Arzneimittel und Therapie

Eribulin – erster Vertreter einer neuen Substanzklasse

Mit dem Wirkstoff Eribulin (Halaven®) ist für Patienten mit fortgeschrittenem Brustkrebs nun eine neue Option zur Chemotherapie verfügbar geworden. Es handelt sich um den ersten Vertreter der neuen Substanzklasse der Halichondrine. Der Wirkstoff, der Studien zufolge eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens bewirkt, wurde zur Monotherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms nach Vorbehandlung mit einem Anthracyclin und einem Taxan zugelassen.
Eribulin

Die Studienergebnisse zu Eribulin sind derart überzeugend, dass der neue Wirkstoff bereits vor seiner offiziellen Zulassung Eingang in die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO-Leitlinie) gefunden hat. Das neuartige Zytostatikum hat sich in der Phase III-Studie EMBRACE (Eisai Metastatic Breast Cancer Study Assessing Treatment of Physicians Choice Versus Eribulin E7389) als wirksam bei der Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms erwiesen.

Signifikant verlängerte Überlebenszeit

In der Studie erhielten 762 Patienten im Alter zwischen 27 und 85 Jahren, die bereits vier Chemotherapien inklusive der Behandlung mit einem Anthracyclin und einem Taxan durchlaufen hatten, Eribulin oder eine frei durch den behandelnden Arzt zu wählende Chemotherapie. Es zeigte sich bei den Frauen in der Eribulin-Gruppe ein statistisch signifikant längeres Überleben von 10,6 Monaten in der Kontrollgruppe auf 13,1 Monate. Das entspricht einer Steigerung der Gesamtüberlebenszeit der betroffenen Frauen von rund 20 Prozent.

Verlängert wurde auch das progressionsfreie Überleben der Patientinnen als sekundärer Endpunkt der Studie. Die Ein-Jahres-Überlebensrate wurde unter der Therapie mit Eribulin von 42,8 Prozent unter der konventionellen Therapie nach Wahl des Arztes auf 54,5 Prozent unter Eribulin, dem ersten Wirkstoff der Gruppe der Halichondrine, gesteigert.

Das neuartige Zytostatikum, das als Bolusinfusion verabreicht wird, erwies sich dabei als gut verträglich. Die auftretenden Nebenwirkungen waren moderat und entsprachen denjenigen herkömmlicher Zytostatika, wobei allerdings etwas vermehrt Neuropathien beobachtet wurden. So entwickelten rund 34 Prozent der Patienten eine Neuropathie Grad 1 bis 4, wobei allerdings zu bedenken ist, dass in die Studie auch Patientinnen mit vorbestehender geringgradiger Neuropathie eingeschlossen wurden. Bei 4,8 Prozent der Frauen musste die Behandlung aufgrund dieser Nebenwirkung abgebrochen werden. Andererseits konnten 63 Prozent der Frauen mit Grad 3 bis 4 Neuropathie die Therapie fortsetzen. Relevante weitere Nebenwirkungen waren eine Asthenie und Fatigue, eine Neutropenie, sowie eine Alopezie und Übelkeit.


Wirkmechanismus von Eribulin

Neuer Tubulinhemmstoff


Eribulin stellt ein synthetisch hergestelltes Analogon zu Halichondrin B dar, einer Substanz, die im pazifischen Meeresschwamm Halichondria okadai identifiziert wurde. Es handelt sich damit um den ersten Vertreter der neuen Substanzklasse der Halichondrine innerhalb der Zytostatika. Ähnlich wie Taxane und Vincaalkaloide hemmt Eribulin als Tubulinhemmstoff den Aufbau der Mikrotubuli, wirkt also ebenfalls als Spindelgift und verhindert so die Zellteilung. Das hochkomplexe Molekül hat dabei jedoch keinen Einfluss auf die Verkürzung der Mikrotubuli, was möglicherweise die im Vergleich zu anderen Chemotherapeutika geringere Toxizität erklärt und die Wirkung auf Tumore, die auf Taxane nicht mehr ansprechen.

Studie zur Kombinationstherapie geplant

Die therapeutischen Effekte des Tubulinhemmstoffs sind möglicherweise nicht auf die Drittlinientherapie beschränkt. Vielmehr handelt es sich um eine vielversprechende Substanz, deren offenbar lebensverlängerndes Potenzial nun auch in Kombination mit anderen Zytostatika und zusammen mit Wirkstoffen der sogenannten zielgerichteten Therapie geprüft werden soll. Konkret geplant ist die Studie E-VITA, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit von zwei verschiedenen Dosierungen von Eribulin in Kombination mit Lapatinib untersucht werden soll. Lapatinib wurde als Kombinationspartner gewählt wegen des weitgehenden Fehlens überlappender Toxizitäten mit Eribulin sowie der bekannten Aktivität des Wirkstoffs auch bei Anthracyclin- und Taxanvorbehandlung.

Etwa 80 Frauen mit Her-2-positivem metastasierten Brustkrebs und Trastuzumab-Vorbehandlung bei maximal drei verschiedenen vorangegangenen Therapien sollen in die multizentrische, randomisierte offene Phase II-Studie eingeschlossen werden, die noch in diesem Sommer mit der Rekrutierungsphase starten soll. Primärer Endpunkt ist die Zeit bis zum Eintreten einer Progression der Erkrankung.


Steckbrief: Eribulin


Handelsname: Halaven

Hersteller: Eisai GmbH, Frankfurt/Main

Einführungsdatum: 1. Mai 2011

Zusammensetzung: 1 ml Injektionslösung enthält 0,44 mg Eribulin als Mesilat. Sonstige Bestandteile: Ethanol, Wasser für Injektionszwecke, Salzsäure (zur pH-Einstellung), Natriumhydroxid (zur pH-Einstellung).

Packungsgrößen, Preise und PZN: Eine Durchstechflasche mit 2 ml Injektionslösung: 525,17 Euro, PZN 8443116.

Stoffklasse: Zytostatika, antineoplastische Substanzen. ATC-Code: L01XX41.

Indikation: Zur Monotherapie für die Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, bei denen nach mindestens zwei Chemotherapien zur Behandlung einer fortgeschrittenen Brustkrebserkrankung eine weitere Progression eingetreten ist. Die Vortherapien sollten ein Anthracyclin und ein Taxan enthalten haben, es sei denn, diese Behandlungen waren ungeeignet für den Patienten.

Dosierung: 1,4 mg/m2 Eribulinmesylat, die an den Tagen 1 und 8 jedes 21-Tage-Zyklus, jeweils über eine Dauer von zwei bis fünf Minuten als intravenöser Bolus. Bei febriler Neutropenie, schwerer Neutropenie oder Thrombozytopenie sowie anderen schweren Toxizitäten 3. oder 4. Grades sollte die Gabe von Eribulin an den Tagen 1 oder 8 verschoben werden; bei der Weiterbehandlung sollte die Dosis auf 0,97 bis 0,62 mg/m2 reduziert werden; ebenso bei eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Eribulin oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels; Patienten mit einem kongenitalen Long-QT-Syndrom.

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Neutropenie, Leukopenie, Anämie; Appetitminderung; periphere Neuropathie; Kopfschmerzen; Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, Erbrechen; Alopezie; Arthralgie und Myalgie; Müdigkeit/Asthenie, Pyrexie.

Wechselwirkungen: Die Anwendung von Substanzen, die hepatische Transportproteine, wie organische Aniontransportproteine (OATP), P-Glykoprotein (Pgp), Multidrug-Resistant-Proteine (MRP), hemmen, gleichzeitig mit Eribulin wird nicht empfohlen. Dazu zählen Ciclosporin, Ritonavir, Saquinavir, Lopinavir und andere Proteasehemmer, Efavirenz, Emtricitabin, Verapamil, Clarithromycin, Chinin, Chinidin und Disopyramid.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Da es zu Übelkeit und Erbrechen kommen kann, sollte eine antiemetische Prophylaxe in Erwägung gezogen werden. Vor der Gabe jeder Dosis Eribulin sollte bei allen Patienten ein Differential-Blutbild angefertigt werden; eine Behandlung sollte nur bei Patienten mit ausreichend guten Werten eingeleitet werden. Die Patienten sollten engmaschig auf Anzeichen für eine periphere motorische oder sensorische Neuropathie überwacht werden.


Quelle

Fachinformation Halaven Injektionslösung, Stand Mai 2011.

Prof. Dr. Gunther von Minckwitz, Frankfurt; Priv.-Doz. Dr. Sibylle Loibl, Neu-Isenburg; Dr. Joachim Bischoff, Magdeburg: Einführungspressekonferenz Halaven® (Eribulin) – Neue Option in der Behandlung des fortgeschrittenen Brustkrebs", Frankfurt, 30. Mai 2011, veranstaltet von der Eisai GmbH, Frankfurt.


Medizinjournalistin Christine Vetter



DAZ 2011, Nr. 23, S. 30

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