Gesundheitspolitik

Retax-Terror

Peter Ditzel

Nein, so geht es nicht mehr weiter. Krankenkassen lassen über Dienstleistungsunternehmen Rezepte retaxieren wegen vermeintlicher Formfehler und Bagatellen: Wenn Ärzte Aut-idem-Kreuze handschriftlich setzen, wenn sie Gebrauchshinweise nicht exakt nach Vorschrift formulieren, wenn die Telefonnummer im Stempel fehlt – Nebensächlichkeiten, die keine Gefahr für die Arzneimittelsicherheit darstellen, keine Fehlbelieferungen auslösen, keinen finanziellen Schaden für die Kasse nach sich ziehen, aber in den Augen der Kassen so schwerwiegend sind, dass sie das abgegebene Präparat nicht bezahlen.

Mit gesundem Menschenverstand lässt sich das nicht erklären, es sei denn, man vermutet System dahinter: Abzocke der Apotheker, um sich selbst zu bereichern. So gibt es schon Gerüchte, dass es vor allem leicht angeschlagene Kassen sind, die sich mithilfe des Retax-Terrors gegen Apotheker sanieren oder sich zumindest einige Zeit länger über Wasser halten wollen.

Bleiben wir bei den Fakten: Handschriftlich gesetzte Kreuze durch den Arzt sind nicht verboten. Hier müssen Forderungen der Kassen ins Leere laufen. Wenn die Kassen ein Gegenzeichnen durch den Arzt verlangen, sobald er etwas handschriftlich anbringt, so unterstellen sie dem Apotheker von vornherein Rezeptfälschung. Ein Unding!

Und eine vom Arzt vergessene Telefonnummer im Stempel oder ähnliche Kleinigkeiten sind für die Belieferung nun wirklich belanglos und lassen sich nachtragen. Überhaupt: Warum ist im Rezeptverkehr mit den Kassen kein Nachbessern erlaubt wie in anderen Branchen auch? Warum wird die gesamte erbrachte Leistung auf Null gekürzt?

Und warum mischen sich Krankenkassen und ihre Prüffirmen überhaupt in pharmazeutisch-rechtliche Fragen wie das korrekte Ausfüllen eines BtM-Rezeptes ein? Wenn die Bundesopiumstelle Fehler beanstandet, wäre dies verständlich. Aber die Krankenkassen? Nein, man muss mehr und mehr zur Einsicht gelangen: Da steckt System dahinter. Denn ginge es den Kassen wirklich nur um korrekt ausgefüllte Rezepte, so wäre eine erste Ermahnung in Richtung Ärzte loszulassen, an diejenigen, die die Rezepte bedrucken und ausfüllen.

Es ist richtig, dass Apothekerverbände und Apotheker Front gegen den Retax-Terror machen und mit juristischen Mitteln dagegen vorgehen. Zweiter Schritt: Die Lieferverträge sind anzupassen: Nachbesserungen müssen erlaubt sein ohne Null-Retax und bei unberechtigten Retaxierungen wird eine saftige Gebühr zulasten der Kasse erhoben.


Peter Ditzel



AZ 2011, Nr. 46, S. 1

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