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Kassen sollen Organspende-Bereitschaft erfragen

BERLIN (dpa/ks). Um mehr Menschen als bisher nach ihrem Tod als Organspender zu gewinnen, will Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) alle Krankenversicherten nach ihrer Spendebereitschaft befragen lassen. "Jeder soll zumindest einmal im Leben mit dieser Frage konfrontiert werden", erklärte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. Bis zum kommenden Frühjahr soll eine gesetzliche Regelung gefunden sein.

Jeder befragte Versicherte sei in seiner Entscheidung völlig frei, betonte die Sprecherin. Er könne zustimmen, ablehnen oder sich die Entscheidung offen halten. Ziel sei es, mehr Gelegenheiten dafür zu schaffen, dass sich die Menschen mit dem Thema Organspende befassen und eine Entscheidung treffen können. Viele seien zu einer Organspende bereit, dokumentierten dies aber nicht, so die Sprecherin.

eGK als mögliches Vehikel der Befragung

Nach den derzeit diskutierten Plänen sollen die Krankenkassen dazu verpflichtet werden, alle Versicherte über 16 Jahren bei der bevorstehenden Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) über die Organspende zu informieren und zu einer Erklärung über die Spendenbereitschaft aufzufordern. Dies sei allerdings nur eine Option – es gebe auch noch andere Wege die Mitglieder zu befragen, so die Sprecherin. Schließlich sollen auch die Privatkassen, die sich an der Ausgabe der eGK nicht beteiligen, ihre Versicherten zur Spendebereitschaft befragen. Es gehe aber darum, dass die Kassen, die einen Bezug zum Thema Gesundheit haben, und nicht Ämter – etwa bei der Ausstellung eines Passes oder Führerscheins – diese Frage stellten.

Umgesetzt werden können die Regelungen im laufenden Verfahren zur Änderung des Transplantationsgesetzes – dieses stand letzte Woche im Bundesrat auf der Tagesordnung – oder über einen eigenständigen Gesetzgebungsvorschlag aus den Fraktionen, ähnlich wie bei der PID. Minister Bahr sprach von einem "Herzensanliegen". Er forderte die Krankenkassen auf, ihre Mitglieder offensiv über Organspenden zu informieren. So könnte etwa bei der Ausstellung einer Versichertenkarte ein Antrag für einen Organspendeausweis mitverschickt werden. Wichtig sei, dass niemand zu einer Entscheidung gedrängt werde. "Das ist eine so sensible Frage, da darf es zu keinem Zwang kommen", so Bahr. Auch eine Widerspruchslösung, bei der eine Person vor ihrem Tod die Organspende ausdrücklich abgelehnt haben muss, ist für den Minister keine Option.

Kassen einverstanden

Bei den Krankenkassen stießen die Überlegungen Bahrs auf grundsätzliche Zustimmung. Man werde die Versicherten wie gewünscht über die Möglichkeiten der Organspende informieren, zum Beispiel auch über Mitgliederzeitschriften, sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz. Da ab Oktober erst die Ausgabe der eGK beginne, ließen sich auf diesem Wege nicht alle Versicherten erreichen, gab er zu bedenken. Auch Thomas Ballast, Vorstandschef des Ersatzkassenverbandes vdek, wertet es positiv, über die eGK die Bereitschaft zur Organspende zu steigern. Die Informationsverpflichtung müsse aber auf allen Kanälen erfolgen. "Auch die Ärzte müssen zur Aufklärung verpflichtet werden", so Ballast. Der PKV-Verband betrachtet den Vorschlag Bahrs ebenfalls "mit großem Interesse". Um ihn praktikabel umzusetzen, müsse er aber noch solide fachlich geprüft werden, sagte PKV-Sprecher Stefan Reker. Die Privatkassen engagierten sich schon lange für die Förderung der Organspendebereitschaft.

Zustimmung kam auch aus der Opposition. "Es wird unmittelbar helfen, Leben zu retten", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach der "Passauer Neuen Presse". Er geht sogar davon aus, dass es noch in diesem Jahr ein Gesetz geben könne. Ausdrücklich lobte Lauterbach die Idee, die Spendebereitschaft bei der Ausgabe der eGK abzufragen. Sie könnte auf der Karte eingetragen werden, aber es gebe auch noch andere technische Möglichkeiten. "Wir arbeiten fraktionsübergreifend in einer Arbeitsgruppe sehr konstruktiv an einer solchen Lösung."

Liese: Problem liegt in Krankenhäusern

Der CDU-Europaabgeordnete Dr. Peter Liese wies darauf hin, dass für eine Steigerung der Spenderzahlen in erster Linie die Organisation in den Krankenhäusern verbessert werden müsse: "Das Thema Organspende genießt in unseren Krankenhäusern nicht die nötige Priorität, wie beispielsweise in Spanien, wo es mit 34,4 Spendern pro Millionen Einwohner mehr als doppelt so viele Organspenden gibt als in Deutschland mit 15,9." Nach Einschätzung Lieses gehen in Deutschland rund die Hälfte der verfügbaren Organe verloren, da potenzielle Organspender nicht identifiziert oder nicht gemeldet werden – eine Folge der Überlastung von Ärzten. Verbessert werden könne diese Situation durch die Einführung sogenannter Transplantationskoordinatoren, die sich ausschließlich um die Organspende kümmern und alle organisatorischen Details regeln.

Von rund 12.000 Patienten, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, sterben jährlich etwa 3000. Seit Jahren hat sich an der unbefriedigenden Situation nichts Entscheidendes geändert. Immerhin: Gab es 2001 nur 1073 Menschen, die nach ihrem Tod Organe spendeten, so waren es im vergangenen Jahr 1296. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende wurden am häufigsten Nieren (2250) und Lebern (1114) verpflanzt.



DAZ 2011, Nr. 39, S. 34

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