Arzneimittel und Therapie

EMA bewertet Pioglitazon weiter positiv

Die Diskussion um ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko unter dem Antidiabetikum Pioglitazon hatte zu der Empfehlung des BfArM geführt, auf Neueinstellungen mit Pioglitazon zu verzichten. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA sieht jedoch nach wie vor ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für eine Gruppe von Diabetikern, die mit anderen Therapieoptionen nicht optimal zu behandeln sind. Das Risiko für Blasenkrebs lasse sich minimieren.
Foto: DAK/ van den Berg
Bei einer Pioglitazon-Verordnung müssen Risikofaktoren für Blasenkrebs wie Alter, Raucherstatus oder Kontakt zu Chemikalien berücksichtigt werden.

Danach sollte Pioglitazon nicht verordnet werden, wenn Patienten an Blasenkrebs erkrankt sind oder waren oder eine ungeklärte makroskopische Hämaturie vorliegt. Risikofaktoren für Blasenkrebs sind bei der Verordnung zu berücksichtigen. Insbesondere bei älteren Patienten sollte eine sorgsame Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden. Zudem wird eine engmaschige Kontrolle gefordert, bei der zunächst nach drei bis sechs Monaten und dann in regelmäßigen Abständen sichergestellt werden muss, dass die Patienten von einer Pioglitazon-Behandlung profitieren.

Insgesamt kommt der CHMP nach Sichten der Studien zu dem Schluss, dass es ein geringfügig erhöhtes Blasenkrebsrisiko unter Pioglitazon gibt. Epidemiologischen Studien zufolge war es am größten bei Patienten mit der längsten Therapiedauer und der höchsten kumulativen Dosis. Das relative Risiko lag zwischen 1,12 und 1,33.

Eine Metaanalyse aller randomisierten klinischen Studien ergab 19 Fälle von Blasenkrebs bei 12506 unter Pioglitazon-Therapie (0,15%) und sieben Fälle bei 10212 nicht mit Pioglitazon behandelten Patienten (0,07%). Ein Risiko bei Kurzzeitbehandlung konnte nicht ausgeschlossen werden. Die EMA hat den Zulassungsinhaber von Pioglitazon aufgefordert, das Risiko insbesondere bei älteren Patienten weiter in einer europäischen epidemiologischen Studie zu prüfen.

Unerwartete Wirkungen


Die Behandlung des Typ-2-Diabetes mit den als PPAR-gamma-Agonisten wirkenden Glitazonen ist eine Geschichte der Enttäuschungen, Troglitazon musste wegen Lebertoxizität vom Markt genommen werden, Rosiglitazon wegen eines erhöhten kardiovaskulären Risikos. Warum es bei den Glitazonen immer wieder zu Überraschungen kommt, lässt sich mit den komplexen biologischen Wirkungen am PPAR-gamma-Rezeptor erklären. PPAR steht für peroxisome proliferator activated receptor und beschreibt eine Gruppe von nukleären Rezeptoren, die die Expression von Genen steuern. PPAR-Agonisten können eine Vielzahl von Genen entweder aktivieren oder in ihrer Aktivität hemmen. Das Muster der Genaktivierung und -suppression variiert stark unter den verschiedenen PPAR-Agonisten. Darüber hinaus weiß man meist nicht, welche biologischen Effekte die Zielproteine der Gene haben, die über die PPAR-Agonisten beeinflusst werden. Entsprechend häufig wurden daher auch im Rahmen von Untersuchungen mit verschiedenen PPAR-Agonisten unerwartete toxische Wirkungen gesehen. Einige provozierten Krebserkrankungen, andere erwiesen sich als nephrotoxisch oder führten zu einer Rhabdomyolyse.

BfArM rät weiter von Neueinstellungen ab

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis wird nicht in allen Ländern der Europäischen Union gleich bewertet, was sich in unterschiedlichen Meinungen innerhalb des CHMP niederschlug. So vertraten Deutschland, Frankreich und Rumänien eine von der jetzt veröffentlichten Bewertung abweichende Meinung.

Frankreich hatte vor kurzem wegen des erhöhten Blasenkrebsrisikos das Ruhen der Zulassung verfügt. Nahezu zeitgleich hatte das BfArM empfohlen, keine Neueinstellungen mit Pioglitazon mehr vorzunehmen. Auf Nachfrage der DAZ erklärte ein Sprecher des BfArM, dass es bei dieser Empfehlung auch nach der CHMP-Bewertung bleibe.

Prof. Dr. Andreas Fritsche, Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), erklärte dagegen gegenüber der DAZ, dass sich die DDG nach Prüfung der Datenlage der EMA-Empfehlung anschließen wird


Quelle

Pressemitteilung der EMA vom 21. Juli 2011


du


Doris Uhl

Kommentar: Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit


In Deutschland kann Pioglitazon seit April dieses Jahres aufgrund eines G-BA-Beschlusses nur noch in Ausnahmefällen zu Lasten der GKV verordnet werden. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hatte diesen Entschluss bedauert.

Sie hatte in einer Stellungnahme im November 2010 zu dem Verordnungsausschluss auf eine Verschlechterung der Versorgung von Patienten in Sondersituationen hingewiesen. Verwiesen wurde unter anderem darauf, dass Pioglitazon alleine oder in Kombination mit anderen Antidiabetika wie Metformin oder DPP-4-Antagonisten kein Unterzuckerungsrisiko aufweist und auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz einsetzbar ist. Folglich sei Pioglitazon wichtiger Therapiebestandteil bei Patienten, die beruflich bedingt kein Unterzuckerungsrisiko haben dürfen und die durch diese anderen Therapien alleine keine guten Blutzuckerwerte erreichen. Darüber hinaus sei bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz Pioglitazon neben Repaglinid derzeit die einzige Möglichkeit, mit Tabletten und ohne Injektion zu behandeln.

Doch auch die DDG hat das Inkrafttreten des Beschlusses und damit das Abgleiten von Pioglitazon in die Bedeutungslosigkeit nicht verhindern können.

Die Diskussion um das Blasenkrebsrisiko und die nach wie vor bestehende BfArM-Empfehlung, auf Neueinstellungen zu verzichten, dürften diesen Prozess nur noch beschleunigen. Ob zum Schaden oder zum Nutzen der Patienten, darüber gehen die Meinungen weiter auseinander.


Dr. Doris Uhl, Redakteurin der DAZ



DAZ 2011, Nr. 30, S. 34

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