Apothekenbetriebsordnung

Abschied von einheitlichen Apothekenstandards?

BMG-Positionspapier zur neuen Apothekenbetriebsordnung

Von Andreas Ziegler, Großhabersdorf

Seit Mitte letzten Jahres ein nicht autorisierter Entwurf der neuen Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) durch eine undichte Stelle im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nach außen gedrungen war, wurden die Inhalte des Non-Papers in der Apothekerschaft, auch gegen den dezidierten Willen einiger Standesorgane, lebhaft erörtert. Seither diskutierte das Ministerium zwar mit Verbandssprechern hinter verschlossenen Türen, der pharmazeutischen Basis blieb eine aktive Beteiligung am Diskussionsprozess hingegen weitgehend verwehrt. Doch nicht nur das: Infolge einer restriktiven Informationspolitik blieb selbst für interessierte Kreise lange unklar, wohin die Reise gehen könnte. Seit letzter Woche liegt nun ein offizielles Positionspapier des BMG vor. Das Papier enthält zwar noch keine konkreten Formulierungsvorschläge für die Novellierung des Verordnungstextes, dennoch lässt sich erkennen welche apothekenpolitische Grundrichtung das BMG favorisiert. Das Positionspapier wird nach Diskussion mit den Regierungsfraktionen in ein Eckpunktepapier münden. Wohl schon im Laufe des Mai wird dann ein erster Referentenentwurf vorgelegt.
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Dokumentation der Rezeptur Das BMG spricht sich dafür aus, künftig jede Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln, unabhängig von deren Umfang – also auch bei Rezepturen – schriftlich zu dokumentieren, wobei Qualitätsprüfungen offenbar auf Defekturen beschränkt bleiben sollen.

Deregulierung und Diversifizierung

Deregulierung und Diversifizierung lauten die Schlagworte der Stunde, die das Ende der einheitlichen Anforderungen an alle Apotheken bedeuten könnten. Während Filialverbünde und spezialisierte Apothekenbetriebe wie beispielsweise Krankenhaus- und Heimversorger von "Liberalisierungen" profitieren könnten, bläst Einzelapotheken – aufgrund einer künftig verbesserten Kostenstruktur ihrer filialisierten Konkurrenz – der Wind möglicherweise bald noch heftiger ins Gesicht.

QMS-Pflicht mit Augenmaß

Als ersten Punkt der laut BMG "wesentlichen Änderungen" nennt das Positionspapier die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für Apotheken, die sterile, parenterale Arzneimittel oder Defekturen herstellen oder maschinell verblistern. Andere Apotheken sind von der QMS-Pflicht offenbar ausgenommen. Bedeutet diese Unterscheidung, dass sich das BMG von dem bislang auch in der Apothekenbetriebsordnung verankerten Grundgedanken verabschiedet, dass jede Apotheke in der Lage sein muss, sterile Arzneimittel herzustellen? Abgesehen von dieser zwischen den Zeilen aufscheinenden Frage hat das BMG beim Thema QMS aber durchaus Augenmaß bewiesen. So will man angesichts der Tatsache, dass Apotheken aufgrund der behördlichen Überwachung ohnehin regelmäßig kontrolliert werden, auf die Verpflichtung einer kostenträchtigen Zertifizierung des QMS durch Dritte verzichten. In puncto Kosten sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich nicht nur aus der Einführung und Zertifizierung eines QMS, sondern auch aus den für den laufenden Betrieb daraus resultierenden Dokumentationspflichten ein personeller und damit finanzieller Aufwand ergibt, der nicht unterschätzt werden darf. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein funktionierendes QMS in anderen Einrichtungen und Betrieben des Gesundheitswesens schon seit Jahren zum Standard gehört und die inhaltsgleiche Übertragung auf das Apothekenwesen nicht mehr als ein sich daraus ergebender konsequenter Schritt hin zu einer weiteren Qualitätssteigerung bei der Arzneimittelversorgung ist – zumal man offenbar gewillt ist, sich bei den QMS-Anforderungen am Tätigkeitsprofil der jeweiligen Apotheke zu orientieren.

"Kritische" und "unkritische" Arzneimittel

Bei der Arzneimittelherstellung in der Apotheke soll künftig zwischen sogenannten kritischen und unkritischen Rezepturarzneimitteln unterschieden werden, um die Anforderungen in Abhängigkeit von der jeweiligen Arzneiform praxisnaher gestalten zu können, als dies bei der bislang geltenden Arzneiform-übergreifenden Vorschrift für alle Rezepturarzneimittel der Fall war. Als "kritisch" gelten aus Sicht der Verfasser des Positionspapiers Arzneimittel, die steril sein müssen (z. B. Injektions- und Infusionslösungen) oder in der Apotheke maschinell (also wie in der Industrie) hergestellt werden, wie beispielsweise Blister. Alle anderen den Alltag der meisten Apotheken bestimmenden Arzneimittel wären demnach als "unkritisch" einzustufen und von etwaigen Verschärfungen bei der offizinellen Arzneimittelherstellung weitgehend ausgenommen. Für die Herstellung von "kritischen Arzneimitteln" sollen künftig auch in der Apotheke de facto Industriestandards gelten. Konkret heißt es in dem Papier, es müssen gleiche Anforderungen an die Herstellung steriler Infusionslösungen in Apotheken mit oder ohne Herstellungserlaubnis oder in anderen Herstellbetrieben gestellt werden. Gleiches gilt dem Prinzip nach auch für maschinelle Verblisterung. In diesem Punkt greift das BMG ein Anliegen der Bundesländer auf, deren Überwachungsbehörden bereits Anforderungen für die Kontrolle solcher Betriebseinheiten formuliert haben.

Dokumentation jeder Rezeptur

Neben diesen Regelungen für "kritische Arzneimittel", die nur Auswirkungen für entsprechend spezialisierte Betriebe haben, gibt es aber auch einige Änderungsvorschläge, die alle Apotheken gleichermaßen betreffen. So spricht sich das BMG unter Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen in den Leitlinien von Bundesapothekerkammer und ADKA dafür aus, künftig jede Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln unabhängig von deren Umfang – also auch bei Rezepturen – schriftlich zu dokumentieren, wobei Qualitätsprüfungen offenbar auf Defekturen beschränkt bleiben sollen. Diese Herstellungsdokumentation könnte bei Apotheken, in denen viele Rezepturen angefertigt werden, auf den ersten Blick zu einem enormen Mehraufwand bei der Dokumentation führen. Allerdings lässt ein Halbsatz des Positionspapiers noch hoffen. Darin heißt es, dass bei der Dokumentation auf standardisierte Vorschriften Bezug genommen werden kann. Wie diese Bezugnahme im Verordnungstext konkret implementiert werden soll, bleibt abzuwarten, und die Frage, wie hoch der Mehraufwand durch die Rezepturdokumentation künftig tatsächlich sein wird, vorerst offen. Die Festlegung, dass die Herstellung von Arzneimitteln grundsätzlich unter "Verantwortung eines Apothekers mit ausreichenden Fachkenntnissen" zu erfolgen hat und dass dieser das Arzneimittel vor der Abgabe freigeben muss, scheint demgegenüber lediglich eine gesetzliche Fixierung der in den meisten deutschen Apotheken ohnehin seit jeher geübten pharmazeutischen Praxis zu sein.

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Beratung Für die überwiegende Mehrheit der Apothekerinnen und Apotheker, die ihren gesetzlichen Auftrag ernst nimmt, dürfte die laut Positionspapier vorgesehene Verpflichtung, den Beratungsbedarf durch Nachfrage festzustellen und dann erforderlichenfalls eine Beratung anzubieten, keine Änderung im Berufsalltag bedeuten.

Politikum Beratungsqualität

Die Arzneimittelberatung in der Apotheke ist seit Jahren ein Dauerthema sogenannter Verbrauchermagazine in Funk und Fernsehen. Häufig gehörte es dabei "zum guten Ton", die Beratungsqualität der Apotheken zu bemängeln und Nachbesserungen zu fordern. Im Rahmen der Diskussion um die Novellierung der Apothekenbetriebsordnung hat die Forderung nach einer Verbesserung des Beratungsangebots in Apotheken nun offenbar den Weg in die Politik gefunden. Dabei wird allerdings ignoriert, dass sich aus den Gesetzmäßigkeiten der Medienwelt ein Bias bei der Bewertung der Beratungsleistung ergibt, denn welches Magazin wäre wohl geneigt, einen Beitrag zu senden, der zu dem Schluss kommt, dass die Beratung deutscher Apotheken alle legitimen Erwartungen erfüllt? Allein die Tatsache, dass Apotheker in unabhängigen Umfragen zur Kundenzufriedenheit regelmäßig auf den vordersten Plätzen landen, zeigt, dass die Beratungsleistung nicht so schlecht sein kann, wie es interessierte Kreise glauben machen möchten. Auch die Bemühungen seitens der Apothekerschaft, sich durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen auf dem jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft zu halten und die Beratungsleistung ihrer Mitarbeiter durch regelmäßige Schulungen zu verbessern, belegen, welch hohe Bedeutung die Apotheker der Kundenberatung in ihrem ureigensten Interesse beimessen. Dies kann und darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor Fälle gibt, in denen die öffentliche Kritik an der Beratungsleistung einzelner Kollegen berechtigt ist. Die bei der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung vorgesehenen Klarstellungen und Präzisierungen bezüglich der Verpflichtung zur Information und Beratung sind daher durchaus zu begrüßen. Bedauerlich ist allenfalls die mediale Darstellung, die dies einmal mehr zum Anlass nimmt zu kolportieren, dass hier erhebliche Defizite bestünden, die den Gesetzgeber nun zum Handeln veranlasst hätten. Für die überwiegende Mehrheit der Apothekerinnen und Apotheker, die ihren gesetzlichen Auftrag ernst nimmt, dürfte die laut Positionspapier vorgesehene Verpflichtung, den Beratungsbedarf durch Nachfrage festzustellen und dann erforderlichenfalls eine Beratung anzubieten, keine Änderung im Berufsalltag bedeuten – schließlich ist die profunde Beratung eines der effektivsten Kundenbindungsinstrumente, das den Apothekern zur Verfügung steht. Wer würde darauf schon leichtfertig verzichten?

Moderate Töne beim Thema Diskretion

Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit der Beratung in Apotheken eine zentrale Rolle spielt, ist das Thema "Diskretion". Hier schlägt das neue BMG-Papier deutlich gemäßigtere Töne an als der nicht autorisierte Verordnungsentwurf, der letzten Sommer die Runde machte. So hieß es im Kommentar zum damaligen Verordnungsentwurf noch: "In Bezug auf die Vertraulichkeit der Beratung hat sich gezeigt, dass die im bisherigen Text [der derzeit gültigen ApBetrO, Anm. d. Red.] formulierten Regelungen offenbar nicht ausreichend deutlich waren. Zwar wurden in vielen Apotheken organisatorische oder auch bauliche Veränderungen (oft im Sinne eines gesonderten Beratungsraumes) getroffen, diese wurden aber zum Teil nicht angenommen oder waren aus anderen Gründen unzureichend organisiert. Daher soll die Vertraulichkeit der Beratung nunmehr grundsätzlich durch bauliche Maßnahmen sichergestellt werden. Organisatorische Maßnahmen sind nur in bestehenden Apotheken und nur im begründeten Einzelfall akzeptabel." Heute, ein halbes Jahr später, gibt sich das BMG in diesem Punkt wesentlich moderater. Unter Verweis auf Banken und Postfilialen, die zeigen würden, dass eine Vertraulichkeit der Beratung "oft mit einfachen organisatorischen Maßnahmen" hergestellt werden kann, gelangt man jetzt zu der Einsicht, dass farbliche Kennzeichnungen auf dem Boden, eine Umstellung der HV-Tische oder das Aufstellen beweglicher Abtrennungen für die Gewährleistung einer vertraulichen Beratung ausreichend sein können. Erst wenn die notwendige Diskretion trotz dieser Maßnahmen nicht sichergestellt werden kann, wären – gewissermaßen als letzte Alternative – bauliche Maßnahmen ins Auge zu fassen. Mit dieser neuen Einschätzung gelingt es dem BMG dem berechtigen Wunsch der Patienten nach einem diskreten Gespräch mit dem Apotheker Rechnung zu tragen und dabei die praktische Umsetzbarkeit nicht aus dem Auge zu verlieren. Die im Positionspapier konkret benannten organisatorischen Maßnahmen erscheinen als geeignete Lösungen, die in fast allen Apotheken mit vertretbarem Aufwand umsetzbar sein dürften: ein wesentlicher Fortschritt im Vergleich zu dem, was noch vor wenigen Monaten zu befürchten war.

Keine neuen Einschränkungen im Nebensortiment

Ein Thema, auf das sich die Publikumspresse in den vergangenen Tagen bevorzugt – wenn nicht sogar ausschließlich – stürzte, ist das Nebensortiment. Dabei haben sich die Presseagenturen offenbar nicht die Mühe gemacht, das Positionspapier im Detail zu lesen oder die darin gemachten Ausführungen gar mit dem rechtlichen Status quo zu vergleichen, denn in der Tat handelt es sich bei den Ausführungen im Positionspapier lediglich um eine Präzisierung und weitgehende Bestätigung der bereits heute gültigen Rechtslage. So heißt es im vorliegenden Papier des BMG lediglich klarstellend, das Nebensortiment dürfe nur einen untergeordneten Anteil des Gesamtbetriebs ausmachen und der Eindruck einer Apotheke müsse gewahrt bleiben. Mehr an Präzision ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht vorgesehen – im Gegenteil: Es wird sogar expressis verbis darauf hingewiesen, dass das Nebensortiment entsprechend § 2 Abs. 4 ApBetrO bereits heute nur in einem Umfang angeboten werden darf, der den Vorrang des Arzneimittelversorgungsauftrags nicht beeinträchtigt. Die Meldungen von FAZ, Handelsblatt & Co. erweisen sich vor diesem Hintergrund als reichlich aufgebauscht und irreführend. Im Übrigen veranlassten sie das BMG zu einer eilig verfassten Pressemitteilung, in der es heißt: "Das Positionspapier des Bundesgesundheitsministeriums für eine überarbeitete Apothekenbetriebsordnung sieht keine weitere Einschränkung beim Verkauf des Nebensortiments in Apotheken vor."

Erfordernis der Raum-einheit wird gelockert

Was die räumlichen Gegebenheiten angeht, so hält das Positionspapier des BMG an einer Mindestgröße von 110 m² fest; lediglich aus zusätzlichen Tätigkeiten, die den gewöhnlichen Apothekenbetrieb übersteigen und spezielle Räume erfordern, wie etwa die Parenteraliaherstellung oder die maschinelle Verblisterung, resultiert ein zusätzlicher Raumbedarf, der im Einzelfall festzulegen ist. Der Rezepturherstellbereich muss nach drei Seiten abgetrennt sein, ein separater Raum wird hierfür nicht gefordert. Die raumhohe Abtrennung nach allen Seiten, wie sie im letzten Sommer noch zur Debatte stand, scheint damit vom Tisch zu sein. Die gravierendsten Änderungen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Betriebsräume ergeben sich aus einer Lockerung der Vorschriften zur sogenannten Raumeinheit. Galten bislang Ausnahmen von der Raumeinheit lediglich für das Nachtdienstzimmer sowie für Betriebsräume, die ausschließlich der Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern, der Herstellung von anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen oder dem Versandhandel dienen, so sollen künftig auch die Anfertigung von patientenindividuellen Parenteralia, die Heimversorgung sowie die maschinelle Verblisterung in separate Betriebsräume ausgelagert werden können. Besonders bemerkenswert ist, dass das derzeit geltende Verbot einer Anmietung von Lagerraum für die Krankenhausversorgung innerhalb des zu versorgenden Krankenhauses künftig entfallen soll. Für die Heimversorgung soll diese Möglichkeit entsprechend gelten. Diese Lockerung birgt die Gefahr in sich, mittelfristig das bisher von der Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich verteidigte Näheprinzip bei der Krankenhaus- und Heimversorgung infrage zu stellen. Die innere Logik des Arguments, dass bei weiten Entfernungen Unwägbarkeiten in der Logistikkette zu Problemen bei der Notfallversorgung führen können, dürfte durch die Gestattung der Anmietung von Lagerraum in den zu versorgenden Einrichtungen merklich geschwächt werden. Bereits in der Vergangenheit haben auf Krankenhausversorgung spezialisierte Betriebe immer wieder mehr oder weniger erfolgreich versucht, das Näheprinzip nachhaltig zu unterminieren. Es erscheint daher nicht unwahrscheinlich, dass ortsnahe Versorger mittelfristig von spezialisierten und bundesweit agierenden Anbietern, die sich der Heim- und Krankenhausversorgung in industriellem Maßstab widmen, aus bestehenden Versorgungsverträgen verdrängt und Konzentrationsprozessen in diesem Versorgungssegment begünstigt würden.

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Filialen als "Apotheke light"? Laut Positionspapier wäre in Filialapotheken künftig weder ein Labor noch ein Herstellbereich für die Rezeptur vorzuhalten. Die dadurch ausgelöste Veränderung der Kostenstruktur der betreffenden Filialbetriebe ist allerdings ambivalent zu beurteilen.

Filialen werden zu "Apotheken light"

Ganz erheblich von Erleichterungen im Hinblick auf die Betriebsräume profitieren könnten Filialverbünde, da dem BMG-Papier zufolge künftig eine Zentralisierung von Herstellung und Prüfung ermöglicht werden soll. Demnach wären in Filialapotheken künftig weder ein Labor noch ein Herstellbereich für die Rezeptur vorzuhalten. Die dadurch ausgelöste Veränderung der Kostenstruktur der betreffenden Filialbetriebe ist ambivalent zu beurteilen. Einerseits könnte durch die Entlastung auf der Kostenseite der Bestand bislang wenig rentabler Betriebe im ländlichen Raum gesichert und so ein Beitrag zur Apothekenpräsenz in der Fläche geleistet werden, andererseits kommt es dort, wo Filialapotheken mit Vollapotheken konkurrieren, aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen. Der seitens der ABDA immer wieder befürchteten Einführung einer "Apotheke light" mit reduzierten Pflichten wäre damit Tür und Tor geöffnet. Die Bewertung in der Apothekerschaft dürfte hinsichtlich dieser geplanten Neuerungen durchaus unterschiedlich ausfallen: Filialbetreiber werden sich über die Erleichterungen freuen. Gleiches gilt für Apotheker, die die hohen Anschubkosten bisher von einer Filialgründung oder -übernahme abgehalten haben. Sie würden unter veränderten Vorzeichen möglicherweise die Chance ergreifen, mit deutlich geringerem finanziellem Aufwand doch noch eine Dependance zu betreiben. Apotheken ohne Filialen, die sich insbesondere in städtischen Ballungsgebieten von dann in ihrer Kostenstruktur bevorteilten Filialapotheken umzingelt sähen, werden die einschlägigen Empfehlungen des Positionspapiers hingegen zu Recht als Bedrohung empfinden.


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Notdienst Künftig sollen alle in einem Filialverbund anfallenden Notdienste im Prinzip in einer Apotheke gebündelt werden können.

Konflikte beim Notdienst vorprogrammiert

Auch in der Frage der Dienstbereitschaft sieht das BMG-Dokument Erleichterungen für Filialbetreiber vor: So sollen künftig alle in einem Filialverbund anfallenden Notdienste im Prinzip in einer Apotheke gebündelt werden können. In der Praxis dürften von dieser Erleichterung jedoch nicht alle "Verbund-Apotheken" profitieren. Die neue Regelung würde nämlich beispielsweise dann nicht greifen können, wenn die einzelnen (Filial-)Apotheken zu unterschiedlichen Notdienstbereichen gehören oder durch die Zusammenlegung der Notdienste auf eine "Verbund-Apotheke" eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung im Sinne von § 23 ApBetrO nicht mehr gewährleistet wäre. Hier schiebt das Positionspapier den jeweiligen Landesapothekerkammern den Schwarzen Peter zu, denn diese legen weiterhin den Zuschnitt der Notdienstbezirke fest und entscheiden damit auch über die zulässigen Entfernungen zwischen den notdienstbereiten Apotheken. Nachdem gerade die Frage der Zusammenlegung von Notdiensten bereits in der Vergangenheit immer wieder zu Diskussionen zwischen Kammern und Filialbetreibern geführt hat, scheinen Konflikte an dieser Stelle vorprogrammiert. Insgesamt besteht hier noch weitreichender Klärungsbedarf.

Botendienst künftig auch offiziell kein Einzelfall

Das Positionspapier sieht allerdings auch einige Deregulierungen vor, die alle Apotheken gleichermaßen betreffen. So sollen die Apothekenleiter künftig in der Auswahl der notwendigen Labor- und Hilfsmittel, die sie zur Ausübung ihres Berufes sowie für die notwendigen Prüfungen benötigen, weitgehend frei sein. Der Botendienst, der bereits heute in vielen Fällen, über den derzeit gestatteten Einzelfall hinaus angeboten wird, soll künftig auch offiziell erlaubt werden. Die Liberalisierung der Botenregelung würde eine Belieferung durch wohnortnahe Apotheken erleichtern und könnte damit eine Alternative zum Versandhandel darstellen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Botendienste lässt das Positionspapier jedoch noch offen. Dazu gehört auch die spannende Frage, ob der Verordnungsgeber – wie es das Non-Paper des letzten Jahres vorsah – beim Botendienst an der Aushändigung des Arzneimittels durch pharmazeutisches Personal festhält, wenn vorher kein Kontakt mit pharmazeutischem Personal in der Apotheke stattgefunden hat. Die niedrigeren Anforderungen beim Versand, wo die Arzneimittel den Patienten erreichen, ohne dass ein Kontakt zu pharmazeutischem Personal obligatorisch ist, bleiben damit ein ins Auge fallender – und politisch gewollter – Systemwiderspruch.

Wildwuchs bei der Rezeptsammlung?

Eine besonders große Überraschung hält der letzte Punkt des BMG-Papiers bereit. War im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP noch von einer Abschaffung der Pick-up-Stellen die Rede, die man später wegen vermeintlicher verfassungsrechtlicher Bedenken als nicht mehr durchsetzbar erachtete, so vollzieht die Politik nunmehr eine vollständige Kehrtwende: Statt wie angekündigt Pick-up-Stellen möglichst unattraktiv zu machen, plant man nun offenbar, die Sammlung von Rezepten nahezu vollständig zu deregulieren. Mit Ausnahme des Verbots, Rezeptsammelstellen bei Angehörigen der Heilberufe zu unterhalten, sollen alle bisherigen Vorgaben (Bedarfsprüfung bei der Genehmigung von Rezeptsammelstellen; Verbot, Rezepte in Gewerbebetrieben zu sammeln) fallen. Die ordnungspolitischen Konsequenzen sind weitreichend und kaum absehbar. Galt die Rezeptsammlung bisher als probates Mittel, um die Arzneimittelversorgung in Gebieten mit unzureichender Apothekenpräsenz sicherzustellen, könnte künftig ein Wildwuchs von Rezeptsammelkästen großer Versender bei Bäckern, Metzgern, Friseuren und Einzelhändlern entstehen und die Existenz der in ländlichen Gebieten ansässigen Vor-Ort-Apotheken gefährden.

Einheitliche Qualitätsstandards oder Spezialisierung?

Das Positionspapier des BMG ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer neuen Apothekenbetriebsordnung. Werden damit die Weichen im Hinblick auf eine zukunftstaugliche Pharmazie vor Ort richtig gestellt? Die zentrale Frage, die im weiteren Verlauf der Debatte beantwortet werden muss, lautet: Soll es in Deutschland weiterhin die Vollapotheke mit einheitlichen Qualitäts- und Ausstattungsstandards, d. h. mit gleichen Rechten und Pflichten, geben? Oder soll man durch stärker diversifizierte Vorgaben die Entwicklung von Spezialapotheken fördern, die sich verstärkt auf bestimmte Aspekte der Arzneimittelversorgung fokussieren? In der Tat hat sich die Apothekenlandschaft seit der letzten grundlegenden Novellierung der Apothekenbetriebsordnung im Jahre 1987 stark ausdifferenziert und diversifiziert. Andererseits sind einheitliche Qualitäts-, Personal- und Ausstattungsstandards in allen öffentlichen Apotheken unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes und einer ordnungsgemäßen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Stadt und Land ein hohes Gut. Hier einen fairen und austarierten Kompromiss zu finden, dürfte in den nächsten Wochen und Monaten wohl die größte Herausforderung für alle Beteiligten sein. Noch stehen den Betroffenen die Wege offen, um der Politik zu vermitteln, welche Auswirkungen die einzelnen Vorschläge nicht nur für das deutsche Apothekenwesen, sondern auch und gerade für die vielen Patienten haben, die dort tagtäglich pharmazeutischen Rat suchen. Die Diskussion ist eröffnet! Hoffentlich nicht nur hinter den verschlossenen Türen des BMG oder der ABDA.



DAZ 2011, Nr. 16, S. 40

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