Arzneimittel und Therapie

Everolimus bei neuroendokrinen Tumoren

Everolimus ist ein mTOR-Inhibitor, der zur Behandlung neuroendokriner Tumoren entwickelt wird. Die Zulassung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA als Monotherapie und in Kombination mit Octreotid ist beantragt. Everolimus ist unter dem Handelsnamen Certican® bereits für die Prävention einer Organabstoßung bei Herz- und Nierentransplantationen zugelassen.
Everolimus ist ein immunsuppressiv wirksames Makrolid, das semisynthetisch aus einem makrozyklischen Lacton, das von Streptomyces hygroscopicus gebildet wird, hergestellt wird. Es unterscheidet sich chemisch nur wenig von Sirolimus und hat auch den gleichen Wirkmechanismus: Beide Moleküle hemmen die Proliferation von Antigen-aktivierten T-Lymphozyten.

Basis für den Zulassungsantrag für die neue Indikation sind die Ergebnisse der Phase-III-Studien RADIANT B-2 und -3 (RAD0001 [Everolimus] in Advanced Neuroendocrine Tumors) mit rund 1000 Patienten, in denen Wirksamkeit und Verträglichkeit des oral verfügbaren mTOR-Inhibitors nachgewiesen wurden. Dabei wird Everolimus als Monotherapie und in Kombination mit dem Somatostatin-Analogon Octreotid untersucht, das zur symptomatischen Behandlung funktionell aktiver neuroendokriner Tumoren des Gastrointestinaltraktes zugelassen ist.

Krebserkrankungen des neuroendokrinen Systems

Krebserkrankungen des neuroendokrinen Systems entstehen vor allem im Gastrointestinaltrakt, dem Pankreas und der Lunge aus endokrinen Zelltypen, die eine Vielzahl von Hormonen sezernieren können. Man unterscheidet funktionell aktive Tumore mit exzessiver Hormonausschüttung und charakteristischen hormonellen Syndromen (z. B. Karzinoid-Syndrom) sowie nicht funktionell aktive neuroendokrine Tumore. Letztere enthalten zwar ebenfalls Hormone, jedoch tritt bei diesen keine hormonbedingte Symptomatik auf, da sie diese nicht sezernieren.

Bislang gehörten neuroendokrine Tumoren mit etwa 800 bis 1600 Neuerkrankungen pro Jahr zu den seltenen Tumoren. Seit Kurzem zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Inzidenz: Aktuell erkranken in Deutschland jährlich rund 2500 bis 4000 Patienten an dieser Erkrankung. Der Grund für die Zunahme ist vor allem eine verbesserte Diagnostik.

Aufgrund der verschiedenen Symptome sind neuroendokrine Tumoren sehr heterogen und oft schwierig zu erkennen. Derzeit dauert es im Durchschnitt sechs Jahre, bis die Diagnose gestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Erkrankung bereits bei 50% der Betroffenen in einem fortgeschrittenen oder metastasierten Stadium und hat eine schlechte Prognose.

mTOR signalisiert Zellwachstum

Neuroendokrine Tumoren gehen mit genetischen Veränderungen einher, die zur Aktivierung des mTOR-Signalwegs (mTOR = mammalian target of rapamycine) führen. Dieses Schlüsselenzym wirkt in der Tumorzelle als zentraler Regulator von Wachstum, Teilung und Stoffwechsel sowie der Angiogenese. Das Enzym wird durch das Angebot von Wachstumsfaktoren und Nährstoffen mittels Signaltransduktion reguliert.

In malignen Tumoren wird mTOR oft überaktiviert. Dadurch kommt es zur vermehrten Proteinsynthese. Unkontrolliertes Wachstum, abnormer Metabolismus sowie vermehrte Tumor-Angiogenese werden ermöglicht und das Überleben der malignen Zellen gesichert. Everolimus ist ein oral einzunehmender Inhibitor von mTOR und hemmt bei einmal täglicher Einnahme mTOR kontinuierlich. Seit 2009 ist Everolimus in der EU zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom zugelassen, bei denen es während oder nach einer gegen VEGF (Vascular-Endothelial Growth Factor) gerichteten Therapie zu einer Krankheitsprogression kommt.

RADIANT-Studien

Everolimus wird in den Phase-III-Studien RADIANT-2 und -3 zur Therapie von schwer zu behandelnden neuroendokrinen Tumoren untersucht. Dabei verlängerte Everolimus signifikant das progressionsfreie Überleben im Vergleich zu Placebo, jeweils in Kombination mit "Best Supportive Care", auf 11,0 Monate (Placebo: 4,6 Monate) und reduzierte das Risiko der Tumorprogression um 65%. Außerdem waren nach 18 Monaten mit 34% noch deutlich mehr mit Everolimus behandelte Patienten progressionsfrei als unter Placebo.

In RADIANT-2 zeigte Everolimus im Vergleich zu Placebo, jeweils in Kombination mit 30 mg Octreotid, bei fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren mit Karzinoid-Syndrom eine klinisch relevante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 11,3 auf 16,4 Monate. Die Kombination reduzierte damit das Progressionsrisiko um 23% im Vergleich zur Octreotid-Monotherapie.

Als Nebenwirkungen mit Grad 3/4 wurden unter Everolimus am häufigsten Stomatitis (7%), orale Mukositis (7%), Ulcera (7%), Anämie (6%) und Hyperglykämie (5%) beobachtet. Bei Anwendung der Kombination Everolimus/Octreotid kam es am häufigsten zu folgenden Nebenwirkungen vom Grad 3/4: Stomatitis (7%), Fatigue (7%), Diarrhö (6%), Infektionen (5%) und Hyperglykämie (5%).

Behandlung über Sonderprogramm ist möglich

Um Patienten mit neuroendokrinen Tumoren Everolimus bereits vor der Zulassung anbieten zu können, wurde bundesweit ein Expanded Access Programm initiiert. Diese Untersuchung wird als multizentrische, einarmige, open-label Phase-IIIb-Studie durchgeführt und startet in Deutschland voraussichtlich im April 2011. Europaweit sollen etwa 400 Patienten rekrutiert werden. Mit etwa 30 teilnehmenden Zentren wird der Zugang für Patienten im gesamten Bundesgebiet möglich sein.

Der primäre Endpunkt ist die Erhebung zusätzlicher Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Everolimus. Sekundäre Endpunkte sind unter anderem das Ansprechen der Patienten auf die Therapie oder das progressionsfreie Überleben. Die Studienteilnehmer erhalten täglich 10 mg Everolimus in Kombination mit "Best Supportive Care". Damit ist zum Beispiel die gleichzeitige Gabe von Somatostatin-Analoga möglich.

Das Sonderprogramm endet, sobald die europäische Zulassung für Everolimus bei fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren erteilt wurde. Derzeit wird Everolimus auch bei weiteren Tumorentitäten wie Tuberöse Sklerose, Mammakarzinom, Magenkarzinom, hepatozelluläres Karzinom und Non-Hodgkin-Lymphom untersucht.


Quelle

Yao, J. C., et al.: Everolimus for Advanced Pancreatic Neuroendocrine Tumors. N Engl J Med (2011) 364: 514 – 523.

Pressemitteilung der Novartis Pharma GmbH, Nürnberg, 6. April 2011.


hel



DAZ 2011, Nr. 16, S. 34

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