Fortbildung

Intrinsische und idiosynkratische Schäden

Arzneimittel-induzierte Leberschäden treten weitaus häufiger auf als vermutet. Da sie teilweise in keinem engen zeitlichen Zusammenhang stehen und von der genetischen Disposition des Patienten abhängen, werden sie nur teilweise erfasst. Mit zunehmender Kenntnis der Pharmakogenetik kann die Pharmakotherapie vielleicht in absehbarer Zeit sicherer gestaltet werden, so Prof. Dr. Christian Strassburg, Hannover.
Foto: DAZ/pj
Christian Strassburg

Beim Zustandekommen einer Arzneimittel-induzierten Leberschädigung spielen zahlreiche Faktoren wie etwa Wirkung und Dosis des Wirkstoffs, Komorbiditäten des Betroffenen, seine genetische Disposition sowie Umwelteinflüsse eine Rolle. Daraus wird ersichtlich, dass es keine aussagekräftigen Parameter für eventuelle lebertoxische Schädigungen durch ein Arzneimittel gibt oder – wie von Strassburg anschaulich formuliert – "der eine Patient verträgt Großpackungen an Paracetamol und der andere muss nach therapeutischen Dosen transplantiert werden". Die unsichere Vorhersage einer potenziellen Lebertoxizität spiegelt sich auch in der Einteilung der Medikamenten-induzierten Leberschäden wider. So unterscheidet man bei der Hepatotoxizität drei Reaktionsmuster:

  • die direkte oder intrinsische Toxizität
  • die idiosynkratische (nicht vorhersehbare) Toxizität mit immunallergischen Zeichen und
  • die idiosynkratische, nicht immunallergische Toxizität.

Idiosynkratische Reaktionen sind nicht dosisabhängig und können im Tierversuch nicht reproduziert werden. Ferner ist ihre Latenzzeit deutlich höher als bei intrinsischen Reaktionen (siehe Tabelle). Daraus ergibt sich, dass die Diagnose einer direkten Toxizität leicht zu stellen ist, eine idiosynkratische – aber weitaus häufiger auftretende – Toxizität schwierig zu erfassen ist.


Unterschiede zwischen intrinsischen und idiosynkratischen Toxizitäten

direkt (intrinsisch)
idiosynkratisch
immunallergisch
nicht immunallergisch
Vorhersage
ja
schlecht
schlecht
Dosiseffekt
hohe Dosis –
hohe Toxizität
nicht dosisabhängig
nicht dosisabhängig
Tierversuch
ja
nein
nein
assoziierte Symptome
an Niere und Pankreas
Fieber, Hautausschlag, Lymphadenopathie, Eosinophilie, Autoantikörper
Hypergammaglobulinämie
untypisch
Schädigung
akut hepatozellulär
akut hepatozellulär,
selten cholestatisch, gemischt
akut hepatozellulär, selten cholestatisch, gemischt
Latenzzeit
< 1 Woche
1 bis 5 Wochen
1 bis 100 Wochen
Reexposition
verlässlich und prompt
sehr schnell
(1 bis 3 Dosen)
variabel
Medikamente
Paracetamol
Halothan
Chloroform
Amoxicillin/Clavulansäure
Diclofenac
Doxycyclin
Fenofibrat
Halothan
Hydralazin
Phenytoin
Statine (selten)
Penicilline
Chinidin
Methyldopa
Amoxicillin/Clavulansäure
Chlorpromazin
Enfluran
Fluorouracil
Glitazone
Isoniazid
Penicilline
Sulfonylharnstoffe
Phenylbuatzon
Propylthiouracil

Die Rolle der Genetik

Für das Auftreten einer Leberschädigung kann auch die genetische Ausstattung eines Individuums entscheidend sein. Strassburg führte hierzu einige Beispiele auf. So kann eine CYP2C19-Defizienz die Toxizität von Troglitazon begünstigen und N-Acetyltransferase-Genotypen mit verschieden stark ausgeprägter Acetylierungsrate reagieren auf Sulfonamide, Hydralazin und Isoniacid unterschiedlich.


Praktisches Vorgehen


Bei einer vermuteten Medikamenten-induzierten Hepatotoxizität empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  • Medikamentenanamnese der letzten sechs Monate
  • gezielte Fragen anhand des Schädigungsmusters
  • Alkoholkarenz
  • alle vermeidbaren Medikamente absetzen
  • Ausschluss bestimmter Erkrankungen (Virushepatitis, Morbus Wilson, Hämochromatose, Autoimmunerkrankung)
  • Sonographie
  • eventuell Leberbiopsie
  • bei Koagulopathie oder Verschlechterung Überweisung an ein Leberzentrum

Mutationen im UDP-Glucuronosyltransferase(UGT)-1A1-Gen haben eine zentrale Bedeutung in der Genese des Morbus Gilbert-Meulengracht. Ferner spielt UGT1A1 eine Rolle beim Abbau mehrerer Medikamente, so etwa bei der Metabolisierung des Zytostatikums Irinotecan. Aktive Irinotecan-Metaboliten (SN 38) werden durch UGT1A1 inaktiviert, also entgiftet. Genetische Varianten der UGT1A1-Aktivität, die beim Morbus Gilbert-Meulengracht vorliegen, können zu verstärkten toxischen Wirkungen führen. Diese Patienten sollten vor einer Behandlung mit Irinotecan präventiv untersucht werden (UGT1A1-Diagnostik).

pj



DAZ 2011, Nr. 23, S. 56

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Das könnte Sie auch interessieren

Bei welchen Wirkstoffen es sich lohnt, im Beratungsgespräch auf die Risiken hinzuweisen

Diese Arzneimittel „gehen auf die Leber“

Morbus Meulengracht und die Folgen für den Arzneistoffwechsel

Zu viel Bilirubin

Phase II des Arzneistoffmetabolismus und mögliche Interaktionen

Die Aufgaben der Transferasen

Bei Risiken und Nebenwirkungen kann die Apotheke helfen

Gefahr erkannt, UAW verbannt

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.