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DAZ-Test: Keine Warteschlangen, kein Ärger

BERLIN (lk). Am Montagmorgen warnte DAV-Chef Fritz Becker via "Bild"-Zeitung noch vor "massiven Wartezeiten" in Deutschlands Apotheken zum Start ins AMNOG-Zeitalter. Viel Zeit sollten die Patienten im neuen Jahr angesichts der vielfältigen Änderungen im Arzneimittelsektor mitbringen. Doch der DAZ-Stimmungstest in Berliner Apotheken fiel anders aus: Keine Warteschlangen, keine verunsicherten Patienten oder gestresste Apotheker – normales Geschäft am Tag Eins des AMNOG.
Problemlos verlief der erste Arbeitstag des neuen Jahres in Berliner Apotheken - zumindest in den Apotheken, in denen die DAZ nachgefragt hat. Foto: Imago

"Ich hatte bis jetzt circa 80 Kunden und keine Probleme", beschrieb Apotheker Christian Mahr von der Leibnitz-Apotheke in Berlin-Charlottenburg die Lage gegen 12 Uhr mittags. Daran wird sich nach Mahrs Erfahrung auch nicht viel ändern. "Wir Apotheker sind Kummer mit der Umstellung von Vorschriften gewohnt. Ich versuche, das so weit wie möglich von meinen Kunden fernzuhalten."

Mit "Durchmogeln" umschreibt Mahr seine serviceorientierte Geschäftspolitik. Komme ein Stammkunde doch einmal mit einem mit falschem Medikamentennamen ausgestellten Rezept, genüge in der Regel ein kurzer Anruf beim Arzt. Sein Botendienst hole dann das korrigierte Rezept mit dem Wunschpräparat und der Kunde erhalte mit wenigen Minuten Verzögerung seine Arznei. Mahr: "So regeln wir das in der Praxis." Bei Kunden aus entfernteren Regionen Berlins seien ihm allerdings die Hände gebunden. "Da kann ich nur auf die Gesetzeslage verweisen."

Reibungslos läuft der erste Arbeitstag im neuen Jahr auch bei Apothekerin Ulrike Mylius in der Gotzkowsky-Apotheke in Berlins Arbeiterbezirk Alt-Moabit. Noch kein Kunde habe sich auf die neue Mehrkostenregelung bezogen. Die meisten Patienten seien zudem über mögliche Änderungen aufgrund neuer Rabattverträge über die lokale Presse informiert. "Es gibt bis jetzt weder Aufregung noch Ärger." Mehr Probleme habe die Umstellung der Zuzahlungen im vergangenen September bereitet. "Da gab es viel Ärger bei den Kunden, wenn sie plötzlich deutlich mehr draufzahlen sollten." Verglichen damit seien die jetzigen Änderungen im Apotheker-Patienten-Verhältnis nicht so gravierend.

Eine Apothekerin gleich um die Ecke, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, weiß eine kleine Begebenheit zu berichten. Für einen Patienten habe sich am Morgen die Zuzahlung erhöht, "von 5 Euro auf 5,02 Euro. Die 2 Cent habe ich ihm geschenkt, auch wenn ich das nicht darf." Sonst hat das AMNOG am ersten Tag auch hier noch keine Spuren hinterlassen.

Auch in der Nordring-Apotheke in einem Ärztehaus an der Berliner Schönhauser Allee läuft das Geschäft trotz regem Kundenandrang komplikationslos. Wie jeden Tag stehen an jedem Verkaufposten zwei bis drei Kunden an. Die Gespräche laufen ruhig. Bei dieser Witterung geht es meistens um Erkältungsmittel und Antibiotika. "Die Patienten spüren noch nichts. Die Unsicherheit liegt eher auf unserer Seite", sagte Pharmazeutin Susanne Gast-Schubert. Einige neue und zum Teil unklare Positionen in den Apothekenlisten sorgten für Problem. So sei das Medikament eines Stammkunden plötzlich als "nicht mehr therapiegeeignet" ausgewiesen worden. Sie habe es trotzdem ausgehändigt und auf dem Rezept mit einer Sonder-PZN markiert: "Mal schauen, was jetzt bei der Abrechnung passiert."

Mit einer abwehrenden Handbewegung reagiert auch Dagmar Knörrchen von der Charlottenburger Uhland-Apotheke auf die DAZ-Nachfrage. Bei ihr im "Kiez" kennt man sich und die Kundschaft. Da habe man bereits vor der Umstellung auf mögliche Konsequenzen aufmerksam gemacht. Nicht immer besonders kooperationsbereit verhielten sich aber einige Ärzte, die die Bitte um die Verschreibung einer konkreten Verordnungsmenge mit der Bemerkung ignorierten: "Das haben wir noch nie so gemacht." "Das würde uns aber helfen, die richtige Packungsgröße auszuhändigen", sieht Knörrchen hier aktuell die größten Probleme in ihrer Apotheke. Im Zweifelsfall gebe sie sonst immer die kleinste Packungsgröße.

Von einem ruhigen Auftakt berichtet auch Hanne Eickel-Hirschfeld, Apothekerin in der Steglitzer Schildhorn Apotheke: "Es gab nicht wirklich viel Neues. Uns Apotheker hat eher die Aut-idem-Auswahl geschlaucht, da hier nicht mehr eine eindeutige Stückzahl, sondern ein Bereich z. B. von 108 bis 132 St. Glibenclamid = N2 in die engere Auswahl kommen kann."

DAV-Chef Becker: Sicherheit statt Abzocke


Neuen Ärger und mitunter längere Wartezeiten in den Apotheken erwartet der Deutsche Apothekerverband als Folge der neuesten Gesetzesänderungen zum Jahreswechsel. Weil die Krankenkassen ihre Versicherten nicht frühzeitig und ausführlich informiert hätten, häuften sich nun die Nachfragen in den Apotheken. Viele Patienten reagierten mit Unverständnis, schreibt der DAV in einer Pressemitteilung.
„Schon wieder lassen die Kassen ihre Versicherten im Stich. Patienten kommen schlecht oder falsch informiert in die Apotheken und müssen von uns über die Fakten aufgeklärt werden“, erklärte Fritz Becker, Vorsitzender des DAV. „Weil die Kassen ihre Verträge geheim halten, wird aus der von uns seit langem kritisierten mangelnden Transparenz nun langfristig Chaos. Ausbaden müssen diesen bürokratischen Irrsinn wieder einmal die Patienten und die Apotheken.“
Die Fakten: Patienten können sich gegen ein Rabattarzneimittel und für ein anderes Präparat entscheiden. Dann müssen sie den vollen Preis direkt in der Apotheke zahlen. Die Quittung schicken sie an ihre Krankenkasse, diese entscheidet dann, wann wie viel zurückerstattet wird. Becker: „Für die Patienten ist das ein schwarzes Loch, denn sie wissen nicht, welche Belastung auf sie zukommt. Und es ist unglaublich, dass sich die Kassen dieses Chaos von ihren Versicherten noch bezahlen lassen wollen, während Apotheker die Arbeit der Kassen übernehmen und seit dem 1. Januar 2011 zusätzliche Rabatte an die Kassen abdrücken müssen.“
Dass zusätzlich viele Arzneimittelhersteller falsche Angaben zu Arzneimitteländerungen in die Apotheken- EDV eingespielt hätten, mache die Situation in den Apotheken noch unübersichtlicher. Becker forderte deshalb: „Schluss mit Intransparenz und Verantwortungslosigkeit. Wir brauchen wieder Versorgungssicherheit – anstelle von Abzocke.“

Die Leute seien doch langsam schon daran gewöhnt, dass es nicht die verordnete Firma gibt, sondern einen Rabattpartner. Immerhin gab es am Montag in der Schildhorn Apotheke zwei Patienten, die bereit waren, das verordnete Arzneimittel zu bezahlen und nicht den Rabattpartner gewählt haben. Trotzdem ermuntere man die Patienten immer, genau wie der Verbraucherschutz auch, doch zuerst mal die Verträglichkeit eines Rabattpartners auszuprobieren und erst bei Unverträglichkeit den Hersteller zu wechseln. Bei der Freiwahl hätten die meisten Patienten doch auch überhaupt kein Problem, ein kostengünstiges Generikum zu kaufen.

Dass damit schon aller Ärger ausgestanden ist, glaubt die erfahrene Apothekerin aber nicht: Vielleicht kämen die Patienten erst in ein paar Tagen wieder, wenn sie im Beipackzettel ihre Erkrankung nicht wiederfänden "oder ihre Dosierungshinweise, weil sie an einer anderen Erkrankung leiden." Dass beim Austausch nur noch ein Indikationsgebiet übereinstimmen müsse und nicht zwangsläufig das den Patienten betreffende, könne sich noch als schwerwiegendes Problem erweisen. Eikel-Hirschfeld: "Das ist meines Erachtens der Hauptknackpunkt."



DAZ 2011, Nr. 1, S. 20

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