Arzneimittel und Therapie

Weniger Neuinfektionen, aber trotzdem keine Entwarnung

Zwar werden dem Robert Koch-Institut seit einigen Tagen deutlich weniger Erkrankungen an HUS/EHEC gemeldet. Auch ist es gelungen, den EHEC-Stamm O104:H4 zu charakterisieren sowie rohe Sprossen als Überträger für die EHEC-Infektionen zu identifizieren. Doch Entwarnung kann nicht gegeben werden, denn noch immer ist unklar, wo die eigentliche Infektionsquelle liegt. Es sollten weiterhin die Hygieneempfehlungen im Umgang mit Lebensmitteln und Patienten streng befolgt werden.

Escherichia coli ist ein Bakterium mit vielen Varianten. Um die verschiedenen Eschericha-coli-Stämme serologisch voneinander zu unterscheiden, werden die sogenannten O-, K- und H-Antigene zur Charakterisierung herangezogen. Beim derzeitigen EHEC-Ausbruchsgeschehen ist als Ausbruchsstamm der Serotyp O104:H4 eindeutig als Krankheitsursache identifiziert worden. Die O-Antigene sind als Lipopolysaccharide (LPS) Strukturbestandteile der äußeren Zellmembran. O-Antigen besitzende Bakterienstämme bilden auf festen Kulturmedien glänzende Kolonien, sie werden auch als S-Formen (engl. smooth) bezeichnet. Bei den K-Antigenen handelt es sich um die Kapselsubstanz. Nicht alle Stämme – auch nicht der aktuelle – tragen K-Antigene. Die Geißelproteine stellen die H-Antigene dar und kennzeichnen die zur Fortbewegung genutzten Flagellen. Das Nationale Referenzlabor in Wernigerode hat von den bislang untersuchten ca. 650 Proben bei 439 Patientenproben den Ausbruchsstamm O104:H4 identifiziert. Dabei handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Kreuzung aus zwei verschiedenen Typen von pathogenen Escherichia-coli-Typen. Zudem liegen besondere Resistenzeigenschaften vor.

Beschränkte Behandlungsoptionen

Der Stamm zeigt eine erhöhte Resistenz gegen Cephalosporine der 3. Generation, sowie eine breite Mehrfachresistenz unter anderem gegen Trimethoprim/Sulfonamid und Tetrazykline. Dies ist allerdings klinisch ohne Relevanz, da Infektionen mit enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) trotz einer In-vitro-Empfindlichkeit gegen Chinolone, Carbapeneme bzw. Aminoglykoside in der Regel nicht mit Antibiotika behandelt werden. Eine antibakterielle Therapie kann die Bakterienausscheidung verlängern und zur Stimulierung der Toxinbildung führen. Außer einer supportiven bzw. symptomatischen Therapie unter anderem mit Ausgleichen der Flüssigkeits- bzw. Mineralstoffverluste, Plasmapherese, forcierter Diurese und Dialyse wird zur Zeit eine experimentelle Therapie mit dem monoklonalen Antikörper Eculizumab (Soliris®) erprobt, der bei drei Kleinkindern mit hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) über eine Komplementblockade zu einer raschen Besserung führte, auch erste Erfolge bei Erwachsenen werden berichtet. Bei blutigen Stühlen und klinischen Zeichen der Nierenfunktionsstörung oder hämolytischen Anämie oder Thrombopenie sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden. Beim Verdacht auf EHEC darf nicht einfach zur Selbstmedikation gegriffen oder geraten werden, näheres siehe Kasten "Akute Diarrhö und EHEC".

Prof. Dr. Thomas Herdegen

Akute Diarrhö und EHEC:

Loperamid bei wässrigen, aber nicht bei blutigen Durchfällen!


Eine Infektion mit EHEC kann sich als Durchfall von geringerem aber auch stärkerem Ausmaß bemerkbar machen. Viele Patienten greifen aus naheliegendem Grund zu Durchfallmitteln wie Loperamid (Imodium ® und andere), um den Durchfall zu stoppen. Nun gilt Loperamid bei den durch EHEC verursachten blutigen Diarrhöen als kontraindiziert.

Andererseits stellt gerade jetzt im Sommer ein wässriger Durchfall für ältere Menschen ein echtes Gesundheitsrisiko dar, wenn nicht adäquat Volumen und gegebenenfalls Elektrolyte substituiert werden. Wie soll man also verfahren?

Um diese Frage vor dem Hintergrund der EHEC-Problematik zu beantworten, gibt der Kieler Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Herdegen nach Rücksprache mit norddeutschen Gastroenterologen folgenden Rat zum Gebrauch von Loperamid:

  • Infektion mit EHEC. Bei EHEC steht der Durchfall nicht immer im Vordergrund der Symptome. Kommt es durch EHEC zur Diarrhö, so ist der Stuhl eher breiig-schmierig und zeigt schnell Spuren von Blutbeimengung (sogenannte blutige Diarrhö), oft verbunden mit schmerzhaften Koliken. In diesem Fall muss Loperamid unbedingt vermieden werden. Bei blutigem Stuhl sollte sofort Arzt oder Krankenhaus aufgesucht werden.

  • Wässrige Diarrhöen. Bei den überwiegenden Fällen von ausgeprägten Diarrhöen in Deutschland, zumal außerhalb von Norddeutschland, handelt es sich um wässrige Diarrhöen unterschiedlicher Genese, bei denen Loperamid durchaus indiziert ist. Im Zweifelsfall kann man für einen halben Tag oder einen Tag auf Loperamid verzichten und abwarten, ob sich Blutbeimengungen zeigen. Dabei sollte entsprechend des Volumenverlustes mit Tee und ähnlichem das Volumen substituiert werden.


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Alle Personen mit Durchfall sollten strikte Händehygiene einhalten, insbesondere gegenüber Kleinkindern und immungeschwächten Personen. Die Empfehlungen zur guten Küchenhygiene behalten weiterhin ihre Gültigkeit (siehe Kasten "Infektionen vermeiden: auf Hygiene achten"). Angehörige von Patienten, die mit EHEC infiziert sind, müssen aber nicht in Quarantäne. Sie dürfen weiterhin zur Arbeit gehen. Es sei denn, sie arbeiten in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten. Auch Beschäftigte im Lebensmittelbereich und Angehörige medizinischer Berufe, abhängig vom Gefährdungspotenzial, dürfen nicht arbeiten.

Infektionen vermeiden – auf Hygiene achten:
Schutz vor lebensmittelbedingten EHEC-Infektionen


Neben den Verzehrsempfehlungen empfiehlt es sich, die allgemeinen Empfehlungen zur Lebensmittel- und Händehygiene weiterhin konsequent zu beachten. Wie die meisten Erreger von Lebensmittelinfektionen lassen sich auch EHEC-Bakterien durch Erhitzen abtöten, also durch Kochen, Braten oder Pasteurisieren (bei 70°C für 10 Minuten). Tiefgefrieren garantiert hingegen nicht, dass ein Lebensmittel vollständig frei von EHEC wird. Um lebensmittelbedingte Infektionen zu vermeiden werden vom Bundesinstitut für Risikobewertung folgende Hygienemaßnahmen bei der Zubereitung von Speisen empfohlen:

  • roh verzehrtes Gemüse und Obst gründlich waschen oder schälen.

  • Fleisch und Hackfleisch von Wiederkäuern vor dem Verzehr ausreichend erhitzen (mindestens 70° C für mehrere Minuten).

  • rohes Fleisch getrennt von anderen Lebensmitteln lagern und zubereiten, auch verschiedene Bretter, Teller und Messer benutzen.

  • auf Rohmilch verzichten oder zumindest vor dem Verzehr abkochen.

  • Flächen und Gegenstände nach Kontakt mit Lebensmitteln gründlich reinigen und abtrocknen.

  • Wisch- und Handtücher nach der Zubereitung von Obst oder Gemüse und rohem Fleisch möglichst auswechseln und bei mindestens 60° C waschen.

Enterohämorrhagische Escherichia coli können infolge der fehlenden Wärmebehandlung auch vorkommen in:

  • streichfähigen Rohwürsten, z. B. Zwiebelmettwurst, Teewurst, Braunschweiger;

  • Rohmilchkäse (verpackter Käse aus Rohmilch muss mit dem Wortlaut "mit Rohmilch hergestellt" gekennzeichnet sein);

  • unpasteurisiertem Apfelsaft.

Speisen und Getränke sollten nur außerhalb von Tierställen und Gehegen verzehrt werden.

Personen mit Durchfallerkrankungen sollten am besten keine Speisen zubereiten.


Schutz vor Schmierinfektionen mit EHEC

Der Erreger kann auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden, vor allem durch eine Schmierinfektion (fäkal-oral) aufgrund mangelnder Hygiene. Der beste Schutz gegen diese Übertragung und die wichtigste Hygieneregel ist gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife und sorgfältiges Abtrocknen:

  • vor der Zubereitung von Speisen,

  • vor dem Essen,

  • nach dem Toilettengang
  • nach Kontakt mit Tieren.

Vorsicht auch beim Baden in natürlichen Gewässern, die durch Tierkot verschmutzt sein können. Bei kleinen Kindern zudem auf sauberes Wasser im Planschbecken und unverschmutzten Sand im Sandkasten achten.


Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, www.bzga.de

Aktuelle Zahlen: deutlich niedrigeres Niveau

EHEC- bzw. HUS-Fälle wurden aus allen Bundesländern an das RKI übermittelt. Die höchsten kumulativen Inzidenzen werden in den fünf nördlichen Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen beobachtet. Weitere Fälle, die im Zusammenhang mit dem Ausbruchsgeschehen stehen, wurden aus Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden (darunter ein Todesfall), der Schweiz, Spanien und den USA bekannt. Auf Grundlage verschiedener Surveillance-Systeme bestätigt das Robert Koch-Institut (RKI) die Beobachtung, dass die Anzahl neuer EHEC-Infektionen zurückgeht, die tägliche Zahl von Patienten mit blutigem Durchfall – als erstes Indiz einer möglichen Infektion mit enterohämorrhagischen Escherichia coli – nimmt kontinuierlich ab. Dieser Rückgang kann auf ein verändertes Verzehrverhalten der Bevölkerung oder auf ein Versiegen der Infektionsquelle zurückgeführt werden. Seit Anfang Mai 2011 sind dem Robert Koch-Institut 2453 Fälle mit einer Infektion mit enterohämorrhagischen Escherichia coli übermittelt worden. 13 übermittelte EHEC-Fälle sind verstorben. Außerdem wurden bislang insgesamt 782 Fälle mit HUS übermittelt, 22 Personen sind verstorben. Damit sind insgesamt 3235 EHEC- oder HUS-Fälle übermittelt worden, darunter 35 Todesfälle.

Rohe Sprossen als wesentliche Infektionsquelle

Seit dem 20. Mai 2011 untersucht das RKI in Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Lebensmittelbehörden des Bundes und der Länder den Ausbruch an hämolytisch-urämischem Syndrom in Norddeutschland. Die Ursache des Ausbruchs konnte zunehmend eingegrenzt werden. Nach jetzigem Kenntnisstand weisen Lieferbeziehungen darauf hin, dass die Verbreitung der EHEC-Infektionen von einem niedersächsischen Gartenbaubetrieb ausgeht. Offenbar haben mindestens 80 Erkrankte in ganz Deutschland Sprossen zu sich genommen, die im Bio-Betrieb in Bienenbüttel gezogen wurden. Bereits am 10. Juni 2011 wurden Sprossen aus diesem Gartenbaubetrieb als Quelle des EHEC-Ausbruchs identifiziert und die Verzehrsempfehlungen entsprechend geändert: Die allgemeine Empfehlung, auf Gurken, Tomaten und Blattsalat zu verzichten, wurde aufgehoben, aber es wird empfohlen, bis auf weiteres Sprossen nicht roh zu verzehren. Aufgrund epidemiologischer Hinweise erhärtet sich der Verdacht, dass Sprossensamen zu einer Kontamination der Sprossen ursächlich beigetragen haben. Aus Niedersachsen wurde ein aktueller Fall berichtet, in dem zu Hause selbstgezogene Sprossen möglicherweise die Ursache für eine EHEC-Erkrankung in einer Familie sind. Allerdings konnte der Erreger noch nicht in den Samen nachgewiesen werden. Daher sollten derzeit auch keine selbstgezogenen rohen Sprossen gegessen werden.

Ursprung nach wie vor unbekannt

Ein Nachweis des gefährlichen Erregertyps O104:H4 im Herstellerbetrieb im niedersächsischen Bienenbüttel ist allerdings noch nicht gelungen. Auch eine eindeutige Eintragsquelle des EHEC-Erregers O104:H4 in die Lebensmittelkette konnte bisher nicht identifiziert werden. Es wird zwar vermutet, dass Menschen in diesem Gartenbaubetrieb den Erreger eingebracht haben, aber auch eine Infektion über Wasser, Vorlieferanten oder Saatgut ist denkbar.



Quelle

Informationen des Robert Koch-Instituts zum EHEC/HUS-Ausbruchsgeschehen. Stand 14. Juni 2011. www.rki.de

EHEC-Ausbruch: BfR rät auch vom Verzehr von selbstgezogenen rohen Sprossen und Keimlingen ab. Mitteilung des BfR vom 12. Juni 2011. www.bfr.de

S1-Leitlinie EHEC / HUS der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Stand 10. Juni 2011. www.degam.de


ck



DAZ.online


Informationen zum aktuellen Krankheitsausbruch und zum hämolytisch-urämischen Syndrom finden Sie in unserem EHEC-Spezial auf DAZ.online.



DAZ 2011, Nr. 24, S. 30

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