Feuilleton

Gesundheitsmanager drücken die Heilberufler an die Seite

"Gesundheit ist keine Ware." Diese Redensart drückte einst aus, dass man sich Gesundheit nicht kaufen kann wie Waren, die auf dem Marktplatz feilgeboten werden, selbst wenn man noch so viel Geld dafür bieten konnte. Die Zeiten haben sich geändert: Nachdem schon mancher utopische Menschheitstraum wahr geworden ist, kann auch die Medizin beachtliche Erfolge vorweisen, die allerdings außer fachlichem Können erhebliche finanzielle Mittel erfordern. Ja, das Geld zählt heute mehr als das Fachwissen. Das Gesundheitswesen ist kommerzialisiert – und das ist der Hauptgrund, dass es völlig umstrukturiert wird.

Ein Begriff wie Zweiklassenmedizin ist nur möglich, weil Patienten der ersten Klasse für eine bessere Honorierung bessere medizinische Leistungen erhalten, die wahrscheinlich – beweisen lässt es sich im Einzelfall nicht, aber Mediziner, Patienten und Angehörige sind meistens davon überzeugt – die Überlebenszeit verlängern oder die Lebensqualität steigern.

Dass erfolgreiche Therapien ihren Preis haben, lässt sich nicht ignorieren, aber aufgrund der langen Tradition, in der Gesundheit nicht käuflich war, ist es heute üblich zu sagen, Waren und Dienstleistungen, die die Gesundheit wiederherstellen sollen, seien Waren und Dienstleistungen der "besonderen Art". Sind sie das wirklich?

Der Apotheker, Sinologe und Medizinhistoriker Paul Ulrich Unschuld, der derzeit als Direktor des Horst-Görtz-Stiftungsinstituts für Theorie, Geschichte und Ethik chinesischer Lebenswissenschaften an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin wirkt, behauptet angesichts der fortgeschrittenen Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, dass auch Gesundheit eine Ware wie jede andere geworden ist. Sein bereits in zweiter Auflage erschienenes Buch "Ware Gesundheit" trägt den Untertitel "Das Ende der klassischen Medizin".

Medizin zwischen Privatvergnügen und Staatsauftrag

Dass das klassische Altertum die abendländische Medizin bis in die Gegenwart prägt, ist nicht nur am Eid des Hippokrates ersichtlich. Unschuld legt dar, dass wir den alten Griechen auch die wichtigste erkenntnistheoretische Grundlage verdanken: die "Gesetzlichkeit aller Naturvorgänge". Auf dieser Grundlage konnte die – nach modernem Sprachgebrauch – naturwissenschaftlich fundierte Medizin neben die älteren, religiös verbrämten Behandlungsmethoden treten, wenn sie sie auch nie ganz ersetzen konnte, sofern man unter "Religion" auch komplexe weltanschauliche Konzepte subsumiert.

Die wissenschaftliche oder Schulmedizin, die seit dem Hochmittelalter an "Schulen" und medizinischen Fakultäten gelehrt wurde, blieb jahrhundertelange elitär. Neben der allgemeinbildenden Philosophie und der für Staat und Kirche essenziellen Juristerei und Theologie bildete die Medizin stets die kleinste der vier universitären Fakultäten. Als Staatsdiener hatten akademisch gebildete Ärzte die Gesundheit der Herrscher und der Führungsschichten zu erhalten. Für die übrige Bevölkerung galt hingegen (Unschuld): "Jede Lücke ließ sich wieder schließen", weshalb "Krankheit und früher Tod … keine gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen erforderten". Auch die Gesundheitsvorsorge der Städte durch Bestellung eines Stadtphysikus und die staatliche Überwachung der öffentlichen Apotheken galten im Wesentlichen dem Wohl der Oberschicht. Die einfache Bevölkerung half sich in ihrer Not mit Hausmitteln, konsultierte nicht-akademische Praktiker vom Bader bis zum Scharlatan oder erflehte himmlischen Beistand.

Die These, dass die "Volksgesundheit" im Interesse des Staates liege und dass der Staat sich dafür einsetzen müsse, war eine Frucht der Aufklärung. Sie wurde neben vielen Gleichgesinnten von Johann Peter Frank (1745 – 1821), einem "Pionier der Sozialmedizin" (Unschuld), vertreten und setzte sich in relativ kurzer Zeit in der westlichen Zivilisation durch. Damit erweiterte der Staat das Aufgabengebiet der Ärzte und der Apotheker um ein Vielfaches. Meilensteine auf dem nun eingeschlagenen Wege waren die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Mitfinanzierung dieser "Versicherung", die als Instrument der Sozialpolitik diesen Namen heute nur noch mit Einschränkung verdient, durch den Staatshaushalt.

Aufstieg und beginnender Verfall der Medizin

Die staatliche Förderung führte zu einer neuartigen Medizin, "einer Medizin, die in nie gekanntem Maße dem Menschen die Möglichkeit einräumte, seine Lebensqualität selbst zu bestimmen" (Unschuld). Niedergelassene Ärzte arbeiteten mit den Behörden Hand in Hand und profilierten sich nicht selten in der Politik, indem sie sich hinsichtlich der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Anwalt unterer Bevölkerungsschichten machten. "Eine der vielen Konsequenzen dieser Entwicklung war die zuvor nie gekannte Hochachtung für den ärztlichen Stand insgesamt." (Unschuld)

Im 19. Jahrhundert entstand aber auch das moderne Krankenhaus für solche Fälle, denen die "Individualmedizin" nicht gewachsen war – und mit dem Fortschritt der medizintechnischen Diagnostik, der Chirurgie und komplexer Pharmakotherapien wurde das Krankenhaus immer wichtiger und natürlich auch kostspieliger. Mit dieser Institution "zog notgedrungen das Konzept der Investition in die Gesundheitspolitik ein" (Unschuld). So erscheint es logisch, dass viele Krankenhäuser, die einst in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft betrieben wurden, heute privatisiert sind und so geführt werden, dass sie Renditen abwerfen.

Eine Parallele zur Zentralisierung von Diagnostik und Therapie im Krankenhaus ist die Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende und sich in wenigen Jahrzehnten durchsetzende Arzneimittelherstellung in der pharmazeutischen Industrie. Ungeheure Entwicklungskosten für neue Arzneimittel dienen als Rechtfertigung für entsprechend hohe Preise. Das ist an sich nicht unmoralisch; fatal ist hingegen, dass die Pharmafirmen nicht primär an der Gesundheit der Anwender ihrer Präparate, sondern am eigenen Wohlergehen interessiert sind, das sich in einem hohen Umsatz und Gewinn ausdrückt.

Ein weiterer wichtiger "Mitspieler" im Gesundheitswesen sind die Krankenkassen, die sich von lokalen, über- und durchschaubaren Strukturen zu finanzstarken Unternehmen gewandelt haben. Dass sie uneigennützige Sachwalter der Interessen ihrer Mitglieder seien, wird von vielen gesundheitspolitischen Experten bestritten. Auch Unschuld schlägt in diese Kerbe und unterstellt dem Management der Kassen, dass es im Grunde kein Interesse an Einsparungen habe, weil sich sein eigener Verdienst nicht danach, sondern nach dem Umsatz der jeweiligen Kasse richtet.

Kommerzialisierung …

Die soeben skizzierten Entwicklungen werden auch unter dem Stichwort "Kommerzialisierung" zusammengefasst. Das Gesundheitswesen ist heute im Wesentlichen mit dem Gesundheitsmarkt gleichzusetzen, auf dem die "Ware Gesundheit" gehandelt wird. Es ist nur konsequent, dass Nationalökonomen – und natürlich auch Investoren – ihn mit anderen Wirtschaftszweigen vergleichen. Seit Jahrzehnten wächst dieser Markt stärker als das Bruttosozialprodukt. Der Staat versuchte immer wieder, durch Gesetze die Kosten zu "dämpfen", aber bekanntlich ohne anhaltende Erfolge. So fragt sich mancher, ob diese Sparpolitik überhaupt sinnvoll ist oder ob das Wachstum der Gesundheitswirtschaft eher positiv zu sehen ist, weil dadurch neue Arbeitsplätze entstehen und weil der höhere Umsatz dem Staat höhere Steuereinnahmen beschert. Eine vordergründige Betrachtung, die die Folgekosten ausklammert? Hier gehen die Meinungen durchaus auseinander. Und so kann Unschuld schreiben:

"Erstmals in der Geschichte ist der Kranke für die wirtschaftliche Stärke einer Gesellschaft insgesamt nicht mehr von Nachteil. Im Gegenteil, der Kranke ist ebenso wertvoll wie der Gesunde." Diese absurd erscheinende Situation spiegelt sich in grotesken Termini des Krankenhaus-Managements wider wie beispielsweise "zielgerichtetes Verkranken" von Patienten.

Immer wieder warnen Gesundheitsexperten vor vertikalen Strukturen im Gesundheitsmarkt, wie sie teilweise in den USA schon üblich sind. Unschuld entwirft ein Szenario, das noch einen Schritt darüber hinausgeht: Er befürchtet, dass "das gesamte Gesundheitswesen von den Herstellern bis zu den Verbrauchern in eine staatlich gelenkte Einheits- und Zuteilungsversorgung" überführt wird. Diejenigen, den das am wenigsten gefällt, sind die freiberuflichen Heilberufler, die niedergelassenen Ärzte und die Apothekenleiter.

… und Deprofessionalisierung

Zu einem "vollkommenen Standesberuf" gehören laut Unschuld drei Merkmale: Die Berufsangehörigen schaffen ihr Wissen selbst, und sie entscheiden selbst, wie sie ihr Wissen anwenden, d. h. ihren Beruf ausüben, und wie sie sich ihre Leistungen honorieren lassen. Dieses Konzept erinnert stark an das einstige Zunftwesen der Handwerker, das zweifellos überholt ist. Es ist noch nicht einmal ein Jahr vergangen, dass der "Spiegel" in einem Beitrag behauptete, die Apotheken in Deutschland seien "immer noch wie mittelalterliche Zunftbetriebe organisiert", was nicht als Lob, sondern als Kritik zu verstehen war. Möglicherweise idealisiert Unschuld den "Standesberuf", wie er ihn versteht, weil er die negativen Folgen seines Verfalls vor Augen hat, die er mit dem Begriff "Deprofessionalisierung" umreißt.

Unschuld konstatiert, dass die Deprofessionalisierung der Apotheker in Deutschland mit der – damals von den meisten Apothekern begrüßten – Einführung der Niederlassungsfreiheit im Jahr 1956 begann. Die Aufhebung des strikten Mehrbesitzverbots durch das GKV-Modernisierungsgesetz (2004) und die Aufhebung des Fremdbesitzverbots, die laut Unschulds Prognose folgen wird, haben den Prozess beschleunigt oder werden dies tun. Das Ende vom Lied ist, dass pharmazeutischer Sachverstand in der Arzneimitteldistribution immer weniger gefragt ist – erst recht nicht in den Kettenapotheken von Morgen; dort werde die Werbung für den Arzneimittelkonsum die neutrale Beratung ersetzen.

Deprimierendes Fazit von Unschuld: Der Apotheker, der ein anspruchsvolles und (auch für den Staat) teures Studium absolviert hat, ist in der Apotheke eigentlich überflüssig. Was in der Apotheke künftig allein zählt, ist der Umsatz.


W. Caesar


Literatur


Paul U. Unschuld

Ware Gesundheit – Das Ende der klassischen Medizin

2. Aufl., 124 S., 5 Abb. Kart. 9,95 Euro

C. H. Beck, München 2011

ISBN 978-3-406-59284-3

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DAZ 2011, Nr. 19, S. 74

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