Feuilleton

Pharmaziegeschichte aus über fünf Jahrhunderten

Mit der Eröffnung eines eigenen Museums erfüllten sich die Dortmunder Apotheker Hermann und Ulrich Ausbüttel im Jahr 2000 einen langgehegten Traum. Im zweiten Kellergeschoss der Adler-Apotheke präsentieren sie rund 5000 pharmaziehistorische Objekte aus fünf Jahrhunderten.
Fotos: Wylegalla
Offizin mit Inventar aus dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

Wertvolle Fayencen, Waagen und historische Geräte erinnern in vielen Apotheken an die jahrhundertealte Tradition des Berufsstands. Ulrich Ausbüttel, Besitzer der Adler-Apotheke am Dortmunder Markt, beschränkt sich indessen nicht auf einige Dekorationsobjekte in der Offizin; er besitzt die vermutlich größte private pharmaziehistorische Fachausstellung Deutschlands, die vor allem dokumentiert, wie vor der Industrialisierung in der Apotheke Arzneien hergestellt wurden.

Die ehemalige Reichsstadt Dortmund hat eine jahrhundertealte Apothekengeschichte. 1322 wird ein Magister Gerhardus, Krudener, als Bürger erwähnt. Dieser besaß allerdings noch keine Offizin, sondern verkaufte Arzneidrogen an einem im "Krähenloche von St. Marien" zwischen Marien- und Reinoldikirche in der Nähe des Markts gelegenen Stand. 1385 wurde der Krudener Hannes dey Wilde eingebürgert. 

Vom Giftschrank (links) über Reagenz- und andere Gläser zum Pillenbrett und Infusorium sind alle für die klassische Rezeptur erforderlichen Geräte vorhanden.

Über 600 Jahre am selben Standort

1392 sind in Dortmund erstmals ein Apotheker (Mester Willem) und die Existenz einer städtischen Apotheke (im ehemaligen Tuchhaus am Markt 4) nachweisbar. 100 Jahre später veräußerte der Stadtrat dieses Gebäude an einen Kaufmann, der im Hinterhof ein Kaufhaus einrichtete und die Offizin im Hauptgebäude verpachtete, so 1502 an den Apotheker Dierek Osterwalt aus Duisburg. 1734 erwarb Nikolaus Regenherz (1699 – 1761) die nunmehr

Kräuterkammer mit Ziehschrank, Stand­gefäßen und Botanisiertrommeln (grün).

"Adler-Apotheke" genannte Offizin. Ab 1872 war sie 126 Jahre lang im Besitz der Apothekerfamilie Hültenschmidt, die 1912 einen fünfgeschossigen Neubau mit zwei Kelleretagen errichten ließ.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Dortmunder Innenstadt zu 90 Prozent zerstört. Weil die Adler-Apotheke frühzeitig in die Keller verlagert worden war, konnte sie als einzige Offizin in der Ruhrmetropole ohne Unterbrechung die Versorgung mit Arzneimitteln sichern. Werner Hültenschmidt, Apotheker in vierter Generation, verkaufte die Adler-Apotheke 1998 mangels Nachfolger an Ulrich Ausbüttel, ebenfalls Spross einer Apothekerfamilie. Beim folgenden Umbau richtete er zusammen mit seinem Vater Hermann und seiner Ehefrau Ursula im zweiten Kellergeschoss auf 130 m2 Fläche das Apothekenmuseum ein. Die Exponate stammen hauptsächlich aus der umfangreichen Sammlung der Familie (früher in Witten-Annen) sowie aus dem übernommenen historischen Inventar der Adler-Apotheke.

Laboratorium mit Ofen, Destillierblasen und Infusorien.

Prachtstück des Museums ist die Offizin aus dem Jahr 1880, deren Regale mit Standgefäßen aus der gleichen Zeit bestückt sind. In den Schubladen der Schränke werden alte Arzneien, Kräuter und andere Stoffen aufbewahrt. Besucher dürfen die Blechdosen mit Moschus, Campher und anderen "Penetrantia" öffnen und schnuppern. Der große Prunkmörser aus dem Jahr 1772 hat vermutlich nie eine Stoßkammer von innen gesehen, sondern diente nur der Repräsentation. Weitere interessante Objekte sind eine Registrierkasse sowie ein Rezeptjournal aus dem Jahr 1932, in dem die Abgabe der Arzneien in scharf gestochener Schrift dokumentiert wurde.

Ein rares Kräuterbuch

In der umfangreichen Fachbibliothek ist ein "Dioskurides" mit angehängter "Destillierkunst" des Hieronymus Brunschwig das wertvollste Buch. Von der 1614 bei Erasmus Kempffer in Frankfurt/Main erschienenen Ausgabe seien weltweit nur drei Exemplare bekannt, sagt Hermann Ausbüttel stolz.

Die Mörsersammlung mit mehr als 200 Exemplaren präsentiert die gesamte Bandbreite an Materialien, aus denen einst Stoßgefäße für Apotheken hergestellt wurden. Das älteste Exponat wurde aus Marmor angefertigt und stammt nach Recherchen von Hermann Ausbüttel aus der Zeit um 650 n. Chr.


Die rektale Applikation von Arzneimitteln erfolgte früher mit dem Klistier. Eine Weiterentwicklung waren die Irrigatoren (im oberen Regal, z. T. mit Schlauch). Im mittleren Regal Gussformen für Suppositorien.

Fayencen, Herbarien, Klistierspritzen

Gut situierte Apotheker schmückten ihre Offizin gern mit repräsentativen Standgefäßen aus Fayence oder Porzellan. Im Museum der Adler-Apotheke ist eine umfangreiche Kollektion davon aus der Zeit zwischen 1680 und 1870 zu sehen.

In der Materialkammer steht noch der Eckschreibschrank des Apothekers August Hültenschmidt (Besitzer 1872 – 1904). In einem Raritätenschrank werden alte Chemikalien sowie technische Geräte, Reise- und Hausapotheken aufbewahrt. Gleich daneben steht eine mittelalterliche Destillationsanlage.

Im Laboratorium veranschaulichen ein gemauerter Ofen sowie ein Sammelsurium an Destillierapparaten, Glasgefäßen und technischen Geräten den Alltag des Apothekers in vergangenen Zeiten. Zwei Vorratsräume mit verschiedenen Behältnissen vermitteln einen Eindruck von der aufwendigen Lagerhaltung in früheren Zeiten. Neben Arzneidrogen, Zwischenpräparaten und fertigen Medikamenten hielten Apotheker auch ein Sortiment Hilfsmittel zur Behandlung von Krankheiten wie Wärmflaschen und Klistierspritzen bereit. Auch der seit dem 19. Jahrhundert obligatorische Giftschrank für Venena fehlt nicht in der Ausstellung.

Pflanzliche Drogen für Tees, Extrakte und Tinkturen wurden in der Kräuterkammer aufbewahrt. Bemerkenswert ist hier die umfangreiche Kollektion von Botanisiertrommeln, mit denen die Apotheker(-lehrlinge) Pflanzen für die Anlage von Herbarien sammelten. Herbarbelege und Drogenkästen dienten neben der botanischen Literatur als Referenz bei der täglichen Arbeit in der Rezeptur und Defektur.


Museum


Apothekenmuseum in der Adler-Apotheke

Markt 4, 44137 Dortmund

Tel. (02 31) 57 26 21 oder 7 22 36 06 (Pharmazieingenieurin Monika Fritzsch), Fax (02 31) 55 16 76

www.apotheken-museum.de

Besichtigung mit Führung nur nach Voranmeldung


Reinhard Wylegalla



DAZ 2011, Nr. 21, S. 83

Mörser aus Marmor, ca. 650 n. Chr.
Kanne für Rosensirup, Fayence, ­Italien, ca. 1700.
Salzbrandgefäß zur Aufbewahrung von Blutegeln (Hirudines), Anfang 20. Jhdt. (D.R.G.M. = Deutsches-Reichs-Gebrauchs-Muster).

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