Arzneimittel und Therapie

Medikamentöse Option bei tuberöser Sklerose

Everolimus ist unter der Bezeichnung Votubia® seit Kurzem zugelassen für die Therapie der tuberösen Sklerose, die mit subependymalen Riesenzellastrozytomen (SEGA) assoziiert ist. In der zulassungsrelevanten Phase-II-Studie konnte der mTOR-Inhibitor bei akzeptabler Verträglichkeit das SEGA-Volumen reduzieren. Erste Daten aus der Phase-III-Studie EXIST 1 zeigen ein vergleichbares Sicherheitsprofil.

Die tuberöse Sklerose (TSC) ist eine genetisch bedingte, komplexe Systemerkrankung, die zu Fehlbildungen und meist benignen Tumoren in fast allen Organen führen kann. Bei einer Inzidenz von 1:6000 Geburten kommen in Deutschland pro Jahr etwa 100 Neugeborene mit einer tuberösen Sklerose zur Welt. Das Gehirn ist laut Dr. Christoph Hertzberg, Berlin, auf der Pressekonferenz von Novartis Oncology in Nürnberg, wesentlicher Ort der Schädigung. Bereits im Kindes- und Jugendalter entwickeln sich bei bis zu 20% der Patienten mit tuberöser Sklerose subependymale Riesenzellastrozytome (SEGA), die nicht infiltrierend, aber verdrängend wachsen. Bis zu 80% der Patienten entwickeln eine Epilepsie, 30 bis 40% eine mentale Retardierung. Durch den oft schleichenden und schwer vorhersehbaren Verlauf des Wachstums der Riesenzellastrozytome kann es zur Ausbildung eines Hydrozephalus kommen, der häufig erst spät erkannt wird. Dann können schwere neurologische Ausfallerscheinungen bis hin zum Tod auftreten. Bislang war die einzige Therapieoption die operative Entfernung der subependymalen Riesenzellastrozytome, die aufgrund der Lokalisation jedoch mit erheblichen Komplikationen verbunden ist. Zudem besteht bei unvollständiger Resektion das Risiko von Rezidiven.

Volumen des Riesenzellastrozytoms schrumpft

Als Alternative ist seit Anfang September 2011 der mTORInhibitor Everolimus als erste zielgerichtete medikamentöse Therapie für die Behandlung der tuberösen Sklerose assoziiert mit SEGA zugelassen. Da der mTOR-Signalweg (mTOR = mammalian Target of Rapamycin) bei der Entwicklung der tuberösen Sklerose von zentraler Bedeutung ist, stellt mTOR ein relevantes Target für die Therapie dar, erläuterte Priv.-Doz. Dr. Pablo Hernáiz Driever, Berlin. In der für die Zulassung entscheidenden Phase-II-Studie konnte der positive Einfluss von Everolimus auf das SEGA-Volumen dokumentiert werden. Eingeschlossen in die prospektive, einarmige und offene Untersuchung waren 28 TSC-Patienten (Alter: 3 bis 34 Jahre, median 11 Jahre) mit nachgewiesenem seriellem SEGA-Wachstum. Beginnend mit einer Initialdosis von 3 mg/m2 Körperoberfläche pro Tag wurde so dosiert, dass der Plasmaspiegel an Everolimus zwischen 5 und 15 ng/ml lag. Unter diesem Regime kam es innerhalb von sechs Monaten zu einer klinisch relevanten und signifikanten Reduktion des SEGA-Volumens, ermittelt per MRT. 75% der Patienten zeigten eine Volumenreduktion von mindestens 30%. Bei 32% verkleinerten sich die Tumoren um mindestens 50%. Die Häufigkeit epileptischer Anfälle war im Vergleich zum Therapiebeginn deutlich reduziert. Nach der Kernphase von sechs Monaten konnten sich die Patienten für die Weiterbehandlung mit Everolimus entscheiden. 27 der 28 Patienten nahmen diese Möglichkeit in Anspruch. Die Reduktion des SEGA-Volumens blieb über eine mediane Therapiedauer von etwa drei Jahren erhalten.

Everolimus


Everolimus ist ein immunsuppressiv wirksames Makrolid und ein mTOR-Inhibitor. mTOR (mammalian Target of Rapamycin) ist ein Protein, das in der Signaltransduktion eine große Rolle spielt und unter anderem an der Proliferation der Tumorzellen, an der Tumorangiogenese und am Zellmetabolismus beteiligt ist. Die Inhibierung des mTORC1-Signalweges interferiert mit der Translation und Synthese von Proteinen, die an der Regulation des Zellzyklus, der Angiogenese und der Glykolyse beteiligt sind. Everolimus reduziert den Spiegel des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF), der die Prozesse der Tumorangiogenese fördert. Der starke Wachstums- und Proliferationsinhibitor von Tumorzellen, Endothelzellen, Fibroblasten und blutgefäßassoziierten glatten Muskelzellen ist für verschiedene Indikationen unter verschiedenen Bezeichnungen zugelassen:

  • Everolimus ist als Afinitor® (5 mg bzw. 10 mg Everolimus) indiziert zur Behandlung von inoperablen oder metastasierten, gut oder mäßig differenzierten neuroendokrinen Tumoren pankreatischen Ursprungs bei Erwachsenen mit progressiver Erkrankung und zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen es während oder nach einer gegen VEGF gerichteten Therapie zu einer Krankheitsprogression kommt.

  • Als Certican® (0,25 mg; 0,5 mg; 0,75 mg bzw. 1,0 mg Everolimus) ist es angezeigt zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung nach allogener Nieren- oder Herztransplantation bei erwachsenen Patienten mit einem geringen bis mittelgradigen immunologischen Risiko.

  • Als Votubia® (2,5 mg Everolimus) ist es zugelassen für die Therapie der tuberösen Sklerose, die mit subependymalen Riesenzellastrozytomen (SEGA) assoziiert ist.

Stomatitiden und Infektionen der oberen Atemwege

An Nebenwirkungen wurden während der Kern- und Fortsetzungsphase vor allem Stomatitis und Entzündungen im Mund, Infektionen der oberen Atemwege und Mittelohrentzündungen beobachtet, und zwar überwiegend vom Schweregrad 1/2. An die Phase-II-Studie schließt sich mit EXIST(EXaming everolimus In a Study of TSC)-1 eine Phase-III-Studie an, die 117 Patienten mit TSC und SEGA umfasst. Bislang liegen die Daten zum Sicherheitsprofil vor, die denen der Phase-II-Studie vergleichbar sind.


Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2011, Nr. 38, S. 52

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