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Nationale Datenbank zur Versorgungsforschung aufbauen

(dphg). Die Versorgungsforschung verfolgt das Ziel, die Versorgung der Patienten unter Alltagsbedingungen so gut wie möglich zu verbessern. Mit dem Aufbau einer nationalen Datenbank zur Versorgungsforschung (naDat) könnte dieses wichtige Ziel erreicht werden. Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (dphg) plädiert daher für den Aufbau und gibt das folgende Statement dazu ab.

Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen hat in den vergangenen Jahren wiederholt einen Mangel an validen Daten zur Versorgungsrealität und -qualität in Deutschland festgestellt. Die Versorgungsforschung, eine multidisziplinäre Wissenschaft und Teilgebiet der Gesundheitssystemforschung, kann diesen Mangel beseitigen. Ziel ist es, durch die Identifizierung von Über-, Unter- und Fehlversorgung mehr Patientenorientierung, Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem zu erreichen.

Die Versorgungsforschung beschreibt und analysiert problemorientiert und fachübergreifend den Weg des Kranken (und des Gesunden) durch das Gesundheitswesen. Sie bezieht sich auf alle Institutionen und Leistungsbereiche der gesundheitlichen Versorgung, angefangen bei der Prävention und Gesundheitsförderung über die stationäre und ambulante Akutversorgung bis hin zur Rehabilitation und Pflege. Auf verschiedenen Ebenen werden die jeweils relevanten Einflüsse auf die Qualität von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen der präventiven, kurativen, rehabilitativen und pflegerischen Interventionen ermittelt. Auf Basis dieser Analysen entwickelt, erprobt und evaluiert die Versorgungsforschung innovative Behandlungsansätze, um die Effektivität und Effizienz patientenorientierter Versorgung unter Alltagsbedingungen zu verbessern.

Im Sinne eines Soll-Ist-Abgleichs können mit Hilfe der Versorgungsforschung Grunddaten bereitgestellt werden. Diese umfassen Morbiditätsschätzungen oder Daten, wie häufig Versorgungsleistungen in Anspruch genommen werden. Die Grunddaten umfassen aber auch Daten zu Versorgungsmuster und -qualität sowie Daten zum Verbrauch von Ressourcen und den damit verbundenen Kosten. Neben der Bereitstellung von Grunddaten ist es auch Aufgabe der Versorgungsforschung, die Effekte von Interventionen, Behandlungsmethoden und Versorgungsprozessen patientenorientiert zu beschreiben und zu erklären, sie dann in der Praxis zu implementieren und die Effektivität zu evaluieren. Die Versorgungsforschung ist somit die Grundlage für eine vernünftige Gesundheitspolitik, die Antworten finden muss auf die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts.

Nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) kann der Versorgungsforschung in Deutschland künftig eine entscheidende Rolle beim Marktzugang von Arzneimitteln zukommen. Zum einen müssen in Zukunft bei Verhandlungen über den Erstattungsbetrag von Arzneimitteln die Anzahl der Patienten und Patientengruppen im deutschen Versorgungskontext angegeben werden, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht. Zum anderen kann zwischen G-BA und pharmazeutischem Unternehmer eine Vereinbarung über Versorgungsstudien als Basis für eine Kosten-Nutzen-Bewertung getroffen werden. Die Versorgungsforschung nutzt hierbei Daten aus Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien, Anwendungsbeobachtungen und "Post-authorisation Safety Studies", aber auch Daten aus gesundheitsökonomischen Studien, Health Technology Assessments, klinischen Studien, Metaanalysen und systematischen Reviews zur effectiveness. Weitere Quellen sind die Qualitätsforschung sowie Sekundärdaten. Als Sekundärdaten gelten hier die Routinedaten der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie Daten von (bevölkerungsbezogenen) Registern.

Datenbanken mit gesundheitsbezogenen Informationen werden international seit langem für Forschungszwecke verwendet. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen einerseits administrativen Datenbanken und andererseits Datenbanken auf Basis von Patientenakten bzw. arztbasierten Datenbanken. Im Vergleich zu administrativen Datenbanken können in arztbasierten Datenbanken zusätzliche Informationen gespeichert sein wie Laborwerte, Größe, Gewicht oder Raucherstatus. Die Daten werden meist vom Hausarzt gepflegt. Deswegen sind Verordnungen oder Diagnosen von anderen Ärzten möglicherweise nur unvollständig erfasst bzw. können nur mit einem erheblichen Aufwand zusammengeführt werden. In administrativen Datenbanken dagegen liegen die Daten arztübergreifend vor. So erfüllen die Routinedaten der Krankenkassen in vielerlei Hinsicht die Anforderungen, die auch an ausländische Datenbanken gestellt werden und stellen eine schnelle und kostengünstige Variante dar, bestimmte Fragestellungen der Versorgungsforschung zu adressieren.

Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wurde im Jahr 2004 der Gedanke eines gemeinsamen Datenpools der gesetzlichen Krankenversicherungen und kassenärztlichen Vereinigungen für Studien der Versorgungsforschung im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) in den § 303a - f implementiert. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen nationalen Datenpool sind somit gegeben. Die in § 303a SGB V vorgesehene Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz ist ebenso wie der Beirat nach § 303b SGB V gebildet worden. Die Vertrauens- und Datenaufbereitungsstelle wurde hingegen noch nicht eingerichtet. Daher muss das politische Ziel jetzt lauten, den Aufbau, die Validierung, die Pflege und den Betrieb einer nationalen Datenbank für Versorgungsforschung (naDat) durch die Neukonzipierung der gesetzlichen Regelungen in den § 303a - f SGB V weiter voranzutreiben. Durch die Verknüpfung von administrativen Daten der (privaten und) gesetzlichen Krankenversicherungen mit medizinischen Parametern der ärztlichen Selbstverwaltung sowie weiterer Daten aus anderen Quellen, wie Registern (z. B. Schlaganfall, Krebs, etc.) oder anderen Zweigen der Sozialversicherung, wäre es möglich, sektorenübergreifende Quer- und Längsschnittanalysen im deutschen Versorgungskontext durchzuführen. Die Daten würden relativ einfach, schnell und kostengünstig zur Verfügung stehen. Über eine zentrale Finanzierung wären eine projektübergreifende Validierung der Daten und auch die Definition von einheitlichen Standards und Qualitätskriterien möglich.

Die nationale Datenbank für Versorgungsforschung (naDat) könnte verwendet werden im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung, der Gesundheitsplanung, der Pharmakovigilanz oder der Gesundheitsökonomie. Die naDat würde die Grundlage bilden, um den für die Planung und Steuerung von Versorgungsprozessen notwendigen Soll-Ist-Abgleich vorzunehmen und die Steuerungsinformationen zur Verfügung zu stellen, die für die Prioritätensetzung und gezielte Ressourcenallokation erforderlich sind. Aus diesem Grund setzt sich die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft ausdrücklich ein für den Aufbau einer nationalen Datenbank zur Versorgungsforschung.


Dr. Matthias Pfannkuche, FG Industriepharmazie

Prof. Dr. Theo Dingermann, ehemaliger Präsident

Dr. Anke Ritter, Vizepräsidentin

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Präsident



DAZ 2011, Nr. 15, S. 31

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