Wirtschaftsforum

Von Trends zu Gesundheitsinnovationen

Gesundheit und Individualisierung sind zwei Megatrends für die kommenden Jahre. Die Gesundheitsmärkte werden wachsen. Hinzu kommt der anhaltende Trend der Vernetzung. An diesen Trends können und werden auch die Apotheken partizipieren. Zukunftsexpertin Jeanette Huber vom Zukunftsinstitut Horx zeigte auf, was uns hier in den nächsten Jahren erwartet.
Foto: DAZ/diz
Jeanette Huber

Der Megatrend Gesundheit und das Wachstum des Gesundheitsmarktes fußen auf der "silbernen Revolution": Anhand der demografischen Entwicklung lässt sich ablesen, dass es immer mehr Ältere geben wird und diese Älteren sich länger jung fühlen und aufgrund des medizinischen Fortschritts auch länger jung bleiben. Der Anstieg der Lebenserwartung geht einher mit einem gesellschaftlichen Verjüngungsprozess ("Downaging"): Das subjektiv empfundene Alter sinkt, im Durchschnitt fühlen sich die Älteren heute etwa zehn bis 15 Jahre jünger als ihr biologisches Alter. Außerdem: Den Alten per se gibt es nicht, es lassen sich verschiedene Typen an Älteren erkennen wie beispielsweise den müden alten Rentner, der nur zu Hause bleibt, der Rentner, der zwischen Fernsehschauen und Friedhof pendelt, den Alten, der sein Leben neu ausrichtet und unternehmungslustig ist oder den Älteren, der teilweise noch arbeitet oder Ehrenämter wahrnimmt (silver preneur). Im Gesundheitsmarkt wird die Prävention eine größere Rolle spielen und der Erhalt der geistigen Fitness ("Braintuning").

Während man früher in ein Schicksal hineingeboren wurde, hat heute jeder die Chance, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und seiner Individualität gerecht zu werden. Während sich noch vor einigen Jahren eine typische Biographie einteilen ließ in Kindheit und Jugend, Erwerbsleben, Ruhestand, stellt man heute eine "Multigraphie" fest, wie Huber es nannte: Kindheit und Jugend, Postadoleszenz (Hinausschieben der Jugend), Rushhour (Eintritt ins Berufsleben, Partner, Familie, Karriere) zweiter Aufbruch (berufliche Neuorientierung, Partnerwechsel) und Unruhestand. Das Heiratsalter wird nach hinten verschoben (etwa ab 29 Jahre), vorher lebt man in einer "seriellen Monogamie", so Huber. Aber das Haltbarkeitsdatum der Ehe sinkt, in Zukunft dürfte es mehrere Familiengründungen und Reproduktionsphasen im Leben der Menschen geben.

Auch im Berufsleben wird eine größere Volatilität festzustellen sein. "Life is a roller coaster", eine wilde Achterbahn, traditionelle Sicherheiten werden wegfallen. Aus den entstehenden Defiziten und Sehnsüchten dürften allerdings neue Märkte erwachsen wie beispielsweise Märkte für Heilung, Leistungserhaltung, Lebensverlängerung, Selbstverbesserung (später Kinderwunsch, Potenz, Gedächtnisverbesserung: die Eigenoptimierung durch die Pharmazie. Dabei steht das individuell angepasste Produkt im Vordergrund: Produkt und Service müssen Passgenauigkeit aufweisen für das Individuum.

Für Apotheken lassen sich daraus vielfältige Positionierungen ableiten, um den individuellen Wünschen gerecht zu werden, beispielsweise über den Preis oder über Lifestyleangebote.

Hinzu kommt eine festzustellende Boulevardisierung der Medizin. Die Menschen informieren sich heute selbst via Internet über Möglichkeiten, gesund zu bleiben, und über Krankheiten. 67% derjenigen mit gesundheitlichen Problemen gehen heute nicht gleich zum Arzt, sondern in die Apotheke. Dies trifft besonders für Frauen zu: 60% der Frauen haben "Mini-Krankheiten", "Apotheken-Krankheiten", die sie mit einem Besuch in der Apotheke, einer Beratung und dem Kauf entsprechender Präparate in den Griff bekommen.

Ein weiterer Megatrend: Die Vernetzung der Menschen, die Nutzung des Internets, wird rasch fortschreiten. Auf die Frage "Ich kann mir kein Leben ohne Internet vorstellen" antworten 86% der jungen Generation und 58% der Gesamtbevölkerung mit ja. Dabei liegt der Erfolg des Internets, so Huber, nicht in der Technologie, sondern in der Menschlichkeit (Austausch von Befindlichkeiten und Gefühlen, Aufbau von Gemeinschaften, Blogs, Facebook).

Bereits 48% der Deutschen nutzen das Internet für Gesundheitsinformationen. Die Kommunikation von Patienten mit Ärzten und Apothekern wird in Zukunft auf Augenhöhe stattfinden. Der Wissensvorsprung von Experten schrumpft. In Zukunft wird es Aufgabe von Experten sein, nicht so sehr das Wissen selbst zur Verfügung zu stellen, sondern das Wissen zu interpretieren und die verschiedenen Wissensquellen zu bewerten. Gesundheitsberufe wandeln sich vom "Handwerker" zum "Health Coach", zum Berater für ein gesünderes Alltagsleben.

Der einzige Unsicherheitsfaktor für diese Prognosen könnte der Mensch selbst sein: "Der Mensch will keinen Wandel", so die Zukunftsforscherin Huber.



DAZ 2011, Nr. 19, S. 58

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