Arzneimittel und Therapie

Junge Erwachsene als besondere Herausforderung

Während der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie standen junge Patienten mit malignen Erkrankungen im Mittelpunkt. Für sie gilt es ganz besonders in der Psychoonkologie, neue Wege zu beschreiten.

Das Alter dieser Adoleszenten und jungen Erwachsenen (Adolescents and Young Adults, AYA) ist nicht streng definiert. Je nach Auslegung und nach persönlicher Entwicklung des Patienten handelt es sich um Patienten zwischen 15 bis 20, oder auch bis 35 Jahre. Ein breites Spektrum von Erkrankungen ist charakteristisch für dieses frühe Erkrankungsalter. Wegen der guten Therapiemöglichkeiten werden immer mehr Patienten geheilt, und schließlich ergibt sich eine Zahl von ca. 150.000 Patienten, die irgendwann einmal Krebs hatten und unter 40 Jahre alt sind. Langzeitnebenwirkungen sind nicht auszuschließen, was eine Langzeitnachbeobachtung wünschenswert macht. Eine Option zu Erfassung dieser Daten sind effiziente regionale klinische Krebsregister für alle Krebserkrankungen, die leider bisher nur in Einzelfällen installiert sind. Um eine Nachbeobachtung dieser Patienten realisieren zu können, sei die Gesundheitspolitik zum rationalem Handeln zu motivieren, um eine Finanzierung der Nachbeobachtung realisieren zu können, so die Veranstalter der DGHO.

ALL, Lymphome, Hodentumore

Anhand einiger ausgewählter Entitäten wurden die Unterschiede zwischen Adoleszenten und jungen Erwachsenen und Patienten anderen Alters beleuchtet. Die akute lymphatische Leukämie (ALL) zum Beispiel ist nicht der "AYA-Klassiker", wie man vermuten könnte. Die ALL tritt nämlich bei 15- bis 29-Jährigen nur mit einer Inzidenz von 2,1% aller Krebserkrankungen auf. Sie ist allerdings bei Kindern (0 bis 14 Jahre) die häufigste maligne Erkrankung und steht daher im Fokus der pädiatrischen Häm-atologie. Aufgrund der Rahmenbedingungen können somit adoleszente Patienten sowohl von Pädiatern als auch von internistischen Onkologen behandelt werden. Weder bei hochmalignen Lymphomen noch bei Hodgkin-Lymphomen gibt es Unterschiede zwischen Patienten im AYA-Alter und Erwachsenen im Hinblick auf Therapieergebnisse, Histologie oder Risikofaktoren. Insofern müssen die jungen Erwachsenen zwar nicht anders behandelt werden, aber sicher müssen sie anders psychoonkologisch begleitet werden.

Der Hodentumor ist der häufigste Tumor bei Männern zwischen 15 und 45 Jahren. Die Heilungsrate beträgt fast 100%. Die üblichen Behandlungsmethoden wie Cisplatin und Strahlentherapie können zu Infertilität und Jahre später zu Zweitmalignomen führen, was eine Langzeitbeobachtung wünschenswert macht.

Leitlinie für Heranwachsende und junge Erwachsene


Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e.V. (DGHO) hat eine Leitlinie "Heranwachsende und junge Erwachsene" erstellt. Sie ist auf der Online-Plattform Onkopedia zugänglich. Sie gibt Empfehlungen für die besondere Behandlung dieser Patientengruppe, die an Krebs oder einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems leiden. Die medizinischen und psychosozialen Bedürfnisse in dieser Altersgruppe unterscheiden sich wesentlich von Kindern einerseits und älteren Menschen andererseits. Die Prognose der krebserkrankten Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ist überdurchschnittlich gut, mehr als 80 Prozent werden langfristig geheilt. Zur weiteren Erhöhung der Zahl langfristig geheilter Patienten ist neben neuen Therapiestrategien auch eine Optimierung der Versorgung erforderlich. Dazu haben die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) und die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (OeGHO) erstmals Empfehlungen für die ärztliche Betreuung dieser Patientengruppe herausgegeben. Neben den Hinweisen auf die optimale Therapie der häufigsten Krebserkrankungen steht besonders die Vermeidung von Langzeitfolgen der Tumortherapie im Mittelpunkt. Weitere Themen der Leitlinie behandeln Maßnahmen und Regeln, um eine bessere Therapietreue bei jungen Patienten zu erreichen, Hinweise zur Rehabilitation und der besonders sensible Bereich der Fertilität. Hier werden verschiedene fertilitätserhaltende Maßnahmen vorgestellt und bewertet.

Die Leitlinie finden Sie auf den Seiten der Internetplattform Onkopedia www.dgho-onkopedia.de

Probleme der psychosozialen Orientierung

Im Leben eines Menschen gehört im späten Jugend- und jungen Erwachsenenalter der Rückzug aus dem Elternhaus zu den wesentlichen Dingen. Die jungen Menschen beginnen sich selbst zu versorgen, bauen außerfamiliäre Partnerschaften auf und streben nach Anerkennung. Mit der Diagnose Krebs stagnieren dieser Ablösungsprozess und die Neuorientierung des jungen Menschen. Alte Abhängigkeiten werden wieder hergestellt. In dieser Situation ist eine individuelle und maßgeschneiderte Behandlung und Betreuung sowohl bei der Diagnose der malignen Erkrankung als auch danach bei der Therapieplanung sehr wichtig für die Patienten. Gerade diesen jungen Menschen tut es gut, wenn sie in die Planung selber mit einbezogen werden, weil sie das Gefühl bekommen, selber etwas für sich zu tun und sich einzubringen. Sehr viele suchen auch die Begleitung in Selbsthilfegruppen. Auch unter dem Dach der DGHO gibt es Gruppen Adoleszenter und junger Erwachsenen, die professionell moderiert und begleitet werden.

Fertilität bei jungen Patienten

Für junge Patienten stehen sehr erfolgreiche, aber meist auch sehr aggressive Therapieformen zur Verfügung, und die Prognosen sind sehr gut. Eine Befragung zeigte, dass 75% der Überlebenden sich ein Kind wünschen. 2006 wurde das Netzwerk FertiProtekt gegründet. Frauen und Männern vor und nach einer Chemo- oder Strahlentherapie soll die Möglichkeit gegeben werden, sich nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich ihrer Fruchtbarkeit beraten und gegebenfalls auch Maßnahmen zum Schutz ihrer Fruchtbarkeit durchführen zu lassen. Bei Männern ist die Konservierung von Spermien inzwischen ein etabliertes Verfahren. Bei Frauen existieren erst seit wenigen Jahren effektive Techniken zur Fertilitätsprotektion. Durch eine Chemotherapie kommt es zu einer Atresie der Primordialfollikel und damit in Abhängigkeit von der Zahl der Follikel zu einer Ovarialinsuffizienz. Als fertilitätserhaltende Maßnahmen kommen die Kryokonservierung von unbefruchteten oder befruchteten Eizellen, eine Kryokonservierung von Ovarialgewebe, eine ovarielle Transposition vor Radiatio des kleinen Beckens oder eine Therapie mit GNRH-Analoga in Frage. Welche dieser Optionen für welche Patientin empfohlen wird, ist unter anderem abhängig von der onkologischen Therapie. Wie auch immer man sich entscheidet, so sollten auf jeden Fall fertilitätsprotektive Maßnahmen in das onkologische Therapieregime integriert und mit den Patienten frühzeitig beraten werden.


Quelle

D. Hölzel, München; M. Freund, Rostock; N. Gökbuget, Frankfurt; M. Wilhelm, Nürnberg, G. Wulf, Göttingen, P. Borchmann, Köln, A. Lorch, Marburg; S. Brathuhn, Neuwied; B. Lawrenz, Tübingen; V. König, Bad Oexen: "Besondere Behandlungs- und Betreuungsnotwendigkeiten bei jungen Krebspatienten" AYA (Adolescents and Young Adults)-Workshop der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Berlin, 17. bis 18. März 2011.


Apothekerin Dr. Annette Junker



DAZ 2011, Nr. 29, S. 37

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