Wirtschaft

Quo vadis, pharmazeutischer Großhandel?

Pharmagroßhandel und Apotheken durch das AMNOG wirtschaftlich hart getroffen, gemeinschaftliches Agieren wichtiger denn je

STUTTGART (kp/az). Die Konsequenzen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) sind weitreichend und haben das Verhältnis zwischen Apotheken und dem Pharmagroßhandel nachhaltig beeinflusst. Der pharmazeutische Großhandel sowie die Apotheken leiden finanziell spürbar unter der Last der Sparmaßnahmen. Ferner belasten die wirtschaftlichen Einbußen auf beiden Seiten das Verhältnis zwischen den Wirtschaftsakteuren. Dabei ist im Grunde klar: Die eigentliche Stoßrichtung für Forderungen bezüglich einer finanziellen Ent lastung muss die Politik sein. Dies wurde im Rahmen einer durch die Prof. Kaapke Projekte initiierten Diskussionsrunde mit Vertretern von Großhandel, Apotheken sowie weiteren Branchenkennern deutlich.

Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender der Anzag AG und Vorsitzender des Branchenverbands Phagro, Wilfried Hollmann, Vorstandsvorsitzender der Noweda eG, Dr. Günther Hanke, Präsident der LAK Baden-Württemberg, Frank Knecht und Andreas Lejeune, beide Apotheker und in jeweils unterschiedlichen Apothekenkooperationen, sowie Peter Ditzel von der DAZ und Dr. Markus Preißner vom Institut für Handelsforschung (IFH) diskutierten unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Kaapke und Nina Kleber das Thema.

Knapp ein Jahr nach Inkrafttreten des AMNOG zog man eine erste Bilanz und wagte außerdem einen Blick in die Zukunft. Schließlich steht zum 1. Januar 2012 eine weitere Änderung der Großhandelsvergütung vor der Tür und damit droht weiteres Ungemach für das Verhältnis von Großhandel und Apotheken.

Mär und Rabattkürzungen

Trümper: "Es ist eine Mär, dass der pharmazeutische Großhandel den Zwangsabschlag an die Apotheken weitergereicht hat. Er hat ihn selbst getragen und ist dadurch hart getroffen worden." Die Sparmaßnahmen des AMNOG zielen sowohl auf den pharmazeutischen Großhandel wie auch die Apotheken. Branchenweit hält sich dabei die Überzeugung, dass der Großhandel den Zwangsabschlag in Höhe von 0,85 Prozent des Herstellerabgabepreises pro Packung komplett an die Apotheken weitergegeben habe. Dr. Günther Hanke moniert demgegenüber: "Vereinbarte Rabatte sind in den letzten Monaten vielfach gekürzt worden. Als letztes Glied in der Kette und damit ohne die Möglichkeit, ihrerseits finanzielle Einbußen auf eine nachgelagerte Wirtschaftsstufe weiterzugeben, hatten und haben die Apotheken schwere ökonomische Einbußen zu verkraften", so Hanke.

Einer derartigen Weitergabe des Zwangsabschlags widerspricht Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper nachdrücklich. "Der pharmazeutische Großhandel ist durch den Zwangsabschlag hart getroffen worden, weil man ihn im Rahmen des Wettbewerbs eben nicht an die Apotheken weitergereicht hat. Dabei war dies ursprünglich die volle Absicht der Politik."

Wilfried Hollmann, Vorstandsvorsitzender der Noweda eG, bestätigt dies und fügt hinzu, dass der pharmazeutische Großhandel im vergangenen Jahr nicht nur durch das Inkrafttreten des AMNOG ökonomisch hart getroffen wurde. Darüber hinaus habe der Großhandel Einbußen auf der Beschaffungsseite in fast gleicher Größenordnung hinnehmen müssen. Als Schlagworte nannte Hollmann Ertragseinbußen infolge des Preismoratoriums, massive Skontosenkungen vonseiten der Pharmahersteller sowie die Kürzungen von Vergütungen genereller Art (z. B. Werbekostenzuschüsse) durch die Generikahersteller. Habe es Rabattkürzungen gegeben, so seien für diese folglich nicht ausschließlich politische Hintergründe ursächlich, sondern auch die massiven Mindereinnahmen des Großhandels. Für die Apotheken aber sei es unerheblich, ob ein Abschlag "weitergereicht" oder aus anderen Gründen Rabatte gekürzt würden, konstatiert Hanke: "Den Letzten beißen die Hunde."

Stoßrichtung: Politik

Die wirtschaftliche Situation erscheint letztlich für beide Wirtschaftsstufen prekär. Dass die Apotheken und ihre politische Vertretung aus einem gewachsenen Anspruchsdenken heraus in dieser Situation unverhältnismäßig hohe Rabattforderungen an den pharmazeutischen Großhandel richten, kritisiert Trümper: "Vom Großhandel Rabatte zu verlangen, die dieser offensichtlich betriebswirtschaftlich zu leisten außerstande ist, ist doch die völlig falsche Stoßrichtung." Vielmehr solle die Politik in die Pflicht genommen werden. "Wenn die Apotheken mit der Vergütungspauschale in Höhe von 8,10 Euro nicht zurechtkommen, müssen sie von der Politik verlangen, hier etwas zu ändern." Im Grunde ist man sich einig, dass der Großhandel und die Apotheken ein gleich gerichtetes Interesse an der Aufrechterhaltung des bestehenden Gesundheitssystems haben und dieses Interesse nur gemeinsam (politisch) zu vertreten ist. "Es bringt nichts, den jeweils anderen zum Buhmann zu machen. Der Erfolgsfaktor des deutschen Arzneimittelversorgungssystems ist gerade, dass die Distributionsstufen Großhandel und Apotheke so gut harmonieren und ineinander greifen", so Dr. Markus Preißner vom Institut für Handelsforschung (IFH). Schwächen sieht Preißner eher in einer fehlenden Weitsicht der Politik: "Reglementierungen werden erlassen, ohne jedoch den Markt als Ganzes zu sehen. Dinge wie der Direktvertrieb oder der Online-Versand werden zugelassen, die daraus resultierenden Verwerfungen des Marktes bleiben aber außer Acht." Trümper bestätigt dies und fordert gleichfalls, dass die hohe Komplexität des Marktes der Arzneimitteldistribution im Rahmen von politischen Entscheidungen eine größere Berücksichtigung finden muss.

Rabatte des Großhandels: intransparent oder kompliziert?

Ein weiterer Aspekt, der in zunehmendem Maße Unzufriedenheit aufseiten der Apotheken erzeugt, ist die Intransparenz der Rechnungsstellung des Großhandels. Laut Peter Ditzel, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung, können viele Apotheker ihre Großhandelsrechnungen nicht nachvollziehen und bemängeln, dass getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Diesen Vorwurf weist Hollmann zurück. Er räumt ein, dass Großhandelsrechnungen häufig schwierig zu lesen sind. Dies sei allerdings eine Folge der Notwendigkeit, Rabattsätze zu differenzieren, und zwar abhängig von Spezifika sowohl die Apotheken als auch die Art der bestellten Medikamente betreffend.

Preißner stimmt dem zu und betont die Bedeutung des Begriffes "Funktionsrabatt": Leistungen und Gegenleistungen müssen einander entsprechen. In welcher Höhe einer Apotheke Rabatt gewährt werden kann, ist abhängig von den Leistungen, die sie erbringt bzw. in Anspruch nimmt. Vor diesem Hintergrund sind unterschiedliche Rabattstaffelungen unumgänglich. "Im Grunde gilt heute: Wenn es transparent sein soll, muss es auch komplex sein", so Preißner.

Diese begründete Komplexität der Rabattstaffelungen und Rechnungen des Großhandels steht einer bewusst geschaffenen Intransparenz gegenüber, die der Apothekeninhaber Frank Knecht anspricht. Dieser weist auf die Problematik von Übertragungs- oder Rechenfehlern in Rechnungen hin. In diesem Fall handle es sich um Betrug, ist das klare Statement der anwesenden Großhandelsvertreter. Natürlich sei diese Form der Intransparenz nicht zu dulden. Ab 1. Januar 2012 werden weitere Reglementierungen im Rahmen des AMNOG die Komplexität der Großhandelsvergütung und damit ggf. der Rabattstaffelung noch erhöhen. So weist Hollmann darauf hin, dass sich sowohl die Rabattsätze als auch deren Bemessungsgrundlage ändern werden: nicht mehr der Apothekeneinkaufspreis wird die Grundlage sein, sondern der Herstellerabgabepreis zzgl. des Aufschlags. Damit wird zukünftig nicht mehr der Umsatz entscheidend sein, sondern insbesondere die Packungszahl, womit letztlich zwei Parameter im Rahmen der Rabattierung zu berücksichtigen sein werden.

Zukunftserwartungen wenig optimistisch

Insgesamt sind die Zukunftserwartungen unter Berücksichtigung der noch folgenden AMNOG-Reglementierungen sowohl aufseiten des Großhandels als auch auf Apothekenseite wenig optimistisch. Für den Großhandel beschreibt Trümper die Situation wie folgt: "Wir befinden uns in einem Tal, in dem der Großhandel im Großen und Ganzen auf der Nulllinie fährt. Das heißt, wir müssen uns über die gesamte Branche hinweg deutlich verbessern, um unsere Tätigkeit in Zukunft erhalten zu können. Gleichzeitig haben wir eine Begrenzung des Maximalrabatts durch den Gesetzgeber ab Januar 2012."

Spielraum für Konsolidierungen sieht Trümper auf der Großhandelsstufe allerdings nicht. Dagegen sind sich die Diskutanten einig, dass es auf der nachgelagerten Wirtschaftsstufe ein schleichendes Apothekensterben geben wird. Demgemäß beschreibt Branchenkenner Ditzel die Stimmung auf dem Apothekenmarkt als "desolat und häufig von Angst geprägt". Hanke spricht gar von "Ohnmacht und Frustration", mit der er der Zukunft und unmittelbar den anstehenden Rabattverhandlungen mit dem Großhandel entgegenblickt.

Zielführend erscheine es vor diesem Hintergrund, den Apothekern Reaktionsstrategien aufzuzeigen, schlägt Ditzel vor. Hierzu könnte auch der Pharmagroßhandel einen Beitrag leisten, indem er den Apothekern beispielsweise Hinweise gibt, wie sie ihr Bestellverhalten rationeller gestalten können. Auch der Apothekeninhaber und Vorstandsvorsitzende der Apothekenkooperation apogen Andreas Lejeune sieht die Apotheken selbst in der Pflicht: "Noch haben die meisten Apotheken die Möglichkeit zu reagieren. Es gilt, alle Bereiche, alle apothekeninternen Prozesse und Verhaltensweisen kritisch zu hinterfragen und dann demgemäß zu handeln. Lamentieren hilft nichts." In einer Professionalisierung des Bestellwesens und einem größeren Bewusstsein für die Konsequenzen des eigenen (Bezugs-) Verhaltens sieht auch Preißner einen wichtigen Ansatzpunkt für die Apotheken, um sich mit der wirtschaftlichen Situation zu arrangieren.

Preißner nimmt allerdings nicht die Apotheken allein, sondern noch einmal die Politik in die Pflicht: Politische Regularien müssen stärker die Entwicklungen des Marktes wie die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Formen der Apotheke (Versandapotheken, "Apotheke Light") sowie veränderte Rahmenbedingungen (z. B. die Zunahme des Direktvertriebs und Online-Versands) berücksichtigen. "Häufig wurde bisher zu kurz gedacht und es besteht die Gefahr, dass politische Entscheidungen auch zukünftig nicht zu Ende gedacht werden." Was das zukünftige Miteinander betrifft, so stellen die Apotheker Knecht und Lejeune Fairness und einen offenen Umgang miteinander in den Vordergrund. "Apotheken und Großhandel sollten offen miteinander verhandeln und gemeinsam Lösungsstrategien suchen", so Knecht. Die Vertreter des Großhandels bestätigen den Wunsch nach Fairness auch von ihrer Seite.

Faires Miteinander von beiden Seiten gefordert

Eine Misstrauensquelle für die Apotheker dem Großhandel gegenüber sind nach ihrer Einschätzung die Berater der Apotheken, die häufig unzureichend fundierte oder gar fehlerhafte Informationen verbreiten, "um ihr Honorar zu rechtfertigen", so Hollmann. Trümper fügt hinzu: "Das Geld, das Apotheken heute in sogenannte Berater stecken, sollten sie zukünftig besser in ihr Verhältnis zum Großhandel investieren. Denn die besten und fairsten Berater der Apotheken sind im Grunde die Außendienstmitarbeiter des Großhandels. Mit ihnen gilt es offen zu besprechen, was die Apotheke leisten, wie sie sich verbessern und was sie dafür bekommen kann."

Hollmann greift in diesem Zusammenhang nochmals das Bestellverhalten der Apotheken auf. Dieses bewusster zu gestalten und das Verhältnis zum Großhandel somit kostenmäßig nicht unnötig zu belasten, sei ebenfalls ein Zeichen von Fairness. Bei der Professionalisierung des Bestellwesens wie auch in anderen Bereichen unterstütze der Großhandel die Apotheken gerne, betont Hollmann. "Es ist das primäre Interesse des Großhandels, dass es dem Apotheker gut geht. Und das muss sich jeder Apotheker vergegenwärtigen."

Zum Abschluss waren sich die Beteiligten einig, dass es nur miteinander geht. Dies hatte ja auch eine aktuelle Umfrage aus dem Herbst 2011 von Prof. Kaapke Projekte ergeben, die die Wirtschaftspartner aus Sicht der Apotheke bewerten ließ. Demnach ist der Großhandel mit Abstand der wichtigste Partner der Apotheken, aber die Zufriedenheit mit ihm nahm in den letzten fünf Jahren ab und wird nach Einschätzung der befragten Apotheker weiter abnehmen.



AZ 2011, Nr. 50, S. 6

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