, dass die Ausgaben für Arzneimittel einen großen Teil der Gesamtkosten ausmachen. Allein in den USA ist der Aufwand für Medikamente zwischen 1998 und 2002 um 106% gestiegen. Bei einem Blick in die Zahlen wird dabei immer stärker erkennbar, dass mittlerweile für jeden Dollar, der in Arzneimittel investiert wird, ein weiterer Dollar für die Behandlung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufgewendet werden muss.

Schätzungen zufolge ereignen sich allein in Amerika jedes Jahr rund 1,5 Millionen vermeidbare und durch Arzneimittel ausgelöste Vorfälle mit unterschiedlichem Ausgang, die Kosten im Bereich von 177 Milliarden Dollar verursachen – aufgrund von weiterer Krankheit oder sogar Tod. In einer prospektiven Studie über zwölf Wochen in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Vancouver konnte unter 1067 Patienten sogar gezeigt werden, dass 12% aller Besuche auf ein Arzneimittel zurückzuführen waren und davon 68% vermeidbar gewesen wären (Interaktionen, Unterdosierung, Überdosierung, falsche Arzneimittel-Auswahl, Non-Compliance etc.).

Kostensenkung durch MTM

Das Medication Therapy Management bietet der öffentlichen Apotheke die Möglichkeit, durch die fachgerechte Betreuung von Patienten in Kooperation mit den behandelnden Ärzten, einen wichtigen Beitrag zur Kostensenkung zu leisten. Der Apotheker wird stärker in die Behandlung des Patienten mit eingebunden und zu einem verantwortungsvollen Partner im Gesundheitsteam, der auch stets die Kosten im Blick hat.

Patienten benötigen dabei oftmals mehr Hilfe im Zusammenhang mit ihrer Arzneimitteltherapie als ihnen bisher weitgehend zugestanden wird. Mangelndes Verständnis für die eigene Krankheit oder die Therapie, Vergesslichkeit im Alter, oder schlicht die Überforderung mit den Arzneimitteln – ein älterer Patient nimmt in der Regel fünf Medikamente und mehr im Monat ein – führen zu fatalen Folgen, nicht nur für den Patienten selbst, sondern auch für das gesamte System, nicht zuletzt auch aus ökonomischer Sicht.


Foto: DAZ/Schelbert
Zu kurz. Eine gewöhnliche Beratung dauert meist unter fünf Minuten, Diese Zeit reicht gerade für die wichtigsten Hinweise zu dem verordneten Medikament. Einen Überblick über die gesamte Medikation kann man in dieser Zeit nicht gewinnen.

Gewöhnliches Beratungsgespräch

Bei einem gewöhnlichen Beratungsgespräch im Zusammenhang mit der Einlösung eines Rezeptes, welches – nach Abziehen der Zeit, die für Formalien benötigt wird – meistens unter 5 Min. dauert, können wichtige Informationen zur Therapie oft nur unzureichend weitergegeben werden, auch weil die Aufmerksamkeit des Patienten und die Lust am interaktiven Gespräch zu diesem Zeitpunkt, in der Regel am Ende des Verkaufsvorganges, bereits einen Tiefpunkt erreicht haben. Die Beratung erfolgt oft zweckmäßig, d. h. wichtigste Hinweise zu einem ganz bestimmten Medikament (welches der Patient kauft oder verschrieben bekommt) werden in Kürze weitergegeben oder es werden gezielte Fragen des Patienten beantwortet. Zudem fehlt oft der Überblick über die gesamte Medikation eines Patienten, welche auch rezeptfreie, nicht apothekenpflichtige Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel miteinschließt. Oft können die Patienten selbst dabei nicht die notwendigen Informationen liefern, da sie nicht immer mit dem Grund für die Tabletteneinnahme vertraut sind oder Produkte und Namen verwechseln oder vergessen oder im kurzen Beratungsgespräch für nicht erwähnenswert halten.

… und MTM-Service-Beratung

Ein wichtiger Unterschied zwischen der Beratung, die der Medication Therapy Management Service somit im Vergleich mit dem "gewöhnlichen" Verkaufsgespräch bietet, ist die Beratungszeit, der Zweck des Gesprächs (Informationen zu einem Arzneimittel vs. Informationen zu allen eingenommenen Arzneimitteln), die Bezahlung der Beratung, eine adäquate Dokumentation und schließlich auch die Resultate für den Patienten: besseres Verständnis für Krankheit sowie Sinn und Zweck der Therapie, Abbau von Ängsten und Vorurteilen gegenüber bestimmten Arzneimittelgruppen (z. B. Cortisonen, Antibiotika) oder Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen, die die Compliance beeinträchtigen könnten. Auch die Entscheidung über den Umgang mit Nebenwirkungen – Therapie ändern oder einfache Gegenmaßnahmen ergreifen – sollte stets dem Fachmann überlassen werden. Der Patient soll geschult werden, um mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen zu können, ohne dabei auf unseriöse Informationsquellen wie aus dem Internet angewiesen zu sein.

Vergütung ist Anreiz für patientenorientiertes Vorgehen

Da die Beratung als eigenständige Leistung dabei vergütet wird, besteht auch der Anreiz für den Apotheker, rein patientenorientiert zu handeln und ökonomische Aspekte in den Hintergrund zu stellen, da man auch dann bezahlt wird, wenn man dem Patienten beispielsweise vom Kauf eines bestimmten Präparats abrät. Die Beratung endet nicht nach dem erfolgreichen Verkauf eines pharmazeutischen Produktes, sondern bietet dem öffentlichen Apotheker darüber hinaus die Chance, sich als Gesundheitsdienstleister zu profilieren und eine einzigartige Position im Gesundheitswesen einzunehmen.

Medicare Part D ebnete den Weg

In den USA erfolgte die Vergütung zunächst für Empfänger staatlicher Gesundheitsleistungen, konkret für Bezieher des sogenannten Medicare Part D. Medicare ist eine öffentliche Krankenversicherung für ältere Menschen ab 65 Jahren oder Patienten mit einer anerkannten Behinderung oder akutem Nierenversagen, welches dauerhafte Dialyse oder Nierentransplantation erforderlich macht. Part D steht dabei für die Leistung von Medicare, Kosten für Arzneimittel ganz oder teilweise zu übernehmen. Mit dem sogenannten Medicare Modernization Act wurde im Jahre 2003 festgelegt, dass Bezieher des Medicare Part D unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf den Medication Therapy Management Service haben als "[…] ein Programm eines Arzneimitteltherapie-Managements, welches von einem Apotheker eingerichtet werden kann und das sicherstellt, dass Arzneimittel, die durch Medicare Part D abgedeckt werden, in Hinblick auf das gewünschte Therapieziel richtig angewendet werden, um das Resultat der Behandlung durch verbesserte Arzneimitteleinnahme zu optimieren und das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen inklusive unerwünschter Arzneimittelinteraktionen zu minimieren".

Im Gesetzestext nur den Apotheker als mögliche Berufsgruppe zur Ausführung von MTM zu nennen betont dabei vor allem: wer sonst sollte besser für diese Aufgabe geeignet sein?

Zahlen aus Deutschland belegen die besondere Stellung des Apothekers im Gesundheitswesen: 87% der Bundesbürger haben hohes Vertrauen in die Apotheker, und 65% der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gehen bei kleineren gesundheitlichen Beschwerden zuerst in die Apotheke anstatt zum Arzt. Das gute Image des Apothekers in der Bevölkerung wird genutzt, denn das starke Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Apotheker stellt eine wichtige Voraussetzung zur Umsetzung eines funktionierenden Arzneimittel- Therapiemanagements dar.

Und so stellte diese Gesetzesänderung in den USA letztlich die Weichen für die offizielle Vergütung des Medication Therapy Managements und ermöglichte dessen Weiterentwicklung, sodass es heute einen wichtigen Bestandteil des Apothekenalltags in den USA darstellt.

Als Reaktion auf diese gesetzlich geforderte Beratungsleistung, welche die Apotheker für sich beanspruchten, wurde im Jahre 2004 von der American Pharmacist Association zusammen mit zehn weiteren Apothekerverbänden ein Leitfaden mit einer detaillierten Definition des Medication Therapy Managements herausgegeben, um die Qualität des Service sicherzustellen und ein allgemeingültiges MTM Modell amerikaweit zu implementieren. Damit begann auch der Aufstieg des MTM nicht nur als einzigartiges Vorbild was die Arzneimittelberatung anbelangt, MTM gewann auch als Geschäftsmodell immer mehr an Bedeutung für die gesamte Apothekerschaft.

MTM-Vergütungsmodelle

Zweck der gesetzlichen Verankerung von MTM im Medicare Modernization Act war auf der einen Seite der Gedanke, durch eine Verbesserung der Therapie die Kosten pro Versichertem/pro Monat zu reduzieren. Auf der anderen Seite stand das Konzept, den Arzneimitteltherapiemanagement- Service nur für Mitglieder mit besonders hohen Gesundheitsausgaben zuzulassen, da diese am meisten von einer Therapieoptimierung profitieren könnten und die Kosten dadurch am stärksten gesenkt werden würden. Momentan qualifizieren sich daher Patienten für das Arzneimitteltherapie- Management, auf die folgende Kriterien zutreffen:

  • mehrere chronische Leiden,

  • Einnahme von mehreren über Medicare Part D erstatteten Arzneimitteln,

  • Verursachung von jährlichen Gesundheitskosten über 4000 $.

Die konkrete Bezahlung von Beratung für den Einzelfall macht hierbei den kritischsten Teil von MTM als Geschäftsmodell aus – für die Anbieter des MTM Services muss die Erstattung hoch genug sein, um genug Anreiz zur Umsetzung zu schaffen, für die Kostenträger so gering wie möglich, um die Einsparungen groß genug werden zu lassen.

Es gibt verschiedene Vergütungsmodelle die heute angewendet werden. Insbesondere seit immer mehr private Versicherungen das Arzneimitteltherapie-Management in ihren Leistungskatalog aufnehmen und die Kriterien für den Anspruch darauf immer geringer werden, hat sich die Landschaft der Vergütungsformen stark verändert, und sie wird sich auch in Zukunft noch weiter entwickeln.

In den meisten Fällen handelt es sich bei den angewendeten Konzepten um Variationen des sog. Fee-for-Service, d. h. dass eine festgelegte Gebühr für eine festgelegte und erbrachte Leistung erstattet wird, beispielsweise für ein erstes Beratungsgespräch oder für einen Folgetermin. Oftmals wird dabei die gesamte Institution, d. h. die Apotheke, die MTM anbietet, bezahlt, es kann jedoch auch eine direkte Vergütung des einzelnen Apothekers erfolgen.

Weitere Informationen zur Höhe der momentan üblichen Erstattung finden sich unter www.accp.com/docs/positions/commentaries/mtms.pdf sowie unter www.getoutcomes.com

Herausforderung Vielfältigkeit

Eine weitere Herausforderung liegt in der Vielfältigkeit des MTM-Angebots. Von einer kurzen Durchsicht aller Arzneimittel, die die Rezepteinlösung begleitet, über das regelmäßige Messen und Dokumentieren von Blut- und Laborparametern bis hin zu intensiven und krankheitsspezifischen direkten Patientengesprächen kann das Arzneimitteltherapie-Management alles einschließen. Verschiedene Intensitäten von Aufwand und Leistung müssen einheitlich definiert und kategorisiert werden und eine jeweils angemessene Bezahlung erfolgen. Auch ist eine erste Durchsicht aller Medikamente für einen neuen Patienten aufwendiger als ein routinemäßiger Folgebesuch, und es muss differenziert vergütet werden.

Hürde vorübergehende Kostensteigerung

Aus Sicht der Kostenträger ist die größte Hürde wohl zunächst, dass nach Einführen eines Arzneimitteltherapie-Management-Programmes die Kosten zuerst steigen, bevor sie unter den Ausgangswert sinken. Der Nutzen, der durch die intensivierte Beratung entsteht, ist dabei vor allem langfristig zu sehen und macht sich nicht unmittelbar finanziell bemerkbar. Das Einsparpotenzial wird als Gesamtbild sichtbar, weniger an einzelnen Parametern oder Posten. Als vergleichbares Beispiel dient das Prinzip der Impfung: Zunächst steigen die Aufwendungen für Arzneimittel, während Behandlungskosten für nicht aufgetretene Erkrankungen insgesamt gesehen sinken, was Arztbesuche, Klinikaufenthalte, Medikamente und ausgebliebene Folgeschäden miteinschließt.

Die Integration dieses speziellen Beratungsangebotes sollte dabei auch von der Ärzteschaft positiv unterstützt werden. Es geht für den Apotheker nicht darum, in Konkurrenz um Fachwissen mit dem Arzt zu treten. Wünschenswerter ist eine gegenseitige Anerkennung von Kompetenzen, die in keinster Weise in Widerspruch zueinander stehen, sondern die sich zum Wohle des Patienten gegenseitig ergänzen und verstärken können. Die Anforderungen an den Arzt steigen immer mehr und es wird immer schwieriger bei steigendem Kostendruck den Überblick über den Vorteil und Nutzen neuer Therapierichtungen zu behalten. Ist ein neues Arzneimittelkonzept nur teurer oder auch tatsächlich besser? Kann ich mit einer günstigeren Alternative das gleiche Therapieergebnis erzielen? Das sind wohl nur einige der Fragen, mit denen sich viele Ärzte im Zuge ihres Alltags aus Patientengespräch und Budgetplanung auseinandersetzen. An dieser Stelle kann der Apotheker unterstützend wirken, indem er die Arzneimitteleinnahme nach Einlösung des Rezeptes überwacht, Konzepte zur unterstützenden, nichtmedikamentösen Therapie mit dem Patienten bespricht, implementiert und in Folgeterminen überprüft, und indem er Zugang zu allen Verschreibungen eines Patienten hat, um zum Beispiel Doppelverschreibungen aufzudecken. Gerade letzter Punkt dürfte wichtig sein, da die Patienten größtenteils ihre Ärzte nicht auf dem Laufenden halten, welche anderen Arzneimittel sie von anderen Ärzten verschrieben bekommen haben oder welche OTC Medikamente sie warum einnehmen. Die Gefahr, dass Wechselwirkungen eine Therapie unwirksam machen oder sogar schwere Nebenwirkungen hervorrufen, steigt und ist, wie Daten zeigen, erstaunlich hoch. Aufzeichnungen des Medication Therapy Management Centers der University of Florida in Gainesville liefern hierbei konkrete Zahlen:

In 1490 Patientenfällen, die auf Grundlage von Versicherungsdaten im Zeitraum von neun Monaten im Rahmen von Patientengesprächen bearbeitet wurden, konnten

  • 1782 Interaktionen,

  • 1332 Lücken in der Arzneimittelversorgung (z. B. unbehandelte Patientenleiden),

  • 592 Fälle von nicht adäquater Dosierung,

  • 693 Fälle von ungenügender Arzneimittelversorgung (z. B. Erkrankungen, bei denen die momentane Behandlung nicht ausreicht) und

  • 350 Compliance-Probleme

gefunden und anschließend zusammen mit dem Arzt und dem Patienten gelöst werden. In 942 Fällen konnte dabei eine signifikante Reduktion von Arzneimittelkosten erzielt werden. In 6304 Fällen erfolgte eine vom Patienten gewünschte Beratung und Aufklärung über Krankheit und Medikation, d. h. dass sich jeder Patient im Durchschnitt zu vier verschiedenen Themen Informationen bzw. Erklärungen wünschte.


Foto: Department of Pharmacy, Florida
Mehr als Naturwissenschaft In Zukunft werden für einen guten Pharmazeuten andere Fertigkeiten immer wichtiger, so beispielsweise die Kommunikationskompetenz und die Empathiefähigkeit.

Motivation, Mut zur Veränderung und bessere Ausbildung

Stellt sich für den Apotheker letztlich nur noch eine entscheidende Frage: Wie können wir diesen Service, der zum Nutzen aller beitragen kann, anbieten? Beratung auf solch hohem Niveau, insbesondere für ältere, multimorbide Patienten unter Polypharmazie, verlangt noch tieferes und besseres Wissen von uns Apothekern, als das bisher der Fall war.

Neben der eigenen Motivation und dem Mut zur Veränderung wird die Frage aufkommen müssen, was an der Ausbildung verbessert werden kann, um Studenten besser auf die Arbeit als Arzneimittelfachmann vorzubereiten. Schon jetzt ist das praktische Jahr nicht mehr ausreichend, um das Wissensdefizit zwischen Studium und Praxis zu schließen. Die momentane Hochschulausbildung, die den naturwissenschaftlichen Aspekt der Pharmazie in den Vordergrund stellt, ist nicht ausreichend, um anwendungsbezogene Kenntnisse und Qualifikationen im Zusammenhang mit der Anwendung von Arzneistoffen zu vermitteln. Pharmazie ist eben nicht nur Naturwissenschaft, sondern integriert diese mit medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Aspekten. In Zukunft werden daher andere Fertigkeiten immer wichtiger, beispielsweise Kommunikationskompetenz und Empathiefähigkeit: wie gehe ich mit sensiblen Patientendaten um? Wie kann ich Informationen vom Patienten direkt erfragen? Wie spreche ich für den Patienten heikle oder unangenehme Themen an? Wie gebe ich Empfehlungen an den Arzt? Welche Probleme können im Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie für den Patienten auftreten? Schon Kleinigkeiten wie verminderte Sehstärke oder Augenerkrankungen, wie zum Beispiel Makuladegeneration oder grauer Star, können dazu führen, dass das Unterscheiden von Arzneimittelverpackungen oder das Lesen der Gebrauchsinformation nicht mehr möglich sind, während motorische Störungen wie bei Parkinsonpatienten bereits die Entnahme der Tablette aus dem Blister drastisch erschweren und somit Einfluss auf die Compliance haben können. Das Erkennen und das Beheben solcher Schwierigkeiten, über die die Patienten nicht immer von sich aus sprechen, ist ein immer wichtiger werdender Bestandteil bei der Sicherstellung der korrekten Medikamenteneinnahme (s. Kircher, W.: Betreuung älterer Patienten, S. 66 – 75).

Auch Kenntnisse zur evidenzbasierten Weitergabe aktueller Forschungs- und Studienergebnisse werden immer notwendiger, um sich im Informationsdschungel zurechtzufinden und fundiertes Wissen an andere weitergeben zu können. Anhand welcher Kriterien bewerte ich eine Studie? Wie kann die statistische Auswertung ein Studienergebnis beeinflussen? Aufgrund welcher Parameter kann eine Studie letztlich überhaupt eine signifikante Aussage machen? Dass Studie nicht gleich Studie ist und Ergebnis nicht gleich Ergebnis, wird dabei jedem schnell klar.

Als letzter Punkt muss neben pharmakologischem Grundlagenwissen auf molekularer Ebene aber auch die praktische Anwendung von Arzneimitteln mehr in den Blickpunkt rücken. Zusätzlich sollte der Fokus stärker als bisher auf Informationen zu Dosierung, Interaktionen und Nebenwirkungen liegen, die praxisrelevant sind und im Apothekenalltag auftreten können. Schon unterwünschte Arzneimittelwirkungen, die leicht behandelt werden können, wie Mundtrockenheit oder Obstipation, lassen den Patienten seine Tabletten immer öfter vergessen bis er sie schließlich gar nicht mehr einnimmt, und können so den Erfolg einer Arzneimitteltherapie zunichtemachen.

"Enough rebels can bring about a revolution!"

Was bleibt dem aufmerksamen Leser nun nach dieser langen Lektüre?

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich parallel mit dem medizinischen Fortschritt immer neue Möglichkeiten einer verbesserten Arzneimitteltherapie auftun. Das Erkennen dieses Fortschritts als Chance für eine ganze Berufsgruppe und die Eingliederung des Apothekers als Bestandteil eines interdisziplinären Versorgungsteams aus Ärzten und Pflegeberufen wird sowohl aus Kosten- als auch aus Nutzensicht immer wichtiger und dringlicher.

Alle Apotheker sollten diese Entwicklung in Zeiten immer knapperer Kassen begrüßen und vorantreiben. Der Apotheker als Arzneimittelfachmann stellt dabei eine wichtige Grundlage der Gesundheitsversorgung dar, ohne dass andere Berufsbilder aufgrund dieser Entwicklung an Bedeutung verlieren.

In diesem ganzen System des Arzneimitteltherapie-Managements kann es nur Gewinner geben: Der Patient profitiert, indem er eine bessere und intensivere Therapie erfährt. Den Ärzten wird bei der Arzneimittelauswahl kompetent geholfen, und die Behandlungskosten insgesamt werden gesenkt, was den Krankenkassen positiv zugutekommt. Für diese Beratungstätigkeit werden wir als Apotheker vergütet, und unser eigentlicher Job – als geschätzter Arzneimittelfachmann unser Wissen ganz in den Dienst am Patienten zu stellen – rückt wieder stärker in den Fokus unseres Alltags und eröffnet uns neue Freiräume, die wir mit unserer ganzen Leidenschaft für den Beruf füllen können.

MTM ist ein Beispiel dafür, wie die Kompetenz des Pharmazeuten im öffentlich-ambulanten Bereich eingebracht werden kann und zum Nutzen aller – Ärzte, Krankenkassen und Patienten – beiträgt.

"Enough rebels can bring about a revolution" – wenn alle an einem Strang ziehen, können wir einen entscheidenden Schritt in Richtung einer zukunftsweisenden Bereitstellung von Medikamenten gehen. Medizinische Versorgung sollte auch in Zeiten des demografischen Wandels und knapper Kassen sicher, effektiv, patientenorientiert, zeitgemäß und effizient sein und dabei auf die Bedürfnisse des Patienten eingehen. Erst wenn alle Apotheker die gemeinsame Idee einer patientenorientierten Arzneimittelversorgung teilen, können wir einen entscheidenden und wertvollen Beitrag innerhalb unseres gesamten Gesundheitssystems leisten: Therapieergebnisse verbessern und Kosten senken.


Literatur

American Pharmacists Association, National Association of Chain Drug Stores Foundation. "Medication Therapy Management in Pharmacy Practice: Core Elements of an MTM Service Model” Version 2.0 2008.

Jordan L. Cohen "Pharmacy Education in the United States- what lies ahead?” College of Pharmacy, The University of Iowa 2008 J Med Sci 2008;28(3):103 – 110

Gloria N. Francke "Evolvement of Clinical Pharmacy” 2007

Da Vanzo et al. "Medication Therapy Management Services: A Critical Review. Final Report” Prepared for the American Pharmacists Association in 2005

Don E. Francke "The Clinical Pharmacist” 2007

Don E. Francke "Pharmacy’s Direction” 2007

http://www.pharmacist.com/AM/PrinterTemplate.cfm?Section=MTM&Template=/CM/HT

Verena Stahl "Arzneimitteltherapie-(un)sicherheit”. Vortrag Weiterbildungsseminar Klinische Pharmazie, Ostfildern Juni 2010

ABDA – Die Apotheke: Zahlen, Daten, Fakten 2010

Heather Hardin "A Pharmacy Student- Staffed MTM Call Center – 3000 calls and 1000 stories later”. MTM Call Center, UF, College of Pharmacy

Karen Whalen, University of Florida, College of Pharmacy. "Medication Therapy Management (MTM) 101”

Pellegrino et al. "Medication Therapy Management Services- Definitions and Outcomes”, Drugs 2009; 69 (4)

http://www.pharmacist.com/MTM

http://www.medscape.com/viewarticle/406709_2

Affordable Healthcare Act Sec. 10328


Autoren
Monika Alter,
Prof. Paul Doering,
Prof. Dr. Hartmut Derendorf
College of Pharmacy, University of Florida,
Gainesville, FL, USA



Abb: Grundelemente des MTM-Service-Modells Die Grafik verdeutlicht, wie sich die Grundelemente des Medication Therapy Managements in das Konzept der Patientenbetreuung einfügen und gemeinsam das MTM-Service-Modell bilden. [Quelle: American Pharmacists Association, National Association of Chain Drug Stores Foundation. "Medication Therapy Management in Pharmacy Practice: Core Elements of an MTM Service Model” Version 2.0 2008]
Abb: Grundelemente des MTM-Service-Modells Die Grafik verdeutlicht, wie sich die Grundelemente des Medi- cation Therapy Managements in das Konzept der Patientenbetreuung einfügen und gemeinsam das MTM-Service-Mo- dell bilden. [Quelle: American Pharmacists Association, National Association of Chain Drug Stores Foundation. „Medi- cation Therapy Management in Pharmacy Practice: Core Elements of an MTM Service Model” Version 2.0 2008]

Medication Therapy Management in der Praxis

Die fünf Kernelemente des MTM


Seit 2004 gibt es einen Konsens unter elf Pharmazeutischen Organisationen in den USA darüber, wie MTM im Einzelnen aussieht und wie es umgesetzt werden sollte.

Prinzipiell spricht man von insgesamt fünf sog. Grundelementen (Core Elements), die das Fundament eines standardisierten Arzneimitteltherapie-Management Service bilden.

Diese fünf Kernelemente sind:

- das sog. Medication Therapy Review (MTR), d. h. eine Durchsicht und Bewertung der bisherigen Arzneimitteltherapie,

- der sog. Personal Medication Record, d. h. ein persönlicher Medikamentenplan,

- der sog. Medication-Related Action Plan, d. h. ein Arzneimittel-bezogener Handlungsplan,

- Interventionen und/oder Überweisungen an einen Arzt/an andere Gesundheitsdienstleister,

- Dokumentation und Follow-up, d. h. Folgebesuche, die sich an initiale Visiten anschließen.


Allen Grundelementen ist gemeinsam, dass sie die verschiedenen Zielgruppen im Gesundheitswesen gleichermaßen ansprechen sollten und somit unterschiedlich gestaltet werden müssen. Informationen, die sich beispielsweise direkt an den Patienten richten, sollten immer in einer für ihn verständlichen Sprache verfasst sein und das für ihn relevante Wissen enthalten, während Arztgespräche fachlich und sprachlich immer auf Augenhöhe erfolgen sollten.

Die folgenden Abschnitte gehen weiter auf die einzelnen Elemente des Medication Therapy Managements ein.


1. Medication Therapy Review: die Durchsicht der Medikation


Definiert ist diese Durchsicht der Arzneimitteltherapie als "[…] ein systematischer Prozess der Sammlung von patientenspezifischen Daten, der Beurteilung der Therapien um arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen, eine priorisierte Liste mit solchen Problemen anzufertigen sowie einen Plan zur Lösung dieser zu erstellen."

Die Durchführung eines solchen Reviews hat mehrere Vorteile. Es konnte gezeigt werden, dass die Anzahl von Arztbesuchen, Aufenthalten in der Notaufnahme sowie die Anzahl der Krankenhaustage reduziert werden konnten, was insgesamt zu einem Sinken der gesamten Gesundheitskosten führte.

Durch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Apotheker ist dieser hierbei besonders geeignet, relevante Informationen zur Arzneimitteleinnahme direkt vom Patienten einzuholen.

Im Idealfall präsentiert dabei der Patient dem Apotheker seine gesamte Medikation, d. h. alle verschreibungspflichtigen Medikamente ebenso wie apothekenpflichtige oder freiverkäufliche Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel. Zusammen mit den Daten, die von der Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden, kann der Apotheker sich dann einen Überblick verschaffen und relevante Punkte durchgehen. Ist jedes einzelne Medikament, das der Patient einnimmt, klinisch angemessen? Wurde für jedes Arzneimittel, unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen, möglichen Nebenwirkungen oder sonstigen Problemen (z. B. Nieren- oder Lebererkrankungen), die richtige Dosis ausgewählt? Befinden sich unnötige Medikamente oder therapeutische Dopplungen unter den Arzneimitteln? Gibt es bisher unbehandelte Leiden? Können in der bestehenden Arzneimitteltherapie Kosten gesenkt werden? Wie gut ist die Compliance? Wie gut schlägt der Patient auf eine Therapie an? Gibt es insgesamt Fortschritte in der Behandlung?

All das sind potenzielle Fragestellungen, die der Apotheker im Zuge des Reviews durchgehen kann, um so Probleme zu identifizieren und mögliche Lösungen zusammen mit Patienten, Ärzten, Pflegepersonal oder Angehörigen zu erarbeiten.

Der Patient verbessert sein Wissen über seine medikamentöse Therapie und jedes Arzneimittel bzw. Produkt, bestehende Probleme oder Sorgen können gezielt angesprochen werden. Insgesamt wird der Patient dazu ermutigt, seine Arzneimitteltherapie selbst im Blick zu behalten: mit welchen Nahrungsmitteln oder OTC Produkten bestehen Wechselwirkungen? Was sollte ich dem Arzt bei einer neuen Verschreibung immer mitteilen? Welche Risiken bestehen im Zusammenhang mit den eingenommenen Arzneimitteln? Auf welche Anzeichen einer möglichen schweren Nebenwirkung sollte ich achten?

Dieser MTR-Service kann aber auch insbesondere dann hilfreich sein, wenn sich die bisherigen Kranken- oder Pflegebedingungen für den Patienten ändern, zum Beispiel nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder beim Wechsel in eine Pflegeeinrichtung. Er dient somit als zentrale Schnittschnelle, die sicherstellt, dass Informationen nicht verloren gehen und der Patient weiterhin eine auf ihn individuell zugeschnittene und optimale Therapie erhält.

Der medizinische Fortschritt stellt uns vor die Herausforderung, bei immer mehr Arzneimitteln pro Patient den Durchblick zu behalten und diese zum Nutzen für den Patienten einzusetzen, ohne ihm dabei Schaden zuzufügen. Als zusätzliche Instanz, die sich dieser Herausforderung stellt, wirkt das MTR als Bindeglied zwischen allen an der Behandlung Beteiligten und stellt die bestmögliche Arzneimittelanwendung sicher.

Je nach Zweck und Ziel einer MTR-Konsultation können dabei unterschiedliche Inhalte abgedeckt werden. Ein ausführliches Gespräch, in dem demografische Daten, Impfstatus, die Kranken- und Arzneimittelgeschichte sowie der allgemeine Gesundheitszustand erhoben werden, kann ebenso dazugehören wie die Bewertung von Laborergebnissen oder das Eingehen auf kulturelle Besonderheiten, die eventuell eine Anpassung der Arzneimitteltherapie notwendig machen, um die Compliance sicherzustellen.

Für jeden Patienten ist in der MTM-Leitlinie eine jährliche Durchsicht der medikamentösen Therapie durch den Apotheker vorgesehen plus zusätzliche gezielte Treffen, um zum Beispiel bestehende bzw. neue arzneimittelbedingte Probleme anzusprechen, ggf. den Erfolg gefundener Lösungen zu kontrollieren oder auf relevante Änderungen in Bezug auf den Patienten einzugehen, wie im Falle eines Krankenhausaufenthaltes, einem Besuch in der Notaufnahme, einer Veränderung des Gesundheitszustandes, einer Aufnahme oder einer Entlassung aus einer Pflegeeinrichtung oder schlicht Änderungen der bisherigen Arzneimitteltherapie– all das kann eine erneute Durchsicht und Bewertung der Behandlung notwendig machen.

Im Zuge des sog. Affordable Healthcare Act, einem Gesetz, das unter der Obama-Regierung in den USA verabschiedet wurde, folgte man den Empfehlungen der offiziellen Medication-Therapy-Management-Leitlinie und legte gesetzlich fest, dass Empfänger des Medicare Part D, die sich für MTM qualifizieren, mindestens einmal im Jahr Anspruch auf eine solche Bewertung ihrer Arzneimitteltherapie haben, welche von einem Apotheker oder einer gleichfalls qualifizierten Person durchgeführt wird.

Die Bedeutung von MTM insgesamt ist dadurch weiter gestiegen.


2. Personal Medication Record: der persönliche Medikamentenplan


Die formale Definition des persönlichen Medikamentenplans bezeichnet den Personal Medication Record als "[…] eine verständliche Aufzeichnung der gesamten Medikation eines Patienten (inkl. nicht-verschreibungspflichtiger oder freiverkäuflicher Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und pflanzlicher Produkte)".

Diese Aufzeichnung kann, mithilfe eines Apothekers, vom Patienten selbst erstellt werden, oder aber direkt vom Apotheker, oder ein bereits bestehender Medikamentenplan wird aktualisiert. Das Besondere ist, dass sie sich direkt an den Patienten richtet und ihm als eine Art Hilfestellung dient, um die eigene Arzneimitteltherapie kontrollieren zu können. Es ist daher besonders wichtig, dass der Plan in einer dem Patienten angemessenen und verständlichen Sprache verfasst ist. Im Englischen hat sich hierfür der Begriff des sog. "living-room English", zu Deutsch "Wohnzimmer-Englisch", etabliert, der die Art der zu verwendenden Sprache widerspiegeln soll.

Die Aufzeichnung enthält neben Basisinformationen wie Name, Anschrift und Telefonnummer des Patienten, Name und Anschrift des Hausarztes und Kontaktdaten der Apotheke, eine Telefonnummer für Notfälle sowie weitere relevante Informationen für den Patienten wie

  • Allergien (Welche Allergien habe ich? Wie hat sich die Allergie bisher bei mir bemerkbar gemacht? Wie gehe ich beim Auftreten einer Allergie vor?);

  • Arzneimittelbezogene Probleme (Welches Arzneimittel hat das Problem verursacht? Was genau war das Problem? Welche Lösung wurde vereinbart?);

  • potenzielle Patientenfragen (zum Beispiel: Wenn ich ein neues Medikament verschrieben bekomme, frage ich immer meinen Arzt/Apotheker?);

  • das letzte Aktualisierungsdatum.


Darüber hinaus sollten zu jedem Medikament bestimmte Informationen zur Verfügung gestellt werden wie

  • der genaue Name des Arzneimittels (Handelsname und Substanzname)

  • Dosierung
  • Indikation

  • Einnahmehinweise (Wann nehme ich es ein? Wie nehme ich es ein? Etc.)

  • Datum des Einnahmebeginns, ev. Enddatum

  • Kontaktinformationen des verschreibenden Arztes

  • sonstige relevanten Informationen


Im eigenen Interesse sollte der Patient dazu ermutigt werden, dieses fortlaufende Dokument regelmäßig zu erneuern und immer bei sich zu tragen (z. B. in der Brieftasche oder in elektronischer Form), um es bei Arzt- oder Apothekenbesuchen immer vorzeigen zu können, sodass neue Therapien immer auf bereits bestehende angepasst werden können. Jedes Mal wenn sich in der Behandlung des Patienten etwas ändert, kann er selbst, oder idealerweise zusammen mit dem Apotheker, dem Arzt oder sonstigen Gesundheitsdienstleistern, diese Aufzeichnung aktualisieren und so zu jedem Zeitpunkt deren Richtigkeit sicherstellen.

Ein umfassender Interaktionscheck wäre so immer in der Apotheke durchführbar, da man Überblick über die gesamte Medikation eines Patienten hat.


3. Medication-Related Action Plan: der Arzneimittel-bezogene Handlungsplan


Hierbei handelt es sich um "[…] einen Plan, der den Patienten in den Mittelpunkt stellt und Handlungen entwirft, die der Patient im Zuge des Self-Managements durchführen soll". Patient und Apotheker sollen dabei gemeinsam auf die im Plan festgelegten Ziele hinarbeiten und diese erfüllen.

Demzufolge sind nur Handlungen aufgeführt, die der Patient selbst durchführen kann und bei denen der Apotheker helfend zur Seite stehen kann, ohne dass ein Arzt oder ein anderer Gesundheitsdienstleiter notwendig sind. Für den Patienten ist es außerdem eine gute Möglichkeit, die eigenen Fortschritte und Verbesserungen zu dokumentieren. Zusammen mit dem im Zuge des MTM-Programms zunehmenden Wissen des Patienten über seine Erkrankungen und seine medikamentöse Therapie ist der Handlungsplan ein wichtiges Element, den Patienten stärker auf seine Verantwortung gegenüber Erkrankung und Arzneimitteltherapie aufmerksam zu machen. Inhalte, die dabei vermittelt werden sollen, sind neben Basisdaten (Name und Anschrift des Patienten, des Arztes, der Apotheke, Erstelldatum etc.) Aktivitäten, die der Patient selbst ausführen sollte, und wobei ihm der Plan Hilfestellung leistet. "Was ich noch tun muss …", "Was ich bereits getan habe und wann ich es getan habe …" sind mögliche Formulierungen. Regelmäßige Folgetreffen mit dem Apotheker stellen die Pharmazeutische Betreuung hierbei dauerhaft sicher.


4. Interventionen und/oder Überweisungen an einen Arzt


Der Apotheker bietet beratenden Service an und interveniert, um arzneimittelbezogene Probleme anzusprechen bzw. zu lösen; sofern notwendig, empfiehlt er dem Patienten einen Besuch bei einem Arzt oder einem anderen Gesundheitsdienstleister.

Interventionen schließen, wenn notwendig, die Zusammenarbeit mit einem Arzt oder anderen Gesundheitsdienstleistern mit ein oder betreffen die Konsultation mit dem Patienten direkt.

Die Kommunikation mit dem Arzt ist wesentlicher Bestandteil des MTM-Service-Modells und beinhaltet unter anderem eine Beratung zur Auswahl von Arzneimitteln, Vorschläge zur Lösung arzneimittelbezogener Schwierigkeiten oder Empfehlungen zur weiteren Betreuung des Patienten.

Patienten mit bestimmten Beschwerden oder einer besonders komplexen medikamentösen Therapie benötigen zudem oftmals Hilfestellung, die über das MTM-Modell hinaus geht. Der Apotheker kann dann, entsprechend seinen Möglichkeiten, weitere Leistungen anbieten oder aber den Patienten an eine entsprechende Stelle verweisen, zum Beispiel an einen Arzt, wenn bisher nicht abgeklärte Beschwerden vorliegen oder der Patient ein bestimmtes Monitoring für sog. high-risk Wirkstoffe benötigt, wie zum Beispiel Warfarin (bzw. das in Deutschland verwendete Phenprocoumon), Phenytoin oder Methotrexat.

So wird eine fortlaufende und lückenlose Betreuung des Patienten sichergestellt und der Patient ermutigt, Warnsignale des Körpers früher wahrzunehmen und abzuklären, bevor sich daraus ernsthafte gesundheitliche Schäden entwickeln können.


5. Dokumentation und Folgebesuche


Die gesamte Bandbreite an MTM-Services wird in fortlaufender Weise dokumentiert und ein erneuter Folgebesuch wird entsprechend den Bedürfnissen des Patienten festgelegt.

Die Dokumentation ist vielschichtig aufgebaut und erfüllt eine Vielzahl von Aufgaben. Die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker sowie ausgesprochene Empfehlungen und ergriffene Maßnahmen werden festgehalten. Die Kontinuität der Patientenversorgung durch alle Instanzen hinweg wird gefördert. Die Dokumentation bietet Schutz bei Haftungsfragen und ermöglicht überhaupt erst eine Vergütung erbrachter Leistungen. Ärzte, Angehörige, Krankenkassen und der Patient selbst werden immer auf dem Laufenden gehalten.

Am wichtigsten ist jedoch, dass ein Aufzeichnen aller Maßnahmen und Erfolge den Wert des Arzneimitteltherapie-Managements verdeutlicht und klinische, ökonomische und menschliche Ergebnisse anschaulich präsentiert.

Der Folgebesuch wiederum ist wichtiges Bindeglied zum Beispiel bei einem Umgebungswechsel des Patienten. Ob Krankenhausaufnahme, Reha oder Entlassung nach Hause, ein Folgebesuch ermöglicht es zusammen mit der entsprechenden Dokumentation, den neuen betreuenden Apotheker über den Status quo des Patienten zu informieren.

Die Abbildung fasst alle Elemente des Arzneimitteltherapie-Managements zusammen wie sie in der MTM-Leitlinie beschrieben sind und wie sie miteinander interagieren.



DAZ 2011, Nr. 40, S. 54

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