Rezepturen

Rezeptur – offen für ausgefallene Grundlagen

Ein Beispiel aus dem Apothekenalltag

Von Gerd Wolf

Ausgefallene Vehikelsysteme sind in Individualrezepturen selten. Doch gelegentlich greifen Verordner auf Halbfertigprodukte der pharmazeutischen Industrie oder auf die Grundlagen von Körperpflegeprodukten zurück. Denn unter den offizinellen Grundlagen im DAB, DAC und NRF sind keine wirklichen Innovationen zu finden. In einigen Fällen komponieren Ärzte sogar selbst Rezepturen mit ungewöhnlichen Vehikeln. Dann muss besonders sorgfältig auf mögliche Stabilitätsprobleme geachtet werden, wie das Beispiel in dieser Folge zeigt.

Das folgende Rezepturbeispiel enthält ein ungewöhnliches Vehikelsystem, das nicht fertig bezogen werden kann, sondern komplett in der Apotheke hergestellt werden muss.

Beispielrezeptur


Rp.

Vitamin-A-Säure: 0,01 g

Betamethason-17-valerat: 0,01 g

Aerosil® Typ 200: 0,068 g

Methylhydroxycellulose: 500,91 g

Paraff. subliq.: 3,41 g

Glycerol 85%: 5,68 g

Aqua purific.: ad 20,0 g

Vitamin-A-Säure

Vitamin-A-Säure (Synonyme: Tretinoin, all-trans-Retinsäure) wird topisch bei vielen Dermatosen, insbesondere bei Akne eingesetzt. Als 0,05-prozentige Creme oder Lösung hemmt sie die Bildung von Komedomen. Außerdem können Alterungsprozesse der Haut positiv beeinflusst werden [1]. Tretinoin kann auf der Haut Irritationen auslösen und Rötung, Trockenheit und Schuppung verursachen. Behandelte Areale werden besonders lichtempfindlich. Eine vorbestehende atopische Dermatitis kann sich verschlechtern. Die obere Richtkonzentration für Tretinoin beträgt gemäß NRF 0,1 Prozent. Das Wirkoptimum liegt bei pH 3 bis 5 [2]. Dort ist Vitamin-A-Säure wenig dissoziiert und somit ausreichend lipophil, um in die Haut penetrieren zu können. In der Beispielrezeptur besteht ein neutraler pH-Wert, so dass die Säure stärker dissoziiert ist und nicht optimal resorbiert werden kann.

Tretinoin ist photoinstabil und sehr oxidationsempfindlich, besonders in gelöster Form. Die Reinsubstanz sollte im Kühlschrank oder Tiefkühlschrank aufbewahrt werden. In Rezepturen empfiehlt es sich, ausschließlich mikronisierte Substanz einzusetzen. Als Oxidationsschutz enthalten standardisierte Vorschriften des NRF einen Zusatz von 0,04% Butylhydroxytoluol (BHT). Der Einsatz von "Butylhydroxytoluol-Paraffinkonzentrat 2% (NRF S. 35.)" vereinfacht die Handhabung.

Betamethasonvalerat

Betamethason-17-valerat gehört gemäß Niedner [3] in einer Konzentration von 0,05 Prozent zu den mittelstarken externen Glucocorticoiden (Klasse II), in einer Konzentration von 0,1 Prozent zu den stark wirksamen Vertretern (Klasse III). Durch die Veresterung wird die geringe antiinflammatorische Wirkung von Betamethason um etwa das Dreihundertfache verstärkt [4], da dies die Lipophilie erhöht und das Steroid besser in die Haut penetriert. Wegen der so erreichbaren starken antiinflammatorischen Eigenschaften wird Betamethason-17-valerat bei allen entzündlichen Hauterkrankungen eingesetzt.

Als Abbaureaktion steht nicht die Hydrolyse des Esters, sondern eine Isomerisierung im Vordergrund [4]. Dabei wandert der Valeratrest vom C-Atom 17 zum C-Atom 21. Dies geschieht vorzugsweise im stark sauren sowie im neutralen bis alkalischen Milieu und läuft in wasserhaltigen Zubereitungen innerhalb von fünf Tagen ab. Das entstehende Betamethason-21-valerat besitzt nur 15 Prozent der Wirkung von Betamethason-17-valerat. Das Stabilitätsoptimum von Betamethason-17-valerat liegt bei pH 3,5. Die "Hydrophile Betamethasonvalerat-Creme (NRF 11.37.)" enthält daher einen Citrat-Puffer mit pH 4,2, der auch in freien Rezepturen eingesetzt werden sollte. Eine solche Stabilisierung fehlt in der Beispielrezeptur.

Über die Indikation der Wirkstoffkombination kann nur spekuliert werden, da sie nicht angegeben war. Vorstellbar ist, dass sie im Rahmen einer Psoriasis oder einer lamellaren Ichthyosis eingesetzt werden sollte. Im Fokus dieses Beitrags soll jedoch das Vehikelsystem stehen.

DAZ.online


Ausführliche Tabellen als Hilfsmittel für das Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen finden Sie auf DAZ.online unter DAZ.plus/Dokumente.

Grundsätzliche Hinweise zum Umgang mit den Tabellen und ein weiteres Rezepturbeispiel finden Sie in der DAZ 2010; Nr. 30, S. 38 – 45, Ergänzungen dazu ebenfalls bei DAZ.online.

Aerosil® 200

Aerosil® 200 ist eine hochdisperse Kieselsäure, die aus amorphem Siliciumdioxid mit unterschiedlichem Wassergehalt in Form eines sehr leichten, bläulich-weißen, nicht kristallinen, geruchlosen Pulvers mit einer großen spezifischen Oberfläche besteht. In Pulvergemischen dient es in 0,5-prozentiger Konzentration als Fließregulierungsmittel. In Flüssigkeiten und halbfesten Zubereitungen erhöht es unabhängig von der Temperatur die Viskosität. Mit 5 bis 10 Prozent Aerosil® lassen sich mit flüssigen Ölen wie Lebertran oder Olivenöl klare, feste, transparente Oleogele gewinnen, die jedoch auf der Haut als rau empfunden werden. Eine Verdickung von Wasser wird erst bei einer Konzentration von 15 bis 40 Prozent Aerosil® 200 erreicht. Zur Verzögerung von Sedimentationen oder Verhinderung von Separationserscheinungen genügen 2 bis 4 Prozent. Die im Beispiel eingesetzte Konzentration von nur 0,34 Prozent – bezogen auf die Menge des dickflüssigen Paraffins – reicht weder für die Bildung eines Oleogels noch eines Hydrogels mit Wasser und Glycerin aus und erscheint daher wenig plausibel.

Methylhydroxycellulose 50

Methylhydroxycellulose ist eine partiell methylierte und hydroxyethylierte Cellulose. Zahlen (hier: 50) und Bezeichnungen wie MH stehen für den jeweiligen Substitutionsgrad, der die Viskosität beeinflusst. Methylhydroxycellulose ist als weißes Pulver oder Granulat im Handel. Unter der geschützten Bezeichnung Tylose® MH werden verschiedene Methylcellulosen (MC) von der Firma SE Tylose, Wiesbaden, in den Handel gebracht. Für Apotheken sind über den pharmazeutischen Großhandel nur noch Methylcellulose 400 und Methylhydroxypropylcellulose E4M Prem (Synonyme: HPMC, Hypromellose 2000) mit validen Prüfzertifikaten erhältlich. Methylhydroxycellulose ist in kaltem Wasser kolloidal löslich, in heißem Wasser oberhalb 50 °C, in Aceton, wasserfreiem Ethanol, Ether und Toluol unlöslich. In Konzentrationen von 5 bis 10 Prozent entstehen plastische und thixotrope Hydrogele [6]. In der Beispielrezeptur beträgt die Konzentration 4,55 Prozent.

Methylcellulose-Gele sind empfindlich gegenüber Elektrolyten. Gering konzentrierte Elektrolyte werden vertragen, doch anorganische Salze in hoher Konzentration führen durch Dehydratation zur Flockung ("Elektrolytkoagulation"), die durch Zugabe von Wasser reversibel ist. Methylcellulosen wirken zudem emulgierend, sie lösen einen Verdickungseffekt aus und verleihen der Außenphase eine Fließgrenze. In solche Hydrodispersionsgele lassen sich Ölmengen zwischen 2 und 20 Prozent dauerhaft einarbeiten. Die Produkte werden Quasiemulsionen genannt, weil keine klassischen Emulgatoren nötig sind. Methylcellulosen sind daher als Dispergier-, Stabilisierungs- und Verdickungsmittel in flüssigen und halbfesten Zubereitungen beliebt und werden auch in viskosen Augentropfen und Kontaktlinsenpflegemitteln verwendet. In Sprays und Salben zur Anwendung bei Verbrennungen wird die Ausbildung eines durchsichtigen, festen, elastischen und permeablen Films ausgenutzt, der gegenüber Fetten, Ölen und organischen Lösungsmitteln beständig ist.

Hydrodispersionsgele wurden bereits in den 1950er Jahren genutzt, gerieten aber zwischenzeitlich in Vergessenheit und werden erst seit einigen Jahren wieder verstärkt eingesetzt. Sie wurden bereits in DRF-Rezepturen verwendet, z. B. in der Nasenemulsion (Emulsio nasalis DRF) und Lotio cosmetica DRF [7]. Seit mehreren Jahren werden Hydrodispersionsgele mit anderen Gelbildnern in Sonnenschutzmitteln (z. B. Ladival®) eingesetzt und für Verbraucher mit "Mallorca-Akne" als emulgatorfreie Produkte vermarktet. Die Quasiemulsionen vom O/W-Typ bilden eine Alternative zu klassischen O/W-Emulsionen mit überwiegend Macrogol-haltigen Emulgatoren und bieten sich damit insbesondere für Patienten mit empfindlicher Haut, Babys und Kleinkinder an. Die Herstellung der Gele erfordert eine besondere Vorgehensweise (siehe Kasten). Da Hydrodispersionsgele wasserreich sind, sollten sie konserviert werden. In der Beispielrezeptur fehlt jedoch eine Konservierung.

Herstellung des Hydrodispersionsgels


Für die Herstellung des Hydrodispersionsgels bieten sich zwei grundsätzliche Vorgehensweisen an.


Variante 1:

  • Wasserphase auf 75 bis 80 °C erwärmen

  • Fettphase auf 75 bis 80 °C erwärmen

  • Verdicker (Hypromellose 2000) homogen im niedrigviskosen Öl dispergieren

  • [evtl. (je nach Wirkstoff) Wirkstoffphase klar lösen]

  • dispergierte Verdickerphase in die heiße Wasserphase unter stärkerem Rühren einrühren, bis keine Klumpen mehr vorhanden sind (evtl. schwach und kurz homogenisieren)

  • Fettphase dazugeben und weiter stark rühren

  • [evtl. Wirkstoffphase in der Wärme zugeben]

  • bei 65 °C stark homogenisieren

  • kaltrühren und ggf. temperaturempfindliche Wirkstoffe einrühren

  • bei 30 °C nochmals stark homogenisieren


[Quelle: Fa. Beiersdorf]

Variante 2:

  • Wasser auf 60 °C erhitzen

  • Hypromellose 2000 dispergieren bzw. homogenisieren

  • unter Rühren [100 UpM/1 Stunde] auf Raumtemperatur abkühlen lassen:

  • Hypromellose 2000 ausquellen lassen

  • Wasser- und Ölphase auf 40 °C erwärmen

  • Ölphase emulgieren bzw. homogenisieren

  • Homogenisator 10.000 UpM/10 min.

  • unter Rühren [100 UpM/1 Stunde] auf Raumtemperatur abkühlen lassen:


[Quelle: Daniels, R., Barta, A., Herstellung, Charakterisierung und Stabilitätsprüfung von O/W-Emulsionen mit Methylhydroxypropylcellulose als Emulgator, Pharm. Ztg. Wiss. 1991; 136 (4): 177 – 183]

Dickflüssiges Paraffin

Dickflüssiges Paraffin (Synonym: Paraffinum subliquidum) stellt eine gereinigte Mischung flüssiger, gesättigter Kohlenwasserstoffe dar, die aus den Rückständen der Erdöldestillation gewonnen wird. Es dient in dermatologischen Zubereitungen als inerte Ölkomponente. Die Konzentration in der Beispielrezeptur liegt mit 17,1 Prozent unterhalb des Höchstgehaltes von 20 Prozent, der in ein Hydrodispersionsgel eingearbeitet werden kann.

Glycerin

Glycerin gehört zu den meist verwendeten Moisturizern in halbfesten wasserhaltigen Zubereitungen. Seine feuchtigkeitsbindenden und hydratisierenden Eigenschaften zeigen sich bereits in Konzentrationen von 5 bis 10 Prozent, wie Gloor et al. herausgefunden haben. Als besonders effektiv hatte sich dabei eine Kombination von 5 Prozent Glycerin und 5 Prozent Harnstoff erwiesen [8]. Bei Konzentrationen um 30 Prozent kommt die nachteilige hygroskopische Wirkung von Glycerin zum Tragen, das dann Wasser aus dem Gewebe herauszieht. Dies ist in der Beispielrezeptur mit einer Glycerin-Konzentration von 28,4 Prozent zu befürchten.

Überlegungen zur Optimierung

Damit bestehen folgende Ansätze zur Optimierung der Beispielrezeptur:

  • Die pH-Stabilitätsoptima von Tretinoin und Betamethason-17-valerat können in Anlehnung an das NRF mit einem Citrat-Puffer (Citronensäure-Lösung 0,5%, Natriumcitrat-Lösung 0,5%) eingestellt werden, von dem 5 Prozent bezogen auf die Gesamtzubereitung eingesetzt werden. Die geringe Menge gelöster Elektrolyte zeigt nach eigener Erfahrung keine negativen Auswirkungen auf die Viskosität des Hydrodispersionsgels.

  • Zum Schutz des Tretinoins sollte Butylhydroxytoluol hinzugefügt werden.

  • Aerosil 200 sollte eliminiert werden.

  • Methylhydroxycellulose MH 50 ist nicht in einer pharmazeutischen Qualität erhältlich. Stattdessen sollte die nahe verwandte Methylhydroxypropylcellulose (MHPC, im Europäischen Arzneibuch als Hypromellose monographiert) eingesetzt werden.

  • Die Glycerin-Konzentration sollte auf ein gebräuchliches Maß von 10 Prozent reduziert werden.

  • Die Rezeptur sollte mit 0,14 Prozent Kaliumsorbat oder mit Propylenglycol (20% bezogen auf die Wassermenge) konserviert werden.

Dies ergibt die folgende optimierte Rezeptur:

Die Herstellung gliedert sich in zwei Abschnitte. Zunächst wird das Hydrodispersionsgel hergestellt (siehe Kasten), wobei auch das Konservierungsmittel, der Citrat-Puffer und das BHT-Paraffinkonzentrat einbezogen werden. Anschließend werden die Wirkstoffe in dem Hydrodispersionsgel suspendiert.

Optimierte Rezeptur


Rp. (optimiert)

Tretinoin, mikronisiert: 0,01 g

Butylhydroxytoluol-Paraffinkonzentrat 2% (NRF S. 35): 0,4 g

Betamethason-17-valerat: 0,01 g

Citrat-Puffer pH 4,2: 1,0 g

Hypromellose 2000: 0,4 g

Paraffin. subliq.: 3,41 g

Glycerol 85%: 2,0 g

Kaliumsorbat: 0,028 g

oder

Propylenglycol: 2,63 g

Aqua purific.: ad 20,0 g

Aufbrauchfrist: 6 Monate (Tube) unter 8 °C


Literatur

[1] Merk, H.F., Bickers, D.R., Dermatopharmakologie und Dermatotherapie, Blackwell Wissenschafts-Verlag Berlin (1992), S. 245 ff.

[2] N.N., Tretinoin, Wirkstoffdossiers für externe dermatologische Rezepturen, Gesellschaft für Dermopharmazie, Fachgruppe Magistralrezepturen, www.gd-online.de, Stand: 19.11.2009

[3] Niedner, R., Glucocorticosteroide, in: Niedner, R., Ziegenmeyer, J. (Hrsg.), Dermatika, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (1992), Tab. 4.4, S. 82 f.

[4] Häckh, G., Schwarzmüller, E., Codex dermatologischer Wirkstoffe, in: Niedner, R., Ziegenmeyer, J. (Hrsg.), Dermatika, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (1992), Monographie: Betamethason-17-valerat, S. 334 f.

[5] Merk, H.F., Bickers, D.R., Dermatopharmakologie und Dermatotherapie, Blackwell Wissenschafts-Verlag Berlin (1992), S. 87

[6] Ammon, H.P.T. (Hrsg.), Hunnius, Pharmazeutisches Taschenbuch, Walter de Gruyter GmbH Berlin/New York (2010), S. 1554 f.

[7] List, P.H., Hörhammer, L. (Hrsg.), Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis, Springer Verlag (1977), 4. Ausgabe, Band VII, Teil B: Hilfsstoffe, Cellulose und Cellulosederivate, S. 119 f.

[8] Gloor, M., Schermer, S., Gehring, W., Ist die Kombination von Harnstoff und Glycerin in Externagrundlagen sinnvoll? Z. Hautkr. 1997; 72: 509 – 514


Autor

Dr. rer. nat. Gerd Wolf, Fachapotheker für Offizinpharmazie, Robert-KochApotheke, Fauviller Ring 1, 53501 Grafschaft-Ringen

Rezepturprobleme erkennen und lösen


In der DAZ 30/2010 hatte Dr. Gerd Wolf ein praxisorientiertes Konzept zum Erkennen und Lösen von Rezepturproblemen vorgestellt und die Anwendung an einem Beispiel erläutert. Die Vorgehensweise wird in weiteren Beiträgen vertieft. Bislang sind erschienen:



DAZ 2011, Nr. 19, S. 62

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