Praxis

Wann ist ein Einzelimport (k)ein Fall für die GKV?

?In Deutschland sind momentan fast 60.000 Fertigarzneimittel im Handel erhältlich. Trotzdem ist häufig der Import von Präparaten nötig, die zwar in Deutschland nicht zugelassen, aber in anderen europäischen Ländern oder in den USA verfügbar sind. Wann ist ein Einzelimport möglich? Und sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, die Kosten dafür zu tragen?

Die Antwort geben

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen


Die Einzeleinfuhr von Arzneimitteln ist im Arzneimittelgesetz (AMG) [1] rechtlich festgelegt. § 73 regelt das Inverkehrbringen: in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel dürfen von Apotheken für einzelne Personen eingeführt werden. Es muss eine ärztliche Verordnung vorliegen, wenn der entsprechende Wirkstoff in Deutschland verschreibungspflichtig ist und für das betreffende Anwendungsgebiet hinsichtlich des Wirkstoffes identische und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel nicht zur Verfügung stehen. Weiterhin dürfen nur kleine Mengen von Arzneimitteln importiert werden, die sich im Herkunftsland rechtmäßig im Verkehr befinden.

Die Import-Regelung wurde mit der 15. AMG-Novelle (23. 7. 2009) verschärft, so dass keine Unterscheidung mehr gemacht wird, ob der Bezug aus einem EU/EWR-Mitgliedstaat oder aus einem Drittland erfolgt.

Die Verschreibungspflicht hängt von dem Herkunftsland einerseits, aber auch von der deutschen Rechtslage ab: Medikamente aus Drittländern (z. B. USA) unterliegen immer der Verschreibungspflicht. Erfolgt der Import aus einem EU/EWR-Staat, gilt die deutsche Rechtslage: wenn der Wirkstoff in Deutschland der Verschreibungspflicht unterliegt, ist auch das importierte Arzneimittel verschreibungspflichtig.

Kostenübernahmeerklärung empfehlenswert

In Grenzen ist also der Import von Arzneimitteln durch die Apotheke erlaubt. Aber ist das Vorliegen einer ärztlichen Verordnung auf einem Kassenrezept ausreichend, damit die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auch die Kosten für diese Arzneimittel trägt?

Die Arzneimittellieferverträge der Primär- und der Ersatzkassen bestimmen, dass Verordnungen von Arzneimitteln nach § 73 Abs. 3 AMG nicht zulasten der GKV beliefert werden dürfen, es sei denn, der Versicherte legt der Apotheke eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung vor oder sie sind bei bestimmten Indikationsstellungen verordnungs- und erstattungsfähig.

Da der Begriff der Verordnungsfähigkeit hier sehr breit gefasst ist, empfiehlt sich für die Apothekenpraxis, Einzelimporte vor der Einfuhr immer vom Kostenträger genehmigen zu lassen, wenn dem Versicherten keine entsprechende Genehmigung vorliegt. Bei der Abgabe sollte auf der Verordnung vermerkt werden, dass eine Genehmigung vorliegt, diese sollte dann in der Apotheke aufbewahrt werden, damit auch zu einem späteren Zeitpunkt der Vorgang eindeutig einzuordnen ist (z. B. bei Retaxationen seitens der Krankenkasse).

Erstattungspflicht nicht klar geregelt

Aber in welchen Fällen steht die Kasse bei importierten Arzneimitteln in der Leistungspflicht? Im Sozialgesetzbuch V ist dieser Sachverhalt nicht explizit berücksichtigt worden.

Im sog. "Visudyne-Urteil" (Az. B 1 Kr 27/02 R) entschied das Bundessozialgericht (BSG) 2004, dass eine Leistungspflicht der GKV zur Übernahme eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels nur unter bestimmten Voraussetzungen besteht: zum einen muss es sich um eine so seltene Erkrankung handeln, dass eine systematische Erforschung der Behandlungsmöglichkeiten praktisch ausscheidet. Des Weiteren muss die Qualität des Arzneimittels als ausreichend anzusehen sein. Einige Monate zuvor fiel das sog. "Immucothel-Urteil" (Az. B 1 Kr 21/02 R), nach dem die Kriterien des Off-Label-Use bei dem Einzelimport nicht herangezogen werden können, da es sich beim Off-Label-Use um zugelassene (für eine andere Indikation) Arzneimittel handelt; bei Einzelimport sind es Arzneimittel ohne deutsche oder EU-weite Zulassung.

Somit wurden einige Voraussetzungen geschaffen, die es den Krankenkassen möglich machen, in bestimmten Einzelfällen die Kosten für importierte Arzneimittel zu tragen. Meistens wird dabei der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Dabei wird überprüft, ob in Deutschland tatsächlich keine therapeutischen Alternativen für das entsprechende Krankheitsbild verfügbar sind.


Die Antwort kurz gefasst


  • Ein Einzelimport ist immer möglich, wenn es sich um ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel handelt. Eine ärztliche Verordnung ist notwendig, wenn das Bezugsland ein Drittland ist (z. B. USA) oder wenn das Bezugsland ein EWR/EU-Land ist und der enthaltene Wirkstoff in Deutschland der Verschreibungspflicht unterliegt.

  • Verordnungen von Arzneimitteln nach § 73 Abs. 3 AMG dürfen in der Regel nicht zulasten der GKV beliefert werden, es sei denn der Patient legt eine Kostenübernahmeerklärung seiner Krankenkasse vor.

  • nach geltender Rechtsprechung muss eine gesetzliche Krankenkasse ein für einen Patienten importiertes Arzneimittel erstatten, wenn es sich um eine seltene Erkrankung handelt, deren Therapiemöglichkeiten nicht systematisch erforscht werden können und die Qualität des Arzneimittels als ausreichend anzusehen ist.

Der Fall Primatene Mist®

Ein sehr kontroverses Beispiel ist das Präparat Primatene Mist® , das in der Vergangenheit oft zur Notfallbehandlung eines anaphylaktischen Schocks bei z. B. Insektenallergie importiert wurde. Dieses epinephrinhaltige Spray ist in den USA nur zur Therapie von mildem Asthma zugelassen. Das Medikament ist in den USA ein OTC-Produkt, für die Einfuhr nach Deutschland braucht man aber eine ärztliche Verordnung, da das Herkunftsland ein Drittland ist.

Bei einer Einfuhr ergeben sich folgende Probleme: das Arzneimittel enthält Fluorkohlenwasserstoffe und ist somit aufgrund der FCKW-Halonverbotsverordnung (ein Verstoß ist eine Straftat!) in Deutschland nicht verkehrsfähig. In Deutschland sind zurzeit drei verschiedene Produkte mit dem gleichen Wirkstoff im Handel: Infectokrupp® Inhalationslösung und die Autoinjektoren Anapen® und Fastjekt® Somit sind hinsichtlich des Wirkstoffes identische Produkte verfügbar. Zudem bestehen Zweifel an der systemischen Wirksamkeit von Primatene Mist® beim anaphylaktischen Schock. Dafür ist das Arzneimittel gar nicht zugelassen.

Aus diesen Überlegungen haben Krankenkassen in der Vergangenheit oft die Kostenübernahme für Primatene Mist® abgelehnt. Da der Hersteller zum 31. 12. 2011 den Vertrieb des Produktes in den USA wegen der enthaltenen FCKW einstellen muss, wird sich diese Problematik demnächst nicht mehr ergeben.


Warum nicht auf Rezept?


Apothekerinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung, Zentrum für Sozialpolitik, Bremen, erläutern in der DAZ regelmäßig besondere Probleme der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln für gesetzlich Krankenversicherte. Bislang sind folgende Beiträge erschienen:


Quellen

http://www.lumrix.de/gesetze/bsg_urteile/bsg_1126.php

http://www.urteile-im-internet.de/archive

https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=22357

http://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/index.html

http://www.bkkmitte.de/ihr-bkk-landesverband-mitte/informationen-fuer-vertragspartner/informationen-fuer-apotheken.html

http://www.primatene.com/

http://www.fda.gov/ForConsumers/ConsumerUpdates/ucm247196.htm


Autorinnen
Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Dörte Fuchs, Heike Peters
Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen



DAZ 2011, Nr. 32, S. 50

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