Feuilleton

Ein Lesesessel und die "Sieben Säulen der Weisheit"

Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum ist zurzeit eine Sonderausstellung über den Engländer Thomas Edward Lawrence (1888 – 1935) zu sehen, der als "Lawrence of Arabia" in die Geschichte eingegangen ist. Wer kennt ihn nicht, den Film von David Lean aus dem Jahr 1962 mit Peter O’Toole als Lawrence, der den Mythos um diese Person festigte?
Foto: Eikermann
Lesesessel von T. E. Lawrence, 1933/34.

Ein besonders interessantes, weil einmaliges Ausstellungsstück ist ein Ledersessel, der durch seine etwa kubischen Ausmaße und seine eigenartigen Proportionen auffällt. Insgesamt wirkt das Möbelstück mit den breiten Armlehnen mächtig und imposant. Begutachtet man aber die mit einem Lammfell gemütlich und wärmend ausgepolsterte Sitzfläche, stellt man fest, dass ein Erwachsener mit "Normalfigur" da nicht Platz nehmen könnte – es sei denn, er unterzöge sich zuvor einer radikalen Abmagerungskur. Die Autorin erlaubte sich bei der Betrachtung des seltsamen Möbelstücks einige Gedankenkapriolen. Zuvor jedoch ein paar Worte zur Geschichte des Sessels und seines "Besitzers".

Man gönnt sich ja sonst nichts

Nach seiner diplomatisch-militärischen Mission während des 1. Weltkriegs in Arabien ("Aufstand in der Wüste") und dem anschließenden Militärdienst in der britischen Kronkolonie Indien wurde Thomas Edward Lawrence in der Militärbasis Bovington Camp bei Bournemouth im Südwesten Englands (Grafschaft Dorset) stationiert. Im Jahr 1923 mietete der 35-jährige Junggeselle im nahe gelegenen Clouds Hill ein bescheidenes Haus, das er zwei Jahre später kaufte. Es war karg ausgestattet, wie es seinem asketischen Lebensstil entsprach, und hatte nicht einmal Elektrizität.

Der einzige Komfort, den Lawrence sich ab Januar 1934 in seinem Domizil leistete, war der seltsame "Lesesessel" ("reading chair"), ausgestattet mit Halterungen für Kerzen an den Armlehnen und einem schräg gestellten Brett vorn oberhalb der Armlehen, das als Schreib- und Lesepult fungierte. Dieses Zubehör wurde abmontiert, bevor der Sessel als Leihgabe nach Köln verfrachtet wurde; es ist also in der Ausstellung nicht zu sehen, wohl aber in einer dort gezeigten Filmshow und natürlich im Katalog.


Der Sessel …


… ist 80 cm breit und fast ebenso tief und hoch (mit Rücklehne). Von der Breite nimmt die Sitzfläche genau die Hälfte ein; die jeweils 20 cm breiten Armlehnen dienten insbesondere zur Ablage von Büchern. Die etwas hervorragende Sitzfläche ist nur 40 cm breit, aber 65 cm tief. Lawrence konnte also entweder mit angewinkelten Beinen sitzen, ohne sich anzulehnen, oder sich anlehnen und dabei die Beine lang machen. Die nur 45 cm hohe Lehne bot dem Kopf keine Stütze. Damit hatte Lawrence vorgebeugt, dass er in dem Sessel einschläft.

In Clouds Hill, wo ein kleines Museum an Lawrence erinnert, ist derzeit eine Nachbildung des Sessels ausgestellt. Diese ist noch attraktiver als das Original, denn die Besucher dürfen in diesem Sessel Platz nehmen – oder es zumindest versuchen …


Quelle: "Lawrence von Arabien"
Morgenmantel von T. E. Lawrence.

Numen inest

Lawrence hatte den Sessel nach eigenem Entwurf, maßgeschneidert für seine Person, anfertigen lassen. Entscheidend dabei waren seine Statur und seine Bedürfnisse: Lawrence war nur 162 cm klein und sehr schlank, und er lebte nach Beendigung seiner Offizierslaufbahn als Privatgelehrter mit vielseitigen Interessen. In diesem Sessel sitzend und in seinen in der Ausstellung gezeigten prachtvollen arabischen Morgenmantel gekleidet, arbeitete der Bücherwurm und Schriftsteller und sinnierte wohl auch – so stelle ich es mir vor – über sich und seine Taten. Schon Jahre vorher, ab 1919, hatte er seine Erlebnisse im Orient zusammen mit lebensphilosophischen Betrachtungen niedergeschrieben, mehrmals umgeschrieben und 1926 unter dem Titel "Seven Pillars Of Wisdom" veröffentlicht.

Die Anregung zu diesem Titel haben dem Autor sicherlich die bizarren säulenartigen Felsformationen des Wadi Rum im heutigen Jordanien gegeben, von denen er überzeugt war: "Numen inest" (hier waltet Gott).

Daneben hat der tiefgläubige Lawrence wohl auch an König Salomo gedacht, der gesagt hatte: "Frau Weisheit hat ein Haus gebaut und es mit sieben Säulen ausgestattet." (Sprüche, Kap. 9, Vers 1) Welchen Zwecken die sieben Säulen dienten, steht dort freilich nicht. Das "Haus der Weisheit" war wohl eine Allegorie und sicher nicht der prächtige Palast Salomos in Jerusalem (1. Buch der Könige, Kap. 7), selbst wenn der prachtliebende König dort, auf seinem Löwenthron sitzend, seine sprichwörtlichen Urteile gesprochen hat.

Inspirationsquelle für den Minister?

Der Sessel inmitten vieler anderer interessanter Dokumente aus dem Leben des charismatischen Lawrence und dessen geistige Beziehung zu König Salomo regten die Verfasserin zu den nachfolgenden Gedanken an:

Beide Persönlichkeiten, Salomo und Lawrence, bekamen ihre weisen Eingebungen auf ihrem jeweiligen Gestühl. Wie wäre es, wenn auch der Gesundheitsminister auf einem Spezialsessel Platz nehmen würde? Natürlich nicht prunkvoll und bequem wie Salomo, sondern asketisch eingeengt wie Lawrence!

Mein Vorschlag: Bringt den Gesundheitsminister nach Köln, setzt ihn in Lawrence’ Sessel (was hinsichtlich der Statur des Ministers sicher unproblematisch ist) und lasst ihn erst dann aufstehen, wenn er die "Sieben Säulen der Weisheit" für die Gesundheitspolitik verkündet hat, sodass man davon sagen könnte: "Numen inest". Eile ist geboten, denn am 11. September schließt die Sonderausstellung; dann kehrt der Sessel wieder an seinen Platz in Clouds Hill zurück und nimmt die Weisheit mit.


Museum


Rautenstrauch-Joest-Museum

Cäcilienstraße 29 – 33, 50676 Köln

www.museenkoeln.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr

Katalog: Lawrence von Arabien, 472 S., 300 meist farb. Abb., 34,90 Euro

Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2010

ISBN: 978-3-8053-4243-8



Dr. Erika Eikermann, Köln


Die Verfasserin dankt Herrn Museumsdirektor Prof. Dr. Klaus Schneider und dem Kurator der Sonderausstellung, Herrn Prof. Dr. Detlef Hoffmann, für die freundliche Unterstützung.



DAZ 2011, Nr. 28, S. 88

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