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EADV-Symposium: Interaktionen bei Antidiabetika

Wechselwirkungen mit Antidiabetika dürfen nicht unterschätzt werden: Sie können klinisch relevante Probleme verursachen und sogar zu Krankenhauseinweisungen führen. Wie sich Interaktionen erkennen und vermeiden lassen, war das Thema des Symposiums der Arbeitsgruppe "Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung" (EADV) bei der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft am 2. Juni in Leipzig.

Dass Interaktionen in allen Phasen der Pharmakokinetik eines Arzneistoffs theoretisch möglich sind, zeigte Prof. Dr. Hermann Ammon, Tübingen. Wechselwirkungen können zur Wirkungsverstärkung, im Extremfall bis in den toxischen Bereich, führen oder umgekehrt zu einer Wirkungsabschwächung bis hin zum vollständigen Wirkungsverlust. Auch eine Verstärkung von Nebenwirkungen kann auftreten.

Risiken durch Mehrfachverordnungen

Zwar sind nicht alle möglichen Wechselwirkungen klinisch relevant, doch sie sind für einen beträchtlichen Teil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die zu Hospitalisierungen führen, verantwortlich. Wechselwirkungen sind oft die Folge von Mehrfachverordnungen durch verschiedene Ärzte, aber auch Arzneimittel der Selbstmedikation bergen ein Interaktionspotenzial. Das dürfe man nicht unterschätzen, betonte Ammon. Andererseits lassen sich Interaktionen meist vermeiden, z. B. durch eine Dosisanpassung, eine zeitlich versetzte Einnahme oder das Absetzen einer Arznei.

Hypoglykämien am häufigsten

Welche klinische Relevanz das Thema Interaktionen hat, erläuterte Dr. Sven Schmiedl, Wuppertal, anhand einer Studie, die die Krankenhauseinweisungen in internistische Abteilungen an vier Standorten in den Jahren 2000 bis 2008 untersuchte: Antidiabetika gehörten zu den Arzneimitteln, die am häufigsten zu einer Hospitalisierung aufgrund von Nebenwirkungen führten.

In 95% aller Fälle waren diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen Hypoglykämien. Drei von vier Unterzuckerungen waren auf Interaktionen zurückzuführen, davon hätte jede vierte vermieden werden können.

Zu Interaktionen führten hauptsächlich die Kombination von Metformin mit Glibenclamid oder Glimepirid sowie die Dreifachkombination Insulin, Metformin und Sulfonylharnstoff.

Dosis anpassen, besonders bei Älteren

Als wichtigstes Problem benannte Schmiedl, dass Dosisanpassungen, beispielsweise in Situationen mit reduzierter Nahrungsaufnahme, nicht oder zu spät durchgeführt werden. Er wies darauf hin, dass eine zu starke Absenkung des HbA1c-Wertes besonders bei älteren Patienten zu Hypoglykämien führen kann. Ältere Patienten leiden häufiger unter Interaktionen, weil sie in der Regel eine Vielzahl von Arzneimitteln einnehmen.

Pharmakodynamische Wechselwirkungen

Dr. Nina Griese, Berlin, stellte die wichtigsten pharmakodynamischen Wechselwirkungen von Antidiabetika vor. Sie unterschied dabei Interaktionen, die das Risiko für Hypoglykämien erhöhen, und solche, die eher zu Hyperglykämien führen.

Anhand der Daten aus bayerischen Qualitätszirkeln im Jahr 2006 zeigte Griese, dass 85% aller mittelschweren und schwerwiegenden Interaktionsmeldungen auf 48 verschiedene Wechselwirkungen zurückzuführen sind. Zwar entfallen nur vier davon auf Antidiabetika, doch muss man berücksichtigen, dass Typ-2-Diabetiker in der Regel auch Antihypertonika, Thrombozytenaggregationshemmer und Statine erhalten. In der Apothekenpraxis ist ein schneller Interaktionscheck mit der ABDA-Datenbank möglich.

Interaktionsrisiko Hypoglykämie

Wechselwirkungen, die zu einer Hypoglykämie führen können, betreffen ACE-Hemmer, Salicylate und Kombinationen verschiedener Antidiabetika. Griese wies darauf hin, dass Salicylate erst ab einer Dosis von 2 bis 3 Gramm relevante Wechselwirkungen eingehen. Bei der Anwendung von ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung droht daher keine Interaktion, wohl aber bei der Anwendung gegen Kopfschmerzen oder Fieber. Bei der Abgabe von ASS zur Selbstmedikation sollte der Apotheker den Patienten deshalb fragen, ob er Diabetiker ist, und ihn gegebenenfalls auf das Risiko hinweisen.

Interaktionen mit ACE-Hemmern führen nur selten zu Hypoglykämien, am ehesten zu Therapiebeginn. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass sie die Insulinempfindlichkeit erhöhen. Jedenfalls überwiegt bei Diabetikern der Nutzen einer Therapie mit ACE-Hemmern deren Risiko.

Griese stellte auch die Ergebnisse einer neueren Übersichtsarbeit vor, die u. a. Nutzen und Risiken von Antidiabetika-Kombinationen bewertete. Demnach gab es Unterschiede nicht in Bezug auf schwere Hypoglykämien, sondern nur in Bezug auf leichte und moderate Unterzuckerungen. Dieses Risiko ist besonders bei Kombinationen mit Sulfonylharnstoffen erhöht.

Betablocker verändern die Warnsymptome

Besonderer Beratungsbedarf besteht bei der Kombination von Insulin oder insulinotropen Antidiabetika mit Betablockern, denn diese Arzneimittelgruppe kann die natürliche Reaktion des Körpers auf eine Hypoglykämie abschwächen. Griese stellte die daran beteiligten Mechanismen vor:

Bei einer Unterzuckerung kommt es zu einer Sympathikusaktivierung mit Ausschüttung der Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin. Diese binden

  • an β1-Rezeptoren, was zu den bekannten Warnzeichen Unruhe, Zittern und Herzklopfen führt, und

  • an β2-Rezeptoren, was in der Leber die Glykogenolyse, aber auch die Gluconeogenese steigert.

Über die ebenfalls sympathikusbedingte Ausschüttung des Botenstoffs Acetylcholin treten als Symptome Schwitzen und Hunger auf.

Nimmt der Patient nun einen unselektiven Betablocker wie Propranolol ein, werden die β1‑vermittelten Symptome unterdrückt. Zudem ist der Wiederanstieg des Blutzuckerspiegels bei Einnahme von Propranolol verlangsamt.

Griese wies darauf hin, dass die Symptome Hunger und Schwitzen in der Regel nicht beeinflusst werden, sondern häufig sogar verstärkt auftreten. Diabetiker sollten deshalb bevorzugt β1-selektive Betablocker erhalten, deren Selektivität sich allerdings in höheren Dosen verliert.

Wichtig ist, dass der Apotheker einen Diabetiker, an den er einen Betablocker abgibt, darauf hinweist, dass sich die Warnzeichen der Hypoglykämie verändern können.

Thiazide und Corticoide schwächen Wirkung ab

Bei Interaktionen, die den Blutzuckerspiegel ansteigen lassen, stehen Thiazide und Glucocorticoide im Vordergrund.

Die Diuretika erhöhen dosisabhängig den Blutzuckerspiegel meist langsam über einen Zeitraum von Monaten oder Jahren. Vermutlich ist daran eine verminderte Insulinsekretion beteiligt. Eine Dosiserhöhung der Antidiabetika ist aber nur selten nötig. In der Leitlinie zur Behandlung der Hypertonie bei metabolischem Syndrom oder manifestem Diabetes werden Thiazide nicht als Mittel der ersten Wahl angesehen.

Das diabetogene Potenzial der Glucocorticoide ist seit Langem bekannt. Daran sind gleich mehrere Mechanismen beteiligt:

Glucocorticoide verringern die Glucoseverwertung und die Insulinsensitivität in den peripheren Geweben, während sie die Gluconeogenese in der Leber stimulieren. Der Anstieg des Blutzuckerspiegels ist je nach Wirkstoff und Applikationsart unterschiedlich. Besonders ausgeprägt ist er bei 9α-fluorierten Glucocorticoiden wie Dexamethason und bei systemischer Anwendung. Die Hyperglykämie kann bereits in den ersten Tagen der Therapie auftreten. Auch wenn das Glucocorticoid intraartikulär oder inhalativ in höheren Dosen über einen längeren Zeitraum verabreicht wird, kann der Blutzuckerspiegel ansteigen. Bei der topischen Anwendung hingegen wurde dieses Phänomen nur sehr selten beobachtet.

Für die Praxis empfahl Griese ein Monitoring der Blutzuckerwerte, auch über mehrere Wochen, sowie bei Bedarf eine Anpassung der Antidiabetika-Dosis. Gleiches gilt auch beim Absetzen, da die diabetogene Wirkung der Glucocorticoide in der Regel reversibel ist.

Sulfonylharnstoffe und CYP-Enzyme

Prof. Dr. Klaus Mörike, Tübingen, stellte verschiedene pharmakokinetische Interaktionen von Antidiabetika vor.

Metformin ist für Interaktionen bei der Metabolisierung in der Regel nicht anfällig, da es unverändert eliminiert wird. Allerdings können sich bei der Ausscheidung Probleme ergeben, wie von iodhaltigen Röntgenkontrastmitteln bekannt ist. Nach Mörike sind sich die Experten aber nicht darüber einig, welche Konsequenzen aus der Interaktion gezogen werden müssen, wann und wie lange also Metformin vor einer Untersuchung abgesetzt werden muss.

Nach der Erfahrung von Mörike treten bei normaler Nierenfunktion und einer üblichen Einzeldosis der Röntgenkontrastmittel keine Probleme auf. Eine Ausnahme bilden angiografische Untersuchungen, weil bei ihnen das Kontrastmittel in der Regel höher dosiert werden muss.

Klinisch relevante Wechselwirkungen können sich dagegen mit Sulfonylharnstoffen, Repaglinid sowie Induktoren und Inhibitoren von CYP-Enzymen ergeben. Auch die Interaktion zwischen Repaglinid und Gemfibrozil, die über CYP2C8 vermittelt wird, sollte beachtet werden.

Bei den neueren DPP-4-Hemmern ist das Wechselwirkungsrisiko eher gering. Eine Ausnahme bildet nur Saxagliptin, dessen Wirkung durch starke Induktoren (Rifampicin) oder Inhibitoren von CYP3A4/5 (Ketoconazol) beeinflusst werden kann.

Wie Mörike betonte, hängt die klinische Relevanz von Wechselwirkungen auch von der Konstitution des Patienten ab. Polymorphismen in Transportersystemen können ebenfalls das Ausmaß von Interaktionen beeinflussen.

Die Moderatoren des Symposiums, Dr. Alexander Risse, Dortmund, und Prof. Dr. Martin Schulz, Berlin, riefen dazu auf, dass Apotheker und Ärzte gerade beim Thema Interaktionen noch enger zusammenarbeiten sollten. Denn wenn Wechselwirkungen vermieden werden können, profitieren die Patienten erheblich.


Dr. Iris Hinneburg, Halle (Saale)



DAZ 2011, Nr. 30, S. 63

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