DAZ-Jubiläumskongress

Mehr Geld für das höchste Gut Gesundheit

Einen starken Eindruck bei den Gästen des DAZ-Jubiläums hinterließen die teilweise provozierenden Thesen von Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling, Stuttgart. Er wirft der Gesellschaft einen opportunistischen Umgang mit dem Gesundheitswesen vor und sieht die Apotheker ebenso wie andere Leistungserbringer in einer Falle zwischen Ansprüchen und Zahlungsbereitschaft der Gesellschaft. Doch zeigte Dettling auch Wege aus dem Dilemma – durch mehr Geld für das höchste Gut Gesundheit.
Dr. Heinz-Uwe Dettling

Nach Einschätzung von Dettling muss der Gesundheit die höchste Priorität eingeräumt werden, denn ohne Gesundheit habe man gar nichts. Gesundheit sei ein Höchstwert im verfassungsrechtlichen Sinn, der Schutz der Gesundheit damit eine Kernaufgabe des Staates. Doch dieser Höchstwert befinde sich im Kampf mit den Realitäten einer Demokratie. Dort präge eine eher junge und gesunde Mehrheit die öffentliche Meinung und räume der Gesundheit nur relative Priorität ein. "Gesunde sind nicht bereit, so viel Mittel für Gesundheitsausgaben aufzubringen, wie sie als Kranke fordern würden", zitierte Dettling den nordrhein-westfälischen Landessozialrichter Dr. Ulrich Freudenberg.

Verbreiteter Opportunismus

Dieser Konflikt führe im demokratischen Alltag zu opportunistischem Verhalten nach dem Prinzip von Trittbrettfahrern. Doch erklärte Dettling, diese Reaktion sei nicht nur unethisch, sondern auch irrational. Denn schon der klassische Nationalökonom Adam Smith ebenso wie die moderne Spieltheorie hätten gezeigt, dass alle Beteiligten eines System besser dastehen, wenn sie sich auf die Interessen der anderen einstellen. Dennoch konstatierte Dettling eine opportunistische Grundhaltung und "Geldverrücktheit" der Kultur. Dieses Problem sieht er sogar bei den Gerichten bis zum Bundesverfassungsgericht und beim Deutschen Ethikrat, der erst kürzlich in einer Stellungnahme zu Kosten-Nutzen-Analysen eine Diskussion über Grenzen einer solidarischen Finanzierung empfohlen hat. Dies ist für Dettling die falsche Konsequenz aus der bestehenden Situation. Denn erstens habe Geld einen höheren Rang als Gesundheit und zweitens sei die Knappheit ein ungeprüftes Pauschalurteil.

"Geiz ist nicht geil. Geiz ist krank, und Geiz macht krank."

Dr. Heinz-Uwe Dettling

Geld ist genug vorhanden

Im Gegensatz zu anderen Betrachtern sieht Dettling noch große Spielräume, da Deutschland ein reiches Land sei. Neben den gängigen Vorschlägen zur Rationalisierung und zur Rationierung werde die dritte Option oft unter den Tisch gekehrt, nämlich die Erhöhung der Finanzmittel im Gesundheitswesen. Maßstab dafür solle nicht das heutige GKV-System sein, vielmehr böten die Bürgerversicherung oder ein von Dettling bevorzugtes Prämiensystem Alternativen. Den Maßstab für die Ausgaben bilde dagegen das Bruttoinlandsprodukt, bei dem Dettling viele Möglichkeiten sieht. Er verglich die GKV-Ausgaben mit den Aufwendungen für Konsum, Freizeit, aber auch für Nahrung, Verkehr und Medien, bei denen niemand eine Rationierung diskutiere. Bei vielen Freizeitbeschäftigungen sieht Dettling noch große Spielräume und insgesamt eher keine Knappheit. Doch "Rationierung ohne wirkliche Knappheit ist weder rational noch ethisch vertretbar", so Dettling. Weiter folgerte er: "Die Finanzierung von Gesundheit ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens – und damit auch eine Frage des Sollens."


Lösungschancen Dettling: Es sei rational und liege im Eigeninteresse des Menschen, mehr Geld für die Gesundheit auszugeben. Die Finanzmittel müssten nach der "Hierarchie der Dringlichkeit" verwendet werden.

Stellung der GKV im Rechtssystem

Doch zeigt sich Dettling von den maßgeblichen Instanzen enttäuscht, mit der Ausnahme des sogenannten Nikolaus-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, in dem der Höchstwert der Gesundheit betont wurde. Davon abgesehen habe es das Bundesverfassungsgericht verpasst, ernst zu machen, stattdessen stelle es die Interessen der GKV über die der Leistungsempfänger, so Dettling. Er kritisierte, die Existenz der GKV werde wie ein Selbstzweck betrachtet, es werde mehr der hohe Rang des Systems und weniger der hohe Rang der Gesundheit betont. In der PKV würden solche Vorgehensweisen niemals akzeptiert, weil die Beiträge einen Anspruch begründen, doch auch die GKV-Versicherten würden Beiträge leisten. Letztlich fordert Dettling in der GKV dieselben Grundrechte für die Menschen, die anderswo auch gelten.

Dilemma der Leistungserbringer

Stattdessen weise das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu und "setzt die Gesundheitspolitik so schutzlos den opportunistischen Erwartungen der Mehrheit der Wähler aus", so Dettling. Die Folgen seien Sondersolidarlasten für Minderheiten, insbesondere für die Hochbeitragzahler in der GKV, die ähnliche Beiträge wie in der PKV zahlen, aber weniger Leistungen erhalten. Weitere Solidarlasten würden den Leistungserbringern aufgebürdet, wie den Apotheken mit Rabattvertragschaos, Apothekenrabatt und AMNOG. Erst verzichte der Gesetzgeber auf ein staatliches Gesundheitswesen, doch dann senke er die Gewinne. "Das ist nichts anderes als kalte Sozialisierung", so Dettling. Weiter folgerte er: "Die Leistungserbringer sind der Willkür der Mehrheit schutzlos ausgeliefert." Den Ärzten werde empfohlen ihre Rechte politisch zu erstreiten, wenn sie das täten, würden sie aber als Erpresser diffamiert. "Hier stellt sich die Frage, wer der Erpresser ist: Derjenige, der Zahlung für seine Leistung fordert, oder derjenige, der Leistung ohne Zahlung fordert?", so Dettling. Letztlich werde der opportunistische Trittbrettfahrer zum gesellschaftlichen Maßstab. Bereits jetzt seien die Folgen erkennbar, Ärzte würden abwandern, Apotheken und Krankenhäuser schließen. "Ein Land zerstört sein Gesundheitssystem", so Dettling.

"Auch Leistungserbringer sind Menschen."

Dr. Heinz-Uwe Dettling

Lösungsweg

Doch prognostiziert Dettling, dass sich die Leistungserbringer aus dieser Ethikfalle befreien werden. Er rät dafür nicht zu Demonstrationen in Berlin, sondern in Karlsruhe. "Denn das Bundesverfassungsgericht trägt die Verantwortung für den Niedergang unseres Gesundheitswesens", erklärte Dettling. Es lasse die GKV nicht nur zu einem Sorgenkind des Rechtsstaates, sondern auch zu einem nicht mehr funktionsfähigen Gebilde degenerieren. Dagegen rät Dettling zu einem Zusammenschluss der Leistungserbringer, Hochbeitragszahler und Patienten. So sieht er letztlich Chancen für eine Lösung des Problems. Es sei rational und liege im aufgeklärten Eigeninteresse der Menschen, mehr Geld für Gesundheit auszugeben. Die Finanzmittel müssten nach der "Hierarchie der Dringlichkeit" verwendet werden. Zudem sei es rational, nicht diejenigen, von denen man gut behandelt werden will, schlecht zu behandeln. So fordert Dettling ein rationales und ethisches Reziprozitätsprinzip. Dazu gehöre das Leitbild eines ethischen Verbrauchers, der nicht nur fordert, sondern auch angemessene Gegenleistungen bietet, anstelle der "ausgeprägten Misstrauenskultur" im Gesundheitswesen.

Problematisch seien aber auch die Schwächen der Demokratie, in der die Mehrheit versucht Lasten auf Minderheiten abzuwälzen. Doch darum habe das Grundgesetz dem Demokratieprinzip die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip an die Seite gestellt, die auch die demokratisch legitimierte Gewalt binden. Daher folge aus der Anerkennung der Gesundheit als Höchstwert, ausreichende Personal- und Sachmittel für das Gesundheitswesen bereitzustellen. Denn letztlich sei die Gesundheit Voraussetzung für Freiheit. So sieht Dettling letztlich gute Aussichten für ein Gesundheitswesen, in dem es Patienten und Leistungserbringern besser geht als heute.


tmb

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