Arzneimittel und Therapie

Diagnostik ist das A und O für Kinder mit ADHS

Im April fiel in Berlin der Startschuss für die Informationskampagne "ADHS und Zukunftsträume", initiiert von der Shire Deutschland GmbH. Und gleich in der Auftaktveranstaltung wurde deutlich: Aufklärung ist dringend notwendig, vor allem mit Blick auf die Diagnostik. Denn viele vermeintliche "ADHS-Kinder" sind nicht hyperaktiv. Gleichzeitig wird ADHS oft nicht erkannt. Eines aber ist ADHS sicher nicht: eine Modekrankheit.

"ADHS ist keine Modekrankheit", betonte Bundesfamilienministerin a. D. Renate Schmidt, die Schirmherrin der Kampagne. Die Krankheit sei schon früh beschrieben worden, so etwa als "Zappelphilipp" in dem Buch "Der Struwwelpeter" des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1845. Mangelhaftes diagnostisches Vorgehen führt in Deutschland allerdings zu einer paradoxen Situation: Es gibt zu viele falsch-positive Befunde, gleichzeitig gibt es aber zu viele Kinder mit ADHS, die nicht diagnostiziert werden. Prof. Dr. Martin Holtmann, Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Hamm, bestätigte: "Wir sehen zu viel und gleichzeitig zu wenig Kinder mit ADHS." Er schätzt, dass 15 bis 20 Prozent der Befunde falsch-positiv sind. Wie häufig ein ADHS dagegen nicht erkannt wird, ist unklar. Die Liste der Differentialdiagnosen ist lang: Angststörungen, Über- oder Unterforderung, Teilleistungsstörungen, otologische oder visuelle Probleme, eine Hyperthyreose oder auch Stoffwechselstörungen. Abgeklärt werden müssen auch reaktive Aufmerksamkeitsstörungen, etwa als Folge einer Trennung der Eltern.

Situationsübergreifende Symptomatik

Als einen der Gründe für die vielen Fehlentscheidungen nannte Holtmann die zu niedrige Zahl spezialisierter Kinderärzte und Kinder- und Jugendpsychiater. "Eine frühzeitige und umfassende Diagnostik durch einen spezialisierten Arzt gemäß den medizinischen Leitlinien ist aber entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung", betonte er. Es dürfe nicht sein, dass die Diagnose "ADHS" aufgrund eines einzigen Fragebogentests gestellt werde. Wichtig sei, dass das Kind nicht nur Symptome hat, sondern dadurch auch beeinträchtigt ist und darunter leidet. Und dass diese Symptome in allen Lebensbereichen auftreten. Die Symptome müssen situationsübergreifend auftreten, also nicht nur zu Hause oder nur in der Schule, sondern in allen Lebensbereichen.

Lehrer als "Schatzsucher"

Eine besondere Herausforderung sind Kinder mit ADHS für Lehrer. Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverbandes forderte seine Kolleginnen und Kollegen auf "Schatzsucher zu sein und jedes Kind als Bereicherung zu empfinden": "Auch ADHS-Kinder haben viele positive Eigenschaften und müssen sich angenommen fühlen." Häufig haben sie eine hohe Gerechtigkeitsliebe und Authentizität und werden oft als Klassensprecher gewählt. Was für die meisten Kinder in der modernen Grundschule von heute spannend ist, nämlich die Methodenvielfalt, die Gruppenarbeit oder auch ein häufigerer Wechsel des Sitznachbarn, kann für Kinder mit ADHS problematisch sein. Ihnen helfen klare Strukturen. Beides unter einen Hut zu bringen, ist durchaus schwierig. Hinzu kommt, dass die Lehrer oft nicht ausreichend über das Krankheitsbild Bescheid wissen, die Klassen zu groß und die Zahl der Pädagogen zu niedrig ist. Ebenso wichtig wie die Lehrer zu schulen ist ein "passgenaues Elterntraining", bei dem basale Erziehungskompetenzen vermittelt werden. "Eine Art Super-Nanny- auf höherem Niveau", so Holtmann.

Aus Zukunftsträumen Zukunftsräume machen

Die Informationskampagne hat das Ziel, durch umfassende Aufklärung das Wissen über ADHS zu verbessern und "einen positiven Blick auf die Betroffenen zu entwickeln", so Schmidt. Sie erläuterte, dass Kinder mit ADHS häufig besondere Fähigkeiten haben, die mit ihrer Krankheit zusammenhängen. Auch sie sollen "ihre Zukunftsträume in echte Zukunftsräume" verwandeln können. Dazu beitragen soll das erste Projekt der Kampagne, die Erstellung eines "Riesentraumbilds": Kinder und Jugendliche mit ADHS sind aufgefordert, bis Ende Juli 2011 ihrem Zukunftstraum zu malen oder zu fotografieren und einzusenden (www.adhs-zukunftstraeume.de). Die einzelnen Bilder werden dann zu einem Riesentraumbild zusammengefügt, das im Internet bestaunt werden kann.


Quelle

Prof. Dr. Martin Holtmann, Hamm; Klaus Wenzel: Pressekonferenz zur Informationskampagne ADHS und Zukunftsträume, Berlin, 5. April 2011, veranstaltet von der Shire Deutschland GmbH, Berlin.


Apothekerin Dr. Beate Fessler


Informationskampagne


Die Informationskampagne "ADHS und Zukunftsträume" unter der Schirmherrschaft von Renate Schmidt, Bundesfamilienministerin a. D., möchte auf die Situation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) aufmerksam machen. Sie lenkt den Blick auf die Stärken und das Potenzial der Betroffenen und auf Verbesserungsbedarf in Diagnostik und Therapie. Ein wissenschaftlicher Beirat mit Experten aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Kinderheilkunde, der Erwachsenenpsychiatrie, aus dem schulischen Bereich und aus der ADHS-Selbsthilfe soll die Unabhängigkeit und Qualität der Informationen sicherstellen und setzt sich für Verbesserungen in Diagnostik und Therapie der ADHS ein.

Die Informationskampagne wurde initiiert von der Shire Deutschland GmbH in Zusammenarbeit mit dem Selbsthilfeverband ADHS Deutschland e. V., der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder und Jugendärzte e. V. und dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband.

www.adhs-zukunftstraeume.de


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DAZ 2011, Nr. 21, S. 41

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