DAZ aktuell

Im BMG entsteht ein Mini-Kanzleramt

BERLIN (lk). Weil er jetzt Vize-Kanzler wird, entsteht im Bundesgesundheitsministerium eine Mini-Regierungszentrale. Und auf Philipp Rösler kommt noch mehr Arbeit zu, nicht nur der FDP-Vorsitz. Der 38-jährige FDP-Politiker muss up to date sein in allen Themen: Außenpolitik, Innere Sicherheit, Bundeswehr, Steuern, Finanzen. Und in der Gesundheitspolitik muss es natürlich auch weitergehen. Das Versorgungsgesetz ist auf den Weg, aber noch lange nicht durchs Parlament gebracht. Mit der Pflegereform steht ein Gesetzesakt bevor, der alle Bürger angeht und damit viel Ärger verspricht.

Seinen Humor und seine asiatische Gelassenheit kann Philipp Rösler noch gut gebrauchen, wenn er künftig an den Koalitionsrunden mit den Polit-Profis Angela Merkel und Horst Seehofer im Kanzleramt teilnimmt. Dort um FDP-Positionen und Ansehen ringt. Damit der gelernte Arzt auf Augenhöhe mitdiskutieren kann, stehen im Bundesgesundheitsministerium größere Umbauarbeiten an. Ein Mini-Kanzleramt wird nach Röslers Wahl im Mai zum FDP-Chef an der Berliner Friedrichstraße im unscheinbaren Sitz des BMG entstehen.

Das hat Tradition

Über Jahrzehnte haben sich die jeweiligen Vize-Kanzler im Außenministerium mit dem Sachverstand der sogenannten "Spiegelreferate" verschanzt. Entsprechend der Ressortverteilung der Bundesregierung beäugen dort kleine Expertengruppen die Arbeit der anderen Ministerien. So kontrollierte nicht nur "Kellner" Joschka Fischer seinen "Koch" Gerhard Schröder im Kanzleramt. Noch mehr Wert auf den "eigenen Regierungsapparat auf Augenhöhe" legte Frank-Walter Steinmeier als Vize-Kanzler der großen Koalition. Nach einem kurzen Intermezzo im Arbeitsministerium von Kurzzeit-Vize-Kanzler Franz Müntefering wandert das Mini-Kanzleramt jetzt erstmals ins Gesundheitsministerium.

Es wird seine Zeit brauchen, bis der neue Vize-Kanzler seinen Apparat beherrscht – Vorteil Merkel, Vorteil Seehofer. Vor allem kommt damit auf Stefan Kapferer noch mehr Arbeit zu. Röslers beamteter Staatssekretär muss künftig nicht nur die Gesundheitspolitik koordinieren, sondern dem mächtigen und eingespielten Apparat des Kanzleramtes Paroli bieten. Keine leichte Aufgabe – auch für Philipp Rösler nicht. Wie wackelig der Stuhl des FDP-Vorsitzenden sein kann, hat der Shooting-Star der FDP bereits vor 15 Monaten bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2009 erkundet. Damals durfte der aus Hannover angereiste FDP-Landeschef das Büro des Bundesvorsitzenden Westerwelle in der Parteizentrale benutzen. Scherzhaft schilderte er seine Erfahrungen so: "Ich habe die ganze Woche auf Guidos Stuhl gesessen. Und ich kann euch sagen: Er wackelt."

Seine Fröhlichkeit hat sich Philipp Rösler bis heute trotz aller Querelen um die Gesundheitsreform, trotz aller Attacken aus der CSU erhalten. Dass er harte Entscheidungen treffen kann, hat er ebenfalls bewiesen – mit dem AMNOG zum Ärger der Arzneimittelhersteller und nicht zuletzt der Apotheker. Viele Abstriche an seiner Idealvorstellung eines liberalen Gesundheitswesens hat Rösler hinnehmen müssen. Statt Angebot und Nachfrage stehen Preisstopp, Zwangsrabatte und per Gesetz hochgeschraubter Apothekenabschlag für Röslers Politik. Seinen Sympathiewerten im der FDP zugewandten Wählerklientel hat das alles andere als genutzt.

Viel Stoff für politischen Ärger

Wie der künftige FDP-Chef, Vize-Kanzler und amtierende Gesundheitsminister in dieser Konstellation den Freien Demokraten neue Zuversicht, Selbstvertrauen und Wählervertrauen einhauchen soll, bliebt vorerst ein Rätsel. Insbesondere die anstehende Pflegereform bietet viel Stoff für politischen Ärger. Das Thema ist hoch emotional, betrifft irgendwie jeden Bürger und vor allem: Zum Schluss wird abgerechnet. Der Pflegebeitrag wird auf jeden Fall teurer – so oder so. Die CDU hat bereits eine Erhöhung um bis zu 0,5 Prozentpunkte, das wären gut 25 Prozent, in Aussicht gestellt. Die FDP kämpft noch für eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung – wahrscheinlich wieder einmal auf verlorenem Posten. Gleichgültig wie der Konflikt ausgeht – das sind keine Heldengeschichten, mit denen ein FDP-Chef bei seinen Anhängern punkten kann. Auch nicht mit der Abkehr von den großspurigen Steuersenkungsversprechen der FDP. Von der im Wahlkampf und später immer wieder lautstark verkündeten Mehr-Netto-vom-Brutto-Philosophie ist bei Rösler nur ein kleinlautes Vielleicht übrig geblieben: Er könne sich vorstellen, die mit der Mai-Schätzung erwarteten Mehreinnahmen des Staates an die Bürger zurückzugeben, ließ Rösler bereits wissen.

Rösler als "kleine Lösung"

Abkehr von der liberalen Steuerpolitik, Kehrtwende bei Atom: Die FDP demontiert sich selbst, bis der Arzt kommt, heißt es scherzhaft in Berlin. Die Meinungen unter den politischen Beobachter sind geteilt, ob der stets freundliche Rösler das Zeug mitbringt, die FDP aus ihrer tiefen Krise zu führen. Der angekündigte Personalwechsel von Westerwelle zu Rösler jedenfalls wird nur als "kleine Lösung" gewertet – allenfalls als Einstieg in eine neue "sympathischere FDP". Soll daraus eine Ära Rösler werden, müssen wohl weitere Personalentscheidungen folgen. Vor allem muss der neue FDP-Chef entscheiden, ob das Amt des Bundesgesundheitsministers mit dem FDP-Chefsessel kompatibel ist. Noch nie war ein Amtsinhaber auf der politischen Sympathiehitliste so weit vorne anzutreffen, dass er als politisches Zugpferd für eine Partei in Frage gekommen wäre.

Für diese Herkulesaufgabe hat sich Rösler ein Limit gesetzt. Mit 45 Jahren will er aus der Politik ausscheiden. Daran hält er fest. Damit steht schon vor seiner Wahl fest: So lange wie Guido Westerwelle will er den Freien Demokraten nicht vorsitzen.



DAZ 2011, Nr. 15, S. 27

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.