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Wenn G-BA-Beschlüsse beim BMG unter die Lupe kommen …

BERLIN (du). Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln oder zur Eingruppierung in Festbetragsgruppen führen immer wieder zu Diskussionen. Aufsehen hat die Beanstandung zum Verordnungsausschluss der Glinide durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erregt. Der Beschluss ist bislang unter anderem deshalb nicht rechtskräftig, weil das BMG die Auffassung vertritt, dass der G-BA nicht das Recht habe, ein Arzneimittel aufgrund einer von den Zulassungsbehörden abweichenden Nutzenbewertung von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen.
Foto: DAZ/Sket
Dr. Rainer Hess

Für weiteren Diskussionsstoff sorgt der Festbetragsgruppen-Beschluss für Citalopram und Escitalopram. Er hätte zur Konsequenz, dass der Preis für das patentgeschützte Escitalopram (Cipralex®) gesenkt werden müsste oder die Patienten bei Weiterverordnung Zuzahlungen leisten müssten. In diesem Zusammenhang wird dem G-BA vorgeworfen, seine selbst gestellten Kriterien zur Nutzenbewertung zu missachten. Im Gespräch mit der DAZ nimmt Dr. Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender des G-BA zu den Fragen Stellung, die sich in diesem Zusammenhang ergeben.

DAZ: Herr Dr. Hess, das BMG hat den Beschluss zu den Gliniden beanstandet und dem G-BA letztlich eine Kompetenzüberschreitung vorgeworfen, der G-BA habe nicht das Recht, eine Nutzenbewertung der Zulassungsbehörde infrage zu stellen. Damit steht die Frage nach der Rollenverteilung zwischen Zulassungsbehörde und G-BA hinsichtlich der Nutzenbewertung im Raum. Haben Sie Ihre Kompetenzen überschritten?

Hess: Der G-BA geht davon aus, dass mit der Zulassung eines Arzneimittels zwar die Wirksamkeit, nicht aber der Nutzen belegt ist. Gerade im Fall der Glinide lag eine Zulassung aufgrund einer einzigen Studie gegen einen Surrogatparameter mit 500 Probanden vor – mehr nicht. In der gesamten Zeit nach der Zulassung sind durch den Hersteller keine weiteren Studien geliefert worden, so dass wir vor diesem Hintergrund das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) um eine gründliche, evidenzbasierte Bewertung gebeten haben. Das Institut kam zu dem Schluss, dass ein Nutzen anhand von patientenrelevanten Endpunkten wie zum Beispiel Mortalität oder Morbidität wissenschaftlich nicht belegt ist. Auf dieses Ergebnis hat der G-BA seine Entscheidung gestützt, die aus meiner Sicht nur folgerichtig und konsequent ist. Das Ministerium jedoch geht davon aus, dass selbst eine derart mangelhafte Studienlage nicht ausreicht, um die Präparate von der Verordnungsfähigkeit zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auszuschließen und fordert vielmehr eine vergleichende Bewertung.


DAZ: Damit stellt sich die Frage, wer denn solche vergleichenden Studien bzw. den Nutzenbeleg vom Hersteller einfordern kann?

Hess: Das war bislang die Aufgabe des G-BA. In § 92 SGB V war ausdrücklich festgelegt, dass der G-BA den Nutzen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu überprüfen hat und gegebenenfalls nicht nur Arzneimittel, sondern auch andere medizinische Leistungen und Therapien von der Verordnungsfähigkeit zulasten der Krankenkassen ausschließen kann. Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 aber hat der Gesetzgeber dies geändert und die Arzneimittel aus der bewährten Systematik herausgenommen, den Nutzennachweis für die übrigen Methoden aber ansonsten beibehalten. Dem G-BA hat er auferlegt, nun die Unzweckmäßigkeit eines Präparates nachzuweisen, allerdings mit der Möglichkeit, von dem Hersteller einen Nachweis der Zweckmäßigkeit in Form von Studien verbindlich einzufordern. Wenn das seitens des Herstellers nicht erfolgt, ist der G-BA berechtigt, entsprechende Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen.

Wenn der G-BA jetzt – zum Beispiel im Fall der Glinide – nach neuem Recht vorgehen würde, dann müsste allen Herstellern – und das sind einige, da Glinide inzwischen generikafähig sind – auferlegt werden, entsprechende Studien einzureichen. Geschieht dies nicht, dann wäre der G-BA in der Lage – nach einer gewissen Zeit – die Glinide mit der Begründung auszuschließen, dass deren Zweckmäßigkeit nicht belegt ist.


DAZ: Nun konnte ja gegen die BMG-Beanstandung des Glinide-Beschlusses Klage eingereicht werden. Die Frist ist inzwischen abgelaufen. Haben Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht?

Hess: Wir haben in der Tat Klage eingereicht, aber zunächst nur zur Fristwahrung. Die Entscheidung darüber, ob wir diesen Beschluss akzeptieren, fällt wahrscheinlich erst in der nächsten öffentlichen Sitzung des G-BA im Mai. Die Entscheidungen des Ministeriums werden von der Industrie natürlich sehr genau verfolgt. Pharmazeutische Unternehmen prüfen derzeit die Arzneimittelrichtlinien des G-BA besonders gründlich, in denen Präparate von der Verordnungsfähigkeit ausgenommen wurden. Einige Firmen vertreten die Rechtsauffassung, dass solche Ausschlüsse durch den G-BA aufgrund der seit Januar 2011 geltenden neue Rechtslage nicht rechtmäßig waren. Letztlich geht es bei der Nutzenbewertung vor allem darum, Patientinnen und Patienten vor nutzlosen Präparaten und damit vor falschen Heilungsversprechen zu bewahren. Denn eine Therapie mit nutzlosen Präparaten schadet dem Patienten natürlich auch, weil ihm gleichzeitig wirksame Arzneimittel vorenthalten werden, die er anstelle der Nutzlosen hätte einnehmen können. Diese Ansicht wird auch von den meisten Patientenvertretern im G-BA vorbehaltlos geteilt.


DAZ: Der G-BA sieht sich zurzeit auch im Zusammenhang mit der Festgruppenbildung von Citalopram und Escitalopram schweren Vorwürfen ausgesetzt. Die selbst auferlegten Kriterien zur Nutzenbewertung seien missachtet worden, das BMG hat zusätzliche Informationen angefordert.

Hess: Mittlerweile ist der entsprechende Beschluss durch das BMG ohne Einschränkungen bestätigt worden, nachdem wir der Bitte nach ergänzenden Informationen nachgekommen sind. Bei diesem Beschluss geht es eigentlich nur darum, ob der neuere Wirkstoff, also Escitalopram, im Vergleich mit dem alten, inzwischen generischen Citalopram einen Zusatznutzen aufweist. Da Escitalopram mit dem Ablauf des Patents von Citalopram in den Markt kam, drängt sich natürlich die Vermutung auf, dass es nur Citalopram in puncto Patentschutz ersetzen sollte. Zwar hat die betroffene Firma Studien vorgelegt, die den Zusatznutzen belegen sollen, doch das IQWiG hat festgestellt, dass dieser aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien nicht belegt ist. In einem Antwortschreiben an das BMG sind wir der angesprochenen Aufforderung nachgekommen und haben eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Dabei haben wir noch einmal klargestellt, dass unser Vorgehen nicht im Widerspruch zum methodischen Vorgehen des IQWiG steht. Ganz entscheidend für unsere Bewertung ist, dass in keiner Studie Citalopram und Escitalopram in äquipotenten Dosierungen verglichen worden ist. Citalopram wurde durchweg nicht in der zugelassenen Höchstdosis eingesetzt, was tendenziell zu günstigeren Ergebnissen für Escitalopram geführt hat.


DAZ: Mit der Kritik an dem Festbetragbeschluss wurde wieder massiv Kritik an fehlender Transparenz des G-BA geäußert. Ein zentraler Punkt ist, dass die Mitglieder und Gutachter des Unterausschusses nicht namentlich bekannt sind.

Hess: Wer dem G-BA mangelnde Transparenz vorwirft, der hat vielleicht noch nicht die umfassenden und vollständigen Informationen auf der Webseite www.g-ba.de zu allen Entscheidungen eingesehen. Diese beinhalten unter anderem sämtliche Abschlussberichte von zum Teil mehreren hundert Seiten, sowie die vollständige Korrespondenz mit dem Ministerium. Auch wer an unseren öffentlichen Sitzungen teilgenommen hat, weiß, dass der G-BA bereits jetzt zu einem äußerst transparenten Verfahren verpflichtet ist und dieser Verpflichtung auch nachkommt. Dass die Namen der Mitglieder der Unterausschüsse nicht veröffentlicht werden, ist eine Entscheidung des G-BA, die die Betroffenen vor einer Informationsflut durch die Industrie schützen soll.

Auch im Fall von Citalopram und Escitalopram wurde der Hersteller durch den zuständigen Unterausschuss gehört. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Hersteller den Beschluss schon aus rein ökonomischen Gründen nicht akzeptieren kann. Die Behauptung aber, das Verfahren sei nicht transparent gewesen, ist nicht zutreffend. Ich halte die Entscheidung vielmehr für fachlich gut begründet.


DAZ: Im Rahmen der Diskussion um mehr Transparenz wird auch gefordert, dass die Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit durch eine Fachaufsicht ersetzt werden sollte. Welche Konsequenzen hätte das für den G-BA?

Hess: Die Frage zur Rechtsaufsicht und Fachaufsicht ist zunächst einmal gesetzlich geklärt. Wenn der Gesetzgeber das ändern will, kann er das tun. Er muss sich dann allerdings über die Konsequenzen im Klaren sein. Denn wenn das Ministerium die Fachaufsicht übernimmt, dann muss es in Zukunft die volle Verantwortung für Entscheidungen des G-BA übernehmen und dazu dann auch unter Umständen Rede und Antwort stehen. Die Frage Rechtsaufsicht/Fachaufsicht ist also eine politische Entscheidung. Wenn dem G-BA durch den Gesetzgeber die Verantwortung übertragen worden ist, die er durch die aktuelle Gesetzeslage hat, dann muss der G-BA diese Verantwortung nach den Kriterien der Wissenschaft und der evidenzbasierten Medizin wahrnehmen. Das kann dann natürlich aus Sicht von betroffenen Firmen mitunter zu negativen Entscheidungen führen.


DAZ: Herr Dr. Hess, wir danken Ihnen für das Gespräch!



DAZ 2011, Nr. 17, S. 20

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