Tagung

Die Zukunft des Arzneimittelmarktes

Für die pharmazeutische Industrie ist die frühe Nutzenbewertung die herausragende Neuerung durch das AMNOG. Die Folgen für die künftige Arzneimittelversorgung waren ein weiteres Thema des Zwischenahner Dialogs. Außerdem ging es um die langfristigen Perspektiven der Sozialsysteme.
Joseph Schnieders, Organisator des gesundheitspolitischen Arbeitskreises Nordwest der forschenden Arzneimittelhersteller für den Zwischenahner Dialog

Joseph Schnieders, Organisator des gesundheitspolitischen Arbeitskreises Nordwest der forschenden Arzneimittelhersteller für den Zwischenahner Dialog, betonte die Bereitschaft der Hersteller konstruktiv an der neuen frühen Nutzenbewertung mitzuwirken. Die internationalen Erfahrungen mit der Frühbewertung und der schnelle Therapiezugang seien positive Aspekte. Probleme sieht er in den fehlenden Studien zum Anwendungsalltag und der notwendigerweise oberflächlichen Betrachtung zum Zeitpunkt der Zulassung. Zur Bezugnahme auf die Preise in anderen Ländern gab Schnieders zu bedenken, dass die Hersteller wegen der Importe schon längst auf die Preise im Ausland achten. Als interessante Zukunftsperspektive nannte er die mögliche Beteiligung von Arzneimittelherstellern an Outcome-orientierten Versorgungsprojekten.

Ehrlichkeit gefordert

Dr. Jürgen Bausch, ehemaliger Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, betrachtete das Spannungsverhältnis zwischen Fortschritt und Sparzwang unter dem Aspekt der ehrlichen Kommunikation und kritisierte, dass die nötige Ehrlichkeit oft fehle. So hätten Politiker bei der Einführung der ersten Zusatzbeiträge erklären sollen, dass dies im Gesetz so gewollt gewesen sei. Die Politik sollte deutlich machen, dass Fortschritt bei der gegebenen Finanzierung nur bezahlt werden kann, wenn er nicht mit Mehrkosten verbunden ist. Die zu erwartenden Lohnabschlüsse würden mehr Geld in das Gesundheitssystem bringen, dies werde aber für höhere Gehälter im Gesundheitswesen verbraucht und stehe nicht für Innovationen zur Verfügung. Bei der frühen Nutzenbewertung stünden die Krankenkassenvertreter unter dem Druck, ab 2014 bei Arzneimitteln jährlich 1,6 Milliarden Euro einzusparen, weil dann der erhöhte Zwangsrabatt auf Nicht-Festbetragsarzneimittel entfällt. "Der Paradigmenwechsel ist da", erklärte Bausch zur Forderung nach klinisch belegtem Zusatznutzen für Arzneimittel. Bezugnehmend auf Aussagen des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Dr. Rainer Hess, prognostizierte Bausch, spätestens ab 2012 würden auch Nutzendossiers von bereits eingeführten Arzneimitteln eingefordert. Dies dränge sich ohnehin auf, wenn Innovationen mit Arzneimitteln konkurrieren, die erst kürzlich zugelassen wurden.

"Die Politik überträgt die Sparzwänge, die sie selbst geschaffen hat, auf den G-BA," kritisierte Bausch. Doch gleichzeitig fordere sie, dass der Fortschritt ungeschmälert geleistet wird – dies sei ein besonderes Beispiel für unehrliche Kommunikation. Vor diesem Hintergrund erwartet Bausch Entscheidungen nach Kassenlage und europäischem Preisniveau, aber nicht nach dem Nutzen. Doch werde die frühe Nutzenbewertung nur eine Episode werden. Er erwarte demnächst Preisverhandlungen noch vor der Zulassung.

"Arzneimittelpreise dürfen nicht steigen – Fortschritt hin oder her."

Dr. Jürgen Bausch über die Position der Politik


Von links: Peter Buschmann, Moderator des zweiten Veranstaltungstages, und Dr. Jürgen Bausch, ehemaliger Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.

Zukunft des Systems

Voraussagen über die langfristige Zukunft stellte Dr. Anne Prenzler, Hannover, aus volkswirtschaftlicher Sicht dar. Der demografische Wandel werde 2070 nur noch in den Geschichtsbüchern stehen. Doch davor belaste die Babyboomer-Generation der 1960er-Jahre die Sozialsysteme. Bis zum Ausgabenmaximum in der Pflegeversicherung sei noch genug Zeit, um eine kapitalgedeckte Sicherung aufzubauen. Dies sei wegen der Generationengerechtigkeit sinnvoll. Für die Krankenversicherung werde dies immer schwieriger. Ein Prämiensystem ("Kopfpauschale") ermögliche eine gerechtere Umverteilung als eine sogenannte Bürgerversicherung, weil sie über die Steuer alle Einkommensarten umfasst. Der soziale Ausgleich könne automatisch organisiert werden. Entgegen verbreiteten Vorurteilen würden auch bei einem Prämiensystem die Arbeitgeber beteiligt. Außerdem werde im Gegensatz zur Bürgerversicherung der Kassenwettbewerb gefördert.

Allerdings müsse es unabhängig von der Einnahmenseite auch Maßnahmen auf der Ausgabenseite geben. Leistungskürzungen, Budgets und Selbstbeteiligungen würden schnell wirken, das System aber nicht langfristig verbessern. Eine stärkere Prozessorientierung und Kosten-Nutzen-Bewertungen würden nur langsam, aber dafür nachhaltig wirken. Insgesamt erwartet Prenzler keinen plötzlichen Zusammenbruch des Systems. Es könnten immer irgendwelche Ausgaben gekürzt oder Leistungen rationiert werden. Das größere Problem drohe von einem gesellschaftlichen Kollaps. Das intergenerative Ungleichgewicht gefährde die Akzeptanz des Sozialsystems, doch der gesellschaftliche Zusammenhalt sei entscheidend. Ein möglicher Lösungsansatz seien klare Kriterien für die Priorisierung und Rationierung. Für Prenzler ist klar: "Abwarten wäre die schlechteste Alternative."

Inhaltsverzeichnis "Bad Zwischenahner Dialog":



DAZ 2011, Nr. 16, S. 63

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