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Aktuelles zur Wundbehandlung mit Fliegenlarven

Therapien unter Anwendung von Lebewesen gelangten in den letzten zehn Jahren immer stärker in den Fokus der ärztlichen Heilkunst und sind daher auch für beratende Pharmazeuten von steigender Relevanz. Auf der 8. Internationalen Konferenz für Biotherapeutika in Los Angeles, Kalifornien, trafen sich im November 2010 Mitglieder von forschenden Arbeitsgruppen aus Hochschule und Industrie in aller Welt, um über ihre neuesten Erkenntnisse zu berichten [1].
Larven von Lucilia sericata auf unverletzter Haut eines Probanden. Das im Darm der Maden sichtbare Blut stammt vom Probanden. Foto: Heuer

Ein Schwerpunkt der Vorträge und Diskussionen lag auf der mittlerweile weltweit eingesetzten Madentherapie, welche sich als äußerst effizient beim Débridement von Wunden (Entfernung nekrotischer und fibrinöser Beläge) herausgestellt hat [2].

Antimicrobial Peptides (AMP) oder Lucifensin

Dr. Peter Takac vom Institut für Zoologie der Slowakischen Akademie der Wissenschaften berichtete [3], dass das schnelle Débridement unterstützt wird von einer antibakteriellen Wirkung der von den Maden ausgeschiedenen Antimicrobial Peptides (AMP), die vor ihrer Strukturaufklärung Seraticin genannt [4] und nunmehr Lucifensin getauft wurden. Seine Arbeitsgruppe konnte eine zweite Modifikation dieser hochaktiven kurzkettigen Peptide aus Larven (Maden) von Lucilia sericata isolieren, nachdem die Arbeitsgruppe um Cerovsky diese Defensine erstmals charakterisiert hatte [5] und die Gruppe von Andersen diese gegen grampositive Bakterien hochwirksamen Antibiotika erstmals produziert hatte [6]. Der nunmehr in reiner Form verfügbare Wirkstoff wird – wie auch das Defensin Plectasin – von dem Biotechnologieunternehmen Novozymes A/S in Dänemark weiterentwickelt [6, 7].

Wirksam, aber auch toxisch

AMP, die von verschiedenen Organismen gebildet werden, zeichnen sich durch eine hohe Wirksamkeit gegen spezifische Mikroorganismen aus; nachteilig ist allerdings eine häufig anzutreffende Toxizität gegenüber menschlichen Zellen [8]; daher werden sie eher als Leitstrukturen für zukünftige Arzneimittel angesehen.

Leider ist die Beständigkeit der antibiotischen Wirkstoffe aus Lucilia -Larven begrenzt, wie Prof. Yousry Gohar, Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie der Wissenschaftlichen Fakultät der Universität Alexandria in Ägypten, in seinem Vortrag ausführte [9].

Schmerzen bei der Madentherapie – Ursache geklärt

Die Larventherapie ist oft begleitet von teils starken Schmerzen, die aber mithilfe von Analgetika beherrscht werden können, wie Dr. Ronald Sherman, Mediziner und Entomologe an der Universität von Kalifornien in Los Angeles und an der Universität von London, sowie Dr. Kosta Y. Mumcuoglu, Parasitologe an der Hadassah Medical School in Jerusalem, in ihren Vorträgen erläuterten [10, 11].

Dass die Schmerzen bei 30 bis 40% der Patienten auftreten, erschien den Medizinern erstaunlich hoch, insbesondere auch deshalb, weil ein großer Teil der Patienten an Diabetes oder an Durchblutungsstörungen leidet. Diese Patienten sind nämlich häufig von Polyneuropathien betroffen und damit lokal weitgehend schmerzunempfindlich.

Die bislang verborgen gebliebene Ursache der mit der Madentherapie einhergehenden Schmerzen haben dann Apothekerin Heike Heuer und Dr. Lutz Heuer, Dormagen, in einem Vortrag aufgezeigt [12]: Maden von Lucilia sericata sind entgegen der landläufigen Lehrmeinung in der Lage, lebendes menschliches Gewebe zu zerstören und dadurch Schmerzen hervorzurufen. Sie greifen innerhalb von wenigen Stunden gesunde Haut an und zersetzen diese mithilfe von Proteasen und anderen Enzymen sodass Lymphe austritt und später Blutungen auftreten. Die Larven nehmen diese Körperflüssigkeiten auf, wie die Autoren durch Videoaufnahmen mithilfe einer Mikroskopkamera eindrucksvoll belegt haben, und ernähren sich davon (s. Abb.).

Dass Larven von Lucilia sericata die Epidermis von Tieren verletzen können, ist gut bekannt; als Ektoparasiten von Schafen richten sie insbesondere in Australien große Schäden an (blowfly strike, Myiasis) [13].

Therapie nur unter ärztlicher Aufsicht

Die Madentherapie, d. h. die Anwendung von Lucilia- Larven, eignet sich nach der Meinung von Experten gut zum Débridement von Wunden. Aufgrund der neuesten Erkenntnisse sollte die Therapie unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, weil die Gefahr eines unerwünschten Gewebsverlustes oder von starken Blutungen besteht. Das gilt besonders für Patienten, die an Polyneuropathien oder unter Hämophilie leiden oder mit Antikoagulanzien (z. B. Warfarin) behandelt werden.


Quellen

[1] 8th International Conference on Biotherapy (ICB-2010), November 11 – 14, 2010, Universal Studios Hilton, Los Angeles; www.bterfoundation.org/icb/program.htm.

[2] Dumville JC, et al on behalf of the VenUS II team. VenUS II: a randomized controlled trial of larval therapy in the management of leg ulcers. Health Technol Assess 2009;13(55); DOI: 10.3310/hta13550.

[3] Takac P, et al. New antimicrobial factors of larval extracts of the blowfly Lucilia sericata. ICB-2010.

[4] Heuer H, Heuer L. Seraticin – ein antibiotischer Wirkstoff von Fliegenlarven. Dtsch Apoth Ztg 2010;150: 394– 395.

[5] Cerovsky V, et al. Lucifensin, the long-sought antimicrobial factor of medicinal maggots of the blowfly Lucilia sericata. Cell Mol Life Sci 2010;67:455– 466.

[6] Andersen AS, et al. A novel approach to the antimicrobial activity of maggot debridement therapy. J Antimicrob Chemother 2010, June 22; doi:10.1093/jac/dkq165.

[7] Plectasin: Progress in development of weapon against resistant Staphylococci; www.novozymes.com/en/news/news-archive/Pages/42457.aspx.

[8] Zasloff M. Antimicrobial peptides of multicellular organisms. Nature 2002;415:389– 395.

[9] Gohar YM, et al. The antibacterial activity of medicinal maggots of the blow fly Lucilia cuprina against multidrug-resistant bacteria frequently infected diabetic foot ulcers in Alexandria, Egypt: A preliminary in vitro study. ICB-2010.

[10] Sherman RA. In search of pain-free MDT: Effects of lidocaine on the debridement capacity of medicinal maggots. ICB-2010.

[11] Mumcuoglu YK, et al. Pain related to maggot debridement therapy. ICB-2010.

[12] Heuer H, Heuer L. Pain release drugs in maggot therapy – Uncover the physiological interaction. ICB-2010.

[13] Nigam Y, et al. The Physiology of Wound Healing by the Medicinal Maggot, Lucilia sericata. Adv Insect Physiol 2010;39:39– 81; DOI: 10.1016/S0065-2806(10)39002-3.


Autoren

Heike und Dr. Lutz Heuer

Am Krausberg 31,

41542 Dormagen

DAZ 2011, Nr. 3, S. 80

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