Feuilleton

Gelbwurz, Blutwurz, Braunwurz*

"Wurzelsepp" nannten wir als Studenten unseren Botanikprofessor, weil Wurzeln, Rhizome und Knollen seine Lieblingsthemen waren: ihre Morphologie, Anatomie und Physiologie ebenso wie ihre Chemie, vor allem ihre nutzbaren Inhaltsstoffe. Hier wollen wir uns mit einigen farbigen Verbindungen befassen, die (auch) pharmakologisch interessant sind.

Das tief gelbe Alkaloid Berberin ( Abb. 1 ) kommt vor in der Wurzel und der Rinde der Berberitze (Berberis vulgaris) und anderer Berberidaceen (z. B. Mahonia spp.), in der Kanadischen Gelbwurz (Hydrastis canadensis, Ranunculaceae) und der Kolombowurzel (Jatrorrhiza palmata, Menispermaceae), ferner auch im Schöllkraut (Chelidonium majus, Papaveraceae). Es diente früher zum Färben von Wolle, Baumwolle, Seide und Leder, hat aber – für ein Alkaloid nicht verwunderlich – auch pharmakologische Wirkungen: Es wirkt hypotensiv, muskelrelaxierend, atmungsstimulierend, antibakteriell, fungizid, zytotoxisch und antineoplastisch; früher wurde es als Malariamittel und Antipyretikum angewendet.

Weitere gelbe Alkaloide sind beispielsweise das Sanguinarin (Benzo[c]phenanthridin-Alkaloid) und das Rutacridon. Rot sind die Betalaine, die allerdings keine pharmakologische Bedeutung haben ("Chromo-Alkaloide", s. DAZ Nr. 12, S. 110). Ansonsten sind Alkaloide meist farblos und erscheinen in pulverisierter oder mikrokristalliner Form dem menschlichen Auge als weiß.

Das in kristalliner Form goldgelbe Pimpinellin ( Abb. 2) ist ein Furocumarin und kommt – oft in Begleitung von Isopimpinellin – in Umbelliferen vor wie der Großen und Kleinen Bibernelle (Pimpinella major, P. saxifraga) oder dem (Riesen-)Bärenklau (Heracleum mantegazzianum, H. sphondylium); in der Petersilie und im Sellerie hat es die Funktion eines Phytoalexins, d. h. dass die Pflanzen es nach einer Infektion zur Abwehr von Schadorganismen bilden. Als Farbstoff hat Pimpinellin keine Bedeutung, wohl aber als Photosensibilisator: cave Heracleum!

Abb 1: Berberin (Alkaloid).
Curcumin oder: Der gelbrote Geist Indiens. Grafik: H. Roth, 1986

In vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung ist das gelbe bis orangegelbe Curcumin, das sich von der Ferulasäure ableitet ( Abb. 3). Es ist das Hauptpigment in der Wurzel von Curcuma-Arten (Zingiberaceae) und soll auch zur choleretischen und cholekinetischen Wirkung der offizinellen Javanischen Gelbwurz (C. xanthorrhiza) beitragen. Da es nicht lichtecht ist, ist es heute als Textilfarbstoff nicht mehr gefragt, wohl aber als Lebensmittelfarbstoff (E 100) für Butter, Gebäck, Käse und Liköre. In Form von Curcuma-Papier dient es zum Nachweis von Borsäure, Boraten und Alkalien.

Curcumin verleiht auch dem Curry seine Farbe. Die aus Indien stammende, universale Gewürzmischung (für Fleisch, Geflügel, Fisch, Gemüse, Reis, Soßen …) riecht charakteristisch nach Gelbwurz (C. longa), aber je nach den sonstigen Zutaten – Gewürznelken, Ingwer, Kardamom, Koriander, Kreuzkümmel, Macis, Paprika, Pfeffer, Zimt und einigen weiteren gaumenkitzelnden Stoffen – etwas unterschiedlich.

Abb. 2: Pimpinellin (Furocumarin).

Alizarin. Die Krappwurzel (Färberröte, Rubia tinctorum, Rubiaceae) war einmal eine Arzneidroge, weil sie aufgrund ihres Gehalts an Anthranoiden leicht krampflösend und entzündungshemmend wirkt; heute ist sie obsolet (außer in der Homöopathie), zumal einige Anthranoide wie das Lucidin kanzerogen sind. Ihre wichtigste farbgebende Substanz ist das Alizarin (1,2-Dihydroxyanthrachinon); als Prototyp seiner Glykoside gilt die Ruberythrinsäure (Alizarinprimverosid, Abb. 4). 

Bevor die spätere Firma Hoechst 1869 das synthetische Alizarin auf den Markt brachte, war die Krappwurzel eine der wichtigsten Färberpflanzen. Je nach ihrer Aufbereitung und der Vorbehandlung der Wolle konnten rote, altrosa, aprikosenfarbene und pastellfarbene Färbungen erzielt werden. Eine in Vorderasien traditionelle Zubereitung war das intensiv leuchtende Türkisch Rot, das seit dem frühen 19. Jahrhundert in Europa fabrikmäßig hergestellt wurde. So waren z. B. die Soldatenhosen der Franzosen mit Türkisch Rot gefärbt. 

In Japan wurde die rote Sonne in der Nationalflagge traditionell mit der dortigen Krappwurzel (R. cordifolia) gefärbt.

Abb. 3: Curcumin oder Diferuloylmethan (Ketoform).


Türkischrotöl


… war die Bezeichnung für Emulsionen aus ranzigen Ölen, die als Rückstände bei der Olivenölgewinnung anfielen, gemischt mit Soda, Wasser und Schafsmist. Als Beize diente es zur Vorbehandlung der Wolle vor dem Färben mit Krappwurzeln, um das gleichmäßige Aufziehen des Farbstoffs zu gewährleisten (s. DAZ 16, S. 85).

Der Apotheker Friedlieb Ferdinand Runge fand 1834 einen besseren Ersatz, indem er Schwefelsäure auf Olivenöl einwirken ließ und sulfoniertes Öl erhielt. In Schottland verwendete man anstelle von Olivenöl das damals dort billigere Rizinusöl; daher stammt die Bezeichnung Sulforicinolat, die sich als Synonym für Türkischrotöl etabliert hat. Der Industriechemiker Horace Koechlin verkürzte um 1875 die Beiz- und Färbeprozedur von zwei Monaten auf wenige Tage.

Heute existiert eine ganze Reihe synthetischer Alizarinfarbstoffe, die durch Substitution des Anthrachinon-Grundgerüstes erhalten und als Beizenfarbstoffe verwendet werden.

Alkannin ist mit 5 bis 6% in der Rinde der Alkanna- oder Schminkwurzel (Alkanna tinctoria, Boraginaceae) enthalten. Das Naphthochinon-Derivat ( Abb. 5) ist in neutraler Lösung rot, in alkalischer Lösung blau und dient als Indikator; eher selten wird es zum Färben von Lebensmitteln und Kosmetika benutzt (keine E-Nummer!). Da es wundheilend wirkt, ist es in einigen Ländern offizinell, nicht jedoch in der Bundesrepublik. In Japan wird das violette Shikonin (D-Alkannin) aus dem Blauroten Steinsamen (Murasaki, Lithospermum erythrorhizon, Boraginaceae) als Arzneistoff zur Wundbehandlung verwendet.

Henna, der bei vielen Frauen beliebte hautverträgliche Farbstoff aus dem Orient, ist mit Alkanna nicht nur sprachverwandt (hier fehlt der arabische Artikel "al"; das "h" bzw. "k" geht auf denselben arabischen Laut zurück, der wie "ch" in Bach gesprochen wird); seine farbgebende Komponente, das Hydroxynaphthochinon Lawson, ist auch chemisch mit dem Alkannin verwandt ( Abb. 5). Allerdings gehört die Stammpflanze Lawsonia inermis zu einer anderen Familie (Lythraceae), und der Farbstoff wird nicht aus der Wurzel, sondern aus den Blättern gewonnen. 

Abb. 4: Rote Anthrachinon-Derivate.
Abb. 6: Dimeres CatechinDas Trimer entsteht durch eine weitere 4,8-Ver- knüpfung. Auch 6,4‘-Verknüpfungen kommen vor. Zusammenfassend werden di- und trimere Catechi- ne als oligomere Proanthocyanidine (Procyanidine) bezeichnet. Sie sind farblos und finden sich u. a. in einigen Wurzelrinden, wo sie zu roten Phlobaphe- nen kondensiert werden können.

Tormentillrot. Die im 3. Nachtrag des gültigen Europäischen Arzneibuchs monografierte Tormentilltinktur stellt einen ethanolischen Auszug aus dem ebenfalls offizinellen Tormentillwurzelstock (Potentilla erecta , Rosaceae) dar, der als Adstringens bei Entzündungen im Mund und Rachen indiziert ist (Pinselung oder Gurgeln). Wegen ihrer roten Farbe hieß die Droge früher Blutwurz. Farbgebend sind die Phlobaphene (griech. phloios = innere Rinde und baphe = Farbstoff); sie entstehen, katalysiert durch oxidierende Enzymsysteme, aus Flavonolen sowie bei der Lagerung aus kondensierten Gerbstoffen (oligomere Proanthocyanidine syn. Procyanidine; meistens dimere oder trimere Catechine mit 4,8-Bindung, Abb. 6). Sie sind chemisch wenig definiert und tragen – im Gegensatz zu ihren Ausgangsstoffen – nicht zur therapeutischen Wirkung bei. 

Eine andere Gerbstoffdroge mit gleicher Indikation ist die Ratanhiawurzel (Krameria lappacea, Krameriaceae). Sie enthält etwa 10% Proanthocyanidine (mit 2 bis 14 Flavonolen, 4,8- und 6-4’-Bindungen) und ist ebenso wie die Ratanhiatinktur offizinell (Ph. Eur.). Auch hier verursachen Phlobaphene die Rotfärbung. 

Ferner beruht die Rot- bzw. Braunfärbung der Colasamen, der Gewürznelken und der Zimtrinde auf Phlobaphenen. 

Abschließend sei eine obsolete Wurzeldroge mit farbigem Namen erwähnt: die Braunwurz (Scrophularia nodosa, Scrophulariaceae). Sie wurde früher bei Kindern mit Skrofeln eingesetzt (Skrofulose, chronische Lymphdrüsenentzündungen, insbesondere am Hals, oft zusammen mit Tuberkulose). Zum Färben taugte die Braunwurz nicht.

Abb. 5: Rotes und braunes Naphthochinon-Derivat.

Weiterführende Literatur

Helmut Schweppe: Handbuch der Naturfarbstoffe. ecomed, Landsberg 1993.

Horst Rimpler: Biogene Arzneistoffe, 2. Aufl., Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1999.

Hagers Handbuch der Drogen und Arzneistoffe. Springer-Verlag Berlin u. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.

Europäisches Arzneibuch mit Nachträgen; Kommentar zum Europäischen Arzneibuch. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart.

Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe
www.h-roth-kunst.com
info@h-roth-kunst.com


* Herrn Prof. Dr. Gerhard Rücker in angenehmer Erinnerung an die gemeinsame Bonner Zeit und in kollegialer Verbundenheit zum 80. Geburtstag gewidmet.




DAZ 2011, Nr. 26, S. 74

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.