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Apotheke, EHEC und Organe

Peter Ditzel

Ein Kolibakterium hat Deutschland fest im Griff. Und wirft eine hochentwickelte Industrienation in die Zeit vor Robert Koch, dem großen Mikrobiologen, zurück – in die Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts, als die Menschen nichts oder nur wenig über Infektionen und Hygiene wussten. Als im Sommer 1892 in Hamburg schon einmal ein aggressiver Durchfallerreger fast 17.000 Menschen befiel und keiner eine Erklärung für diese Erkrankung hatte, erkannte Koch damals, dass es an mangelnder Hygiene lag und daran, dass Trinkwasser mit Fäkalien verunreinigt war.

Auch dieses Mal scheint die Spur der Erreger nach Norddeutschland zu führen, u. a. nach Hamburg und zu norddeutschen Biogemüsehöfen. Derzeit geht man noch davon aus, dass das mutierte oder durch eine Kreuzung entstandene Kolibakterium O104:H4 durch verunreinigtes Wasser auf Gurken, Tomaten, Blattsalaten und anderes Gemüse gelangte oder sich auf Sprossen breitmachte und aufgrund mangelnder Hygiene bei der Zubereitung der Speisen in den Menschen gelangte, wo es die verheerenden Auswirkungen entfaltet. Endgültig bestätigt werden konnte zwar noch nichts, weder die Gurken noch die Sprossen. Wie das Gemüse letztendlich mit dem enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) in Kontakt gekommen ist, ist noch unklar. Und woher kommt der Keim? Bekannt ist, dass E.coli und Unterarten davon in den Mägen von Rindern siedeln. Mit den Fäkalien der Tiere gelangt der Keim in die Umwelt – und durch mangelnde Hygiene breitet sich das Bakterium aus und gelangt in den Menschen. Derzeit sind bereits über 20 Personen an den Folgen der EHEC-Infektion gestorben, über 1700 sind ernsthaft mit EHEC infiziert, Kliniken in Norddeutschland arbeiten an ihrer Kapazitätsgrenze. Da EHEC-Keime Shigatoxine produzieren, toxische Proteine, die die Zellwände angreifen, und ein hämolytisch-urämisches Syndrom hervorrufen, das sich auf die Nieren auswirkt, hilft in vielen Fällen nur noch eine Dialyse.

Lässt sich pharmazeutisch helfen? Antibiotika, die im Normalfall gegen Bakterien eingesetzt werden, sind gegen EHEC sogar kontraindiziert, da sie das Bakterium zu einer erhöhten Shigatoxin-Produktion anregen. Auch Antidiarrhoika wie Loperamid sollten bei einer EHEC-Infektion wohl nicht eingesetzt werden, da sie die Motilität des Darms bremsen. Ob Tannine oder Kohle helfen, ist unklar. Versuchsweise wird das High-tech-Präparat Eculizumab, ein monoklonaler Antikörper, der zur Therapie der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) eingesetzt wird, angewandt, teilweise mit Erfolg. Die Apotheke spielt hier also keine Rolle – bis auf einen Aspekt: Sie kann als kompetente Informationsquelle dienen. EHEC fliegt die Menschen nicht an, das Bakterium wird nicht durch eine Tröpfcheninfektion verbreitet, sondern durch direkten Kontakt, durch Schmierinfektionen. Hygiene ist das Zauberwort. Die Apotheke kann dazu beitragen, die Bevölkerung wieder an die einfachsten Hygieneregeln zu erinnern, die möglicherweise bei einigen Menschen sträflich vernachlässigt werden. Sauberkeit bei der Küchenarbeit, bei der Zubereitung von Gemüse und Salat, gründliches Waschen von Obst und Gemüse bzw. Verzehr nur in geschältem oder gekochtem Zustand. Und natürlich auch: gründliches Händewaschen nach dem Toilettengang – einfachste Regeln, die aber vermutlich immer wieder vernachlässigt werden.

Diese Rolle der Apotheke als Informationsquelle für allgemeine Gesundheitsfragen passt auch zum diesjährigen Motto vom "Tag der Apotheke" am 9. Juni "In jedem steckt ein Lebensretter". Apotheken klären über das Thema Organspende auf und unterstützen die Kampagne der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die Bevölkerung kann sich in den Apotheken, die mitmachen, zum Thema Organspende und Organspendeausweis informieren. Zwar sollen drei Viertel der Deutschen eine positive Einstellung zur Organspende haben, aber nur etwa 15 Prozent besitzen derzeit einen Organspendeausweis. Eine Apothekenaktion könnte dazu beitragen, verstärkt darüber nachzudenken, einen Organspendeausweis bei sich zu tragen. Und in Zeiten von EHEC, hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) und Dialyse könnte sich auch eine Aktion zum Thema Blutspende anschließen.

Allerdings: Das Thema Organspende wird nicht unmittelbar mit der Institution Apotheke und ihren Aufgaben in Verbindung gebracht – warum die ABDA die Organspende als Motto zum "Tag der Apotheke" ausgewählt hat, wirft Fragen auf. Wie bringt die Bevölkerung Organspende und Apotheke zusammen? Gibt es nicht apothekentypischere Themen für einen "Tag der Apotheke", Themen, mit denen die modernen Aufgaben der Apotheke besser kommuniziert werden können? Nun, verbuchen wir die Aktion in diesem Jahr aufs Konto Apotheke, Information und Gesundheitswesen. Und im nächsten Jahr darf der "Tag der Apotheke" auch mal wieder Aufgaben und Funktionen der Apotheke herausstellen.


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 23, S. 3

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