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Gefährliche Geschenke

Klaus G. Brauer

Es tut sich ‘was – seit letzter Woche liegt ein erstes offizielles BMG-Positionspapier für die anstehende Novellierung der Apothekenbetriebsordnung vor. Nach Abstimmung zwischen den Koalitionsparteien würde üblicherweise daraus ein Eckpunktepapier entwickelt, das dann in den Referentenentwurf einfließt. Besonders bei Abgeordneten der CDU/CSU regt sich allerdings Widerstand. Sie möchten schon vor der nächsten Koordinierungsrunde der Koalitionsgesundheitspolitiker – also vor Mitte Mai – den Referentenentwurf auf dem Tisch haben.

Das Positionspapier zeigt sich anfangs erfreulich moderat und konstruktiv. Auch wenn über einige Ungereimtheiten zu reden sein wird: Die Absicht ist spürbar, praxistaugliche Qualitätsstandards zu definieren – für Rezeptur, Defektur und Beratung zum Beispiel. Allerdings: In anderen Passagen des Papiers werden die gerade neu aufgestellten Kegel komplett wieder umgeworfen. Da steckt Zündstoff: Vermeintliche Erleichterungen, Deregulierungen, Entbürokratisierungen entpuppen sich, bedenkt man die Folgen, als gefährlich wie klassische Danaergeschenke. Wie einst den Trojanern wird es auch uns am Ende leidtun, wenn wir sie annehmen.

Das gilt zum Beispiel für die Vorstellung, dass in den Filialverbünden (von bis zu vier Apotheken) nur noch einer der Betriebe über eine Rezeptur und ein Labor verfügen muss. Im Extremfall (bei maximaler Filialisierung) würde also in mehr als 15.000 Apotheken nicht mehr die notwendige wissenschaftlich-fachliche Ausstattung mit Geräten, Grundstoffen und Literatur verfügbar sein. Damit würde dort auch das Know-how verloren gehen, um Rezepturen und Defekturen anfertigen und die dazu notwendigen Prüfungen durchführen zu können.

Die Abrüstung auch nur eines Teils der Apotheken zu Schmalspur-Apotheken hätte weitreichende Folgen. Sofort liegt die Forderung in der Luft, dann könnte man doch auch die Raumanforderungen reduzieren. Und: Reichen für Schmalspur- oder Barfußapotheken nicht auch schmalspurausgebildete Mitarbeiter und Schmalspur-Apothekenleiter? Die daraus folgende Kompetenzabschmelzung und Entprofessionalisierung der pharmazeutischen Berufe ist gesundheitspolitisch und berufspolitisch kreuzgefährlich. Apotheken werden attraktiver für jene, die Ketten herbeisehnen, bisher aber durch hohe Anforderungen abgeschreckt wurden. Hinzu kommt: Beim gegenwärtigen Filialisierungsgrad hätte die große Mehrheit normaler "Voll"-Apotheken – nicht formalrechtlich, aber faktisch – existenzgefährdende Wettbewerbsnachteile gegenüber Filialbetrieben in ihrem Konkurrenzumfeld.

In diesen Kontext passt, dass laut Positionspapier eine Apotheke im Filialverbund "im Grundsatz" ihren Notdienst einer anderen Apotheke des Verbundes übertragen darf. Und was ist, wenn die Ausgewählte im Nachbarkreis liegt, also weit von der Apotheke entfernt ist, für die sie einspringt? Oder wenn sie nach neuem Recht nur Barfußapotheke ist? Das ging nicht, klar! Denn das Netz "notdienstfähiger" Apotheken würde ganz schnell sehr dünn, sehr löchrig. Man erkennt: Die vordergründig attraktive aggressive Deregulierung führt auch hier zu kompliziertem neuem Regulierungsbedarf. Will die Koalition im Apothekenwesen ein Desaster anrichten, wie es auf den Finanzmärkten über uns gekommen ist?

Die Aufgabe einheitlicher Mindeststandards für Apotheken ist ein gefährlicher Irrweg. Nur sehr begrenzte Ausnahmen davon – z. B. besondere Anforderungen für die Versorgung mit Parenteralia/Zytostatika und maschinelles Verblistern – sind zu rechtfertigen.

Mit der Etablierung von Schmalspur-Apotheken geriete unser Apothekensystem insgesamt auf die schiefe Bahn. Es sind danach nur noch wenige gesetzgeberische Schritte – und wir sind bei einer expliziten Legalisierung von Pick-up-Stellen, den angeblich eigentlich unerwünschten Ausfransungen des Arzneiversandhandels. Die Totalliberalisierung, die im Positionspapier als Lösung für das leidige Pick-up-Stellen-Problem skizziert wird, führt zu absurden Konsequenzen. Ohne Erlaubnisvorbehalt könnte künftig neben jeder Versandapotheke auch jede Präsenzapotheke beliebig viele Rezeptsammelstellen installieren – zwar weiterhin nicht in Arztpraxen, aber in Gewerbebetrieben (das ist neu!) sehr wohl. Was für das Einsammeln von Rezepten gilt, wird dann auch für das Abholen gelten müssen: Gleichstellung von Versand- und Präsenzapotheken. Also: Pick-up-Stellen partout, "Apotheken" light bei Edeka und bei Schlecker, beim Bäcker, im Blumenladen und in der Kneipe. Ist das Huxleys Brave New World für Apotheken: ein hässliches Chaos von Sammelstellen, Ausgabeorten, Light-, Schmalspur- und Vollapotheken?


Klaus G. Brauer



DAZ 2011, Nr. 16, S. 3

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