Arzneimittel und Therapie

Zur aktuellen EHEC-Situation

Bislang sind dem Robert Koch-Institut (RKI) insgesamt 4047 EHEC- oder HUS-Fälle übermittelt worden. Einen entscheidenden Hinweis zur bislang ungeklärten Herkunft des Erregers könnte jetzt die Analyse eines kleinen Ausbruchs in Frankreich geben. In Bègles erkrankten 15 Personen an einer blutigen Diarrhö, die zuvor Bockshornkleesprossen verzehrt hatten. Der von den Sprossen isolierte Erreger ist mit dem in Deutschland nachgewiesenen Stamm identisch. Auch wurden zwischenzeitlich weitere Kenntnisse zur Virulenz des Stammes Escherichia coli O104:H4 gewonnen.

Bockshornkleesamen zur Sprossenzucht seien "mit großer Wahrscheinlichkeit Ursache des Ausbruchs" [1]. Davon geht das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer am 1. Juli in Berlin veröffentlichten Erklärung aus. Die aus Ägypten stammenden Samen gingen demnach über einen Zwischenhändler an den Sprossenbetrieb in Niedersachsen, der wiederum als Ausgangsort für die Erkrankungswelle in Deutschland gilt. Zuvor waren seit dem 24. Juni 15 Personen in der französischen Stadt Bègles an einer blutigen Diarrhö erkrankt, bei acht von ihnen kam es zum hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Nach Mitteilung des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) lassen sich die Erreger beider Herkunft nicht voneinander unterscheiden [3]. Das ägyptische Landwirtschaftsministerium wies einen Zusammenhang mit verseuchten landwirtschaftlichen Produkten aus dem eigenen Land auf Anfrage als völlig haltlos zurück.

Infektionsweg noch nicht abschließend geklärt

Alle französischen Patienten waren am 8. Juni 2011 auf einer Veranstaltung zusammengetroffen, auf der auch Bockshornkleesprossen, die über einen weltweit agierenden Händler aus Großbritannien geliefert wurden, serviert worden waren. Das Unternehmen hat die Sprossen nicht selbst angebaut, sondern über einen Zwischenhändler erworben, der sie wiederum in Ägypten eingekauft haben soll. Ägyptischer Bockshornkleesamen aus den Jahren 2009 und/ oder 2010 ist ebenfalls über einen Zwischenhändler an den gesperrten Sprossen-Hof in Bienenbüttel in Niedersachsen geliefert worden. "Auch andere Samenarten und -chargen könnten durch unhygienische Produktionsbedingungen im Herkunftsland mit dem Ausbruchstamm kontaminiert sein", so das BfR. Weiterhin bestehe die Möglichkeit einer Verunreinigung durch Reinigungs-, Misch- oder Abfüllprozesse bei den Zwischenhändlern, wobei auch andere Produkte verunreinigt worden seien. Den Verbrauchern wurde empfohlen, keine Sprossen selbst zu züchten oder roh zu verzehren [4].

Während zahlreiche Übertragungswege bekannt sind, dürfte es sehr schwierig werden, die eigentliche Infektionsquelle zu ermitteln. Die Übertragung einer EHEC-Infektion erfolgt hauptsächlich durch den Verzehr verunreinigter Lebensmittel wie unzureichend gegartes Rindfleisch oder sonstiges Fleisch, nicht pasteurisierte Milch und Käse, verschiedene Roherzeugnisse (z. B. Gurken, Sprossen, Spinat und Blattsalate) oder den Umgang mit ihnen sowie den Kontakt mit infizierten Tieren. Auch eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht ausgeschlossen. Da in Ägypten Bauern immer wieder Abwasser zum Bewässern ihrer Felder benutzen, könnte auch dies ein Hinweis auf eine mögliche Infektionsquelle sein.

Molekularbiologische Erregercharakterisierung

Unterdessen sind weitere Einzelheiten zum genetischen Profil des Erregers veröffentlicht worden. Isolate des Ausbruchsstammes aus Stuhlproben von 80 Patienten mit einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) wurden mit Referenzstämmen verglichen. Der Vergleich der Virulenzgene mit denen von Shiga-Toxin bildenden Escherichia coli zeigte eine völlige Übereinstimmung. Darüber hinaus konnten verschiedene Virulenzgene nachgewiesen werden, die charakteristisch für enteroaggregative Escherichia coli (EAEC)-Stämme, ebenfalls Erreger von Durchfallerkrankungen, sind. Die dadurch bedingte sogenannte aggregative Adhärenz an das intestinale Epithel könnte die hohe Zahl von HUS-Fällen erklären, da auf diese Weise fortlaufend Shiga-Toxin in die Zellen absorbiert werden kann. Zusätzlich wiesen alle Isolate ein Resistenzgen für eine ESBL (extended-spectrum beta-lactamase) auf. Der Erreger ist damit einer möglichen Antibiotika-Therapie noch schwerer zugänglich [2].

Ausmaß der Infektionswelle und Konsequenzen

Inzwischen gibt es 3202 Fälle mit einer Infektion mit EHEC in Deutschland, unverändert sind 17 EHEC-Patienten verstorben. Am hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) leiden nunmehr 845 Patienten, zwischenzeitlich sind 31 HUS-Patienten gestorben [1]. Das ECDC meldete mit dem Datenstand ebenfalls vom 4. Juli 2011 für ganz Europa 4173 EHEC- und HUS-Fälle. Einzelne Fälle werden auch aus Kanada und den USA gemeldet. Bei den meisten dieser Patienten ist ein Bezug zu Deutschland bekannt. Unklar bleibt eine weitere von den beiden europäischen Behörden mitgeteilte Erkrankung eines schwedischen Patienten ohne unmittelbare Verbindung zum Ausbruchsgeschehen.

Therapieempfehlungen nach wie vor

Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass wie bisher auch im Rahmen der aktuellen Epidemie der Einsatz von Fluorchinolonen, Cotrimoxazol, Aminoglykosiden und Fosfomycin bei Patienten mit EHEC nicht empfohlen wird [7]. Die Gefahr ungünstiger Wirkungen (vor allem bei bereits etablierter Infektion) überwiegt hier deutlich gegenüber der (in der Regel nur bei sehr frühem Einsatz eventuell erzielbaren) raschen Keimzahlreduktion. Aber eine derartige Einschränkung für eine Anwendung ist möglicherweise bei neueren Makroliden (gegebenenfalls auch bei Clindamycin) sowie bei Rifampicin/Rifaximin nicht in gleichem Maße gegeben. Ungünstige Wirkungen in vitro und in vivo wurden auch bisher nicht für Carbapeneme berichtet. Der Einsatz von Antibiotika kann in bestimmten Situationen bei Patienten mit EHEC-Infektion und Komplikationen einschließlich HUS klinisch indiziert sein. Insbesondere bei bereits eingetretenem HUS gibt es keine präklinischen und klinischen Daten, die eine Verschlechterung des Krankheitsbildes durch eine notwendige Antibiotikatherapie zeigen oder vermuten lassen. Allerdings sollte wegen der Komplexizität der Erregerresistenz bzw. -sensitivität eine Verordnung von Antibiotika nur durch klinische Spezialisten eingeleitet werden.

Therapeutisch stehen vor allem unterstützende Maßnahmen zur Symptombegrenzung im Vordergrund. Mittels Apherese wird das Blut der Patienten von den Pathogenen und Toxinen gereinigt. Patienten, die am hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) erkrankt sind, sollten auch nach dem Abklingen ihrer akuten Beschwerden mindestens ein Jahr lang regelmäßig zur Nachsorge gehen. Längerfristig sollte unter anderem untersucht werden, ob es in den Nieren vernarbte Stellen gibt, da die Gefahr besteht, dass diese Patienten einen Bluthochdruck entwickeln. Auch muss überprüft werden, ob sich neurologische Auffälligkeiten vollständig zurückbilden und ob es nach den blutigen Durchfällen bei einer EHEC-Infektion später vielleicht zu Problemen am Dickdarm kommt. Falls die Nierenfunktion unter 10% liegt, müssen die Patienten zur Dialyse. Einige der Patienten werden derzeit mit einer neuen Therapie unter dem monoklonalen Antikörper Eculizumab behandelt, deren Ergebnisse allerdings erst in einigen Monaten erwartet werden [5].

Kritik am Krisenmanagement

Nach dem Abebben der EHEC-Welle ist vor allem Kritik zum Krisenmanagement während der EHEC-Epidemie und zu den Meldewegen für schwere Erkrankungen aufgekommen. Die Gesundheitsminister der Länder teilten am vergangenen Donnerstag in Frankfurt am Main mit, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe solle Verbesserungsmöglichkeiten erarbeiten.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner kündigte eine "Manöverkritik" an. Bei der EHEC-Epidemie hätten Meldungen aus dem ärztlichen Bereich teilweise "etwas zu lange gedauert", sagte der amtierende Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Stefan Grüttner [6].

Der ökonomische Schaden ist derzeit noch nicht absehbar. Der Deutsche Bauernverband hatte die Umsatzeinbußen für die deutschen Landwirte bis zur Aufhebung der Verzehrwarnung auf 75 Millionen Euro beziffert. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium unterstrich, Gemüseerzeuger könnten eine EU-Entschädigung erhalten, wenn sie seit dem 26. Mai 2011 Gurken, Tomaten, Salat, Paprika und Zucchini nicht vermarktet hätten. Für die niedersächsischen Erzeuger ergebe sich eine mögliche EU-Entschädigung von rund 2,5 Millionen Euro. Die Zukunft des Biohofs im niedersächsischen Bienenbüttel, dessen Sprossen als Auslöser der EHEC-Epidemie gelten, ist weiterhin ungewiss.


Quelle

[1] Informationen zum EHEC/HUS-Ausbruchsgeschehen, Stand 4. Juli 2011, www.rki.de

[2] Bielaszewska, M. et al.: Characterisation of the Escherichia coli strain associated with an outbreak of haemolytic uraemic syndrome in Germany, 2011: a microbiological study. The Lancet Infectious Diseases (2011; doi:10.1016/S1473-3099(11)70165-7 vom 23. Juni 2011.

[3] Shiga toxin-producing E. coli (STEC): Update on outbreak in the EU (4 July 2011, 11:00). European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)

[4] EHEC-Ausbruch: BfR rät auch vom Verzehr von selbstgezogenen rohen Sprossen und Keimlingen ab. Mitteilung vom 12. Juni 2011, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

[5] EHEC-Patienten müssen ein Jahr zur Nachsorge. Mitteilung vom 29. Juni 2011. www.welt.de

[6] EHEC-Epidemie: Meldewege auf dem Prüfstand. Mitteilung vom 30. Juni 2011. www.aerzteblatt.de

[7] EHEC und Antibiotikabehandlung. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) vom 1. Juni 2011.


Dr. Hans-Peter Hanssen



DAZ 2011, Nr. 27, S. 30

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