Aus Kammern und Verbänden

Apotheken zwischen Qualitätsanstrengungen und Existenznot

In der Kammerversammlung der Apothekerkammer Hamburg am 27. Juni berichtete Kammerpräsident Rainer Töbing über die großen Belastungen der Apotheken durch politische Maßnahmen, erläuterte aber auch weitere Bemühungen um Qualität. Er stellte die Ergebnisse von Beratungstests und ein neues Projekt für Ausbildungsapotheken vor.

Das AMNOG ist nach Einschätzung von Töbing zum "Horror-Szenario" für die Apotheken geworden. Die Prognosen der Apotheker seien Realität geworden. In Verbindung mit den Margenkürzungen des Großhandels belaste das AMNOG die Apotheken mit 400 Millionen Euro jährlich, der jährliche Rohertrag einer Apotheke sinke durchschnittlich um 18.500 Euro. So geraten viele Apotheken aktuell in Existenznot, und es sei völlig inakzeptabel, wenn die Politik den Markt nur weiter beobachten wolle, sondern sie müsse jetzt handeln. Die Apotheker fordern,

  • den Zwangsabschlag sofort zu senken,

  • diesen ab 2012 wieder in die Hand der Selbstverwaltung zu geben und

  • das Apothekenhonorar in der Arzneimittelpreisverordnung zu dynamisieren.

"Jetzt ist eine Anpassung überfällig", so Töbing. Wenn Ärzte von den GKV-Einnahmen leben können müssen, habe die Gesellschaft die Pflicht dafür sorgen, dass auch die Apotheker von den GKV-Umsätzen leben können.

Foto: DAZ/tmb
Rainer Töbing, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, sieht die Apotheker auf einer schwierigen Gratwanderung zwischen eigenen Qualitätsanstrengungen und den ­politischen Rahmenbedingungen.

Neue Apothekenbetriebsordnung

Zudem kritisierte Töbing mehrere Inhalte des jüngsten Positionspapiers zur neuen Apothekenbetriebsordnung. Besonders bedenklich sei die Privilegierung von Filialverbünden. Dies könne im Extremfall dazu führen, dass nur jede vierte Apotheke das volle Leistungsspektrum anbietet. Außerdem passe die geplante Liberalisierung beim Botendienst und bei Rezeptsammelstellen nicht zu der Idee, die Beratungspflicht präzisieren zu wollen. Ihm dränge sich das Gefühl auf, "hier ziehen im Ministerium mehrere Leute an einem Strang, aber in verschiedene Richtungen", so Töbing.

Akademische Ausbildungsapotheke

Als neues Projekt der Apothekerkammer Hamburg stellte Töbing die "Akademische Ausbildungsapotheke" vor. Orientiert am Vorbild der Apothekerkammer Baden-Württemberg, solle eine Akkreditierungsrichtlinie für Apotheken geschaffen werden. Darin sollen Voraussetzungen an die Apothekenstruktur und die Qualifikation des Ausbilders definiert werden, um die Anerkennung der Kammer als Ausbildungsapotheke zu erhalten. Auch Apotheken ohne diese Anerkennung sollen weiter ausbilden dürfen, aber die Akkreditierung sei als Orientierung für die künftigen Pharmazeuten im Praktikum gedacht. Außerdem berichtete Töbing, die Apothekerkammer Hamburg habe ihr elektronisches Qualitätsmanagement-Handbuch wesentlich vereinfacht und erneuert.

Beratungstests der Apothekerkammer

Mittlerweile wird in Hamburg der dritte Zyklus von Beratungstests durchgeführt, wobei jeweils alle Apotheken in der Hansestadt besucht werden. Töbing zeigte sich erfreut, dass die angebotenen Feedbackgespräche weiterhin gut angenommen werden. Als Neuerung bei diesen Gesprächen findet auch eine kurze Schulung über eine strukturierte Beratung zu dem getesteten Indikationsgebiet statt. Nach einem Drittel des dritten Testzyklus zeige sich kein einheitliches Bild. "In der Spitze werden wir besser", so Töbing. Dies zeige deutlich, dass die Qualitätsanforderungen erfüllt werden können. Doch bereite ihm Sorge, dass die Kammer einen Teil der Kollegen mit ihren Angeboten zur Förderung der Beratungsqualität offenbar überhaupt nicht erreicht.

Weiterhin warnte Töbing vor der Annahme, nur Patienten, die ein Symptom ansprechen, hätten Beratungsbedarf. Dazu verwies er auf die Ergebnisse der Umfrage zur "Hamburger Erklärung" über die Beratung in Apotheken. Demnach kommen über 90 Prozent der Kunden mit einem klaren Produktwunsch in die Apotheke und suggerieren damit, nicht beratungsbedürftig zu sein. "Die Äußerung eines konkreten Präparatewunsches darf aber nicht verwechselt werden mit einem ausreichenden Kenntnisstand der Kunden zum gewünschten Produkt", mahnte Töbing. Denn nur die Hälfte dieser Patienten habe das Produkt von einem Arzt oder Apotheker empfohlen bekommen. Die andere Hälfte berufe sich auf weniger zuverlässige Informationsquellen oder Gewohnheiten, wie immer diese entstanden sein mögen.

Gratwanderung

Für die Zukunft sieht Töbing zahlreiche Themenfelder, in denen pharmazeutische Kompetenz gefordert ist. Doch können sich die Apotheker nur einbringen, wenn die Rahmenbedingungen dies erlauben, und "die momentanen Rahmenbedingungen lassen dies immer weniger zu", so Töbing. "Ich bin mir der extremen Gratwanderung bewusst, die ich Ihnen abverlange, wenn ich auf der einen Seite immer wieder eine Verstärkung unserer Qualitätsanstrengungen anmahne und die Politik uns auf der anderen Seite das Wasser abgräbt", erklärte Töbing. Es sei zu befürchten, dass immer weniger Raum und Zeit bleibt, die Angebote zur Optimierung pharmazeutischer Dienstleistungen anzunehmen.

Persönlicher Rückzug

Schließlich verwies Töbing auf die im Herbst anstehende Kammerwahl und warb um Kandidaten. Er selbst werde für die neue Amtszeit ab 2012 nicht mehr als Präsident zur Verfügung stehen.

Im Mittelpunkt der Kammerversammlung stand ein Vortrag von ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt zur berufspolitischen Lage und zum ABDA-KBV-Modell (siehe
Seite 20).


tmb



DAZ 2011, Nr. 27, S. 84

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