Gesundheitspolitik

Celesio-Chef rechnet mit Ära Oesterle ab

Pinger: Apotheken wieder in den Mittelpunkt stellen

Stuttgart (lk). Erst neun Wochen ist Markus Pinger als neuer Vorstandschef beim Stuttgarter Pharmahändler Celesio unter Vertrag. Jetzt reißt der frühere Spitzenmanager von Beiersdorf das Ruder um 180 Grad herum und zieht einen radikalen Schlussstrich unter die Ära Fritz Oesterle: "Wir stellen die Apotheken wieder in den Mittelpunkt unseres Handelns." Das Kriegsbeil soll begraben werden.

Mit der Rückbesinnung auf das traditionelle Apothekengeschäft versucht Celesio an die Ertragskraft früherer Jahre anzuknüpfen. 100 Millionen Euro stellt Mehrheitseigentümer Haniel seinem neuen Vorstandsvorsitzenden als "Kriegskasse" für die Neuausrichtung zur Verfügung. Die Großhandelssparte mit Gehe soll neue und zusätzliche Leistungen anbieten und so die Apotheken wieder an Celesio anbinden. Geplant ist zudem ein europaweites Partnerschaftsmodell für Apotheken auf Franchisebasis.

Das 100 Millionen-Sofortprogramm soll jährlich 50 Millionen Euro einsparen. Zunächst aber sinkt der prognostizierte Gewinn: Celesio senkte im Zuge der Ankündigung das für dieses Jahr erwartete Ergebnis nochmals von 600 auf "mindestens 575 Millionen Euro". Geplant sind unter anderem auch Personaleinsparungen, die aber noch nicht näher nach Art und Umfang benannt werden.

Dafür fällt Pingers Urteil über die Unternehmensführung seines Vorgängers hart und eindeutig aus: "Zu viel, zu schnell, auf einmal – das hat nicht funktioniert." Mehr noch: "Es ist schon ungewöhnlich, dass man mit der eigenen Kundschaft so im Clinch liegt", urteilt der Marketing-Experte. Oesterles Strategie sei von der Angst geleitet gewesen, "dass das Kerngeschäft den Bach runtergeht". Seine Transformation weg vom Apothekengeschäft habe "nicht funktioniert". Am Ende sei Celesio noch stärker vom Kerngeschäft abhängig gewesen als zuvor.

Pinger kennt bei der Abrechnung mit der Ära Oesterle kein Pardon und lässt Zahlen sprechen: Bis zum Jahr 2007 habe Celesio wie kein anderes börsennotiertes Unternehmen in Deutschland 20 Jahre lang über 13 Prozent beim Vorsteuergewinn zugelegt. Seitdem sind die Gewinne eingebrochen. Dem konnte Mehrheitseigentümer Haniel nicht länger tatenlos zusehen. Die Folgen sind bekannt: Der Celesio Aktienkurs ist eingebrochen – nicht nur wegen der Eurokrise. Oesterle musste seinen Hut nehmen.

Dass Pinger bereit ist hart durchzugreifen, belegen auch zwei Personalentscheidungen der letzten Tage: "Auf eigenen Wunsch und in bestem gegenseitigen Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat", wie es offiziell heißt, scheidet Finanzvorstand Christian Holzherr zum 30. November 2011 aus dem Celesio-Vorstand aus. Auch Michael Lonsert, der den Geschäftsbereich "Manufacturer Solutions" verantwortet, nimmt seinen Hut. Damit ist vom ehemaligen Celesio-Vorstand um seinen Ex-Chef Fritz Oesterle nur noch Wolfgang Mähr übrig geblieben. Gemeinsam hatten sich die vier im April dieses Jahres in einem Brief an den Mehrheitsaktionär Haniel über den damaligen Aufsichtsratschef Jürgen Kluge beklagt.

Heute beschreibt Pinger Celesio als "gutes Schiff, das aber ein Leck hat". Den Pharmatanker wieder flott machen will er mit der Strategie "Back to the roots": "Wir wollen die Apotheken wieder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen." Kooperation statt Konfrontation. Pinger baut Celesios Zukunft auf seine alten Stärken: Apotheken-Kompetenz, Pharma-Know-how und auf die Logistik von Gehe.

Der Manager, der früher Nivea-Creme und Körperpflege erfolgreich an die Frau und den Mann gebracht hat, ist zwar ein Neuling im Arzneimittelhandel – aber nicht ohne familiäre Vorbelastung: Pingers Frau stammt aus einer traditionellen Apotheker-Familie. Sein Bruder hat in eine Apothekerfamilie eingeheiratet. Die Schwägerin führt eine Apotheke. In den letzten Wochen und Monaten hat er sich auch dort schlau gemacht.

Nun will Pinger Celesio wieder zu alter Stärke führen: Das Kerngeschäft, der Großhandel, soll ausgebaut werden. Gemeinsam mit den selbstständigen Apothekern will Pinger neue, profitable Allianzen schmieden – in Deutschland, aber auch europaweit. Das Kriegsbeil mit den Apothekern soll begraben werden. Das Symbol dafür: DocMorris. Was Pinger mit dem "Roten Tuch" DocMorris im Schilde führt, weiß er selbst noch nicht. Nur: "Diesen Konflikt werden wir bis Ende 2012 lösen."

Mit neuen, umsatz- und gewinnträchtigen Service-Angeboten sollen die vergraulten Apotheker für Celesio zurückerobert werden. Dabei zählt auch für Pinger am Ende nur der Profit: "Wir wollen den Apothekern helfen, mehr Geld zu verdienen." Die Warenwirtschaft will der Vertriebsspezialist vom Hersteller bis ins Lager der Apotheke optimieren. In der heutigen Vertriebskette steckt für Pinger ein "Riesenpotenzial für Kostensenkungen". Damit lässt sich Geld verdienen. Auch im Einkauf sieht er Effizienzreserven. Aufbauen will Pinger eine internationale Einkaufsorganisation. Das soll die Einkaufspreise drücken, nicht nur bei OTC-Produkten, vor allem bei der Freiwahl. Ein paar Prozent bringen hier Millionensummen.

Und die Zukunft der Apotheke? Da gibt es für den neuen Celesio-Chef eine "rote Linie": das Eigentum. Jeder Apotheker soll sein eigener Herr bleiben. Der Begriff "Kette" gehört nicht länger zum Celesio-Vokabular. Das hat Pinger schnell gelernt. Doch unterhalb dieser Linie kann sich Pinger alles vorstellen, was Geld in die Kasse spült – für Celesio und die mitmachenden Apotheker: "Apotheken-Collaboration", lautet Pingers Schlagwort. Dahinter verbergen sich unterschiedliche Spielarten der Zusammenarbeit. Franchise-Modelle, gemeinsame Medical- und Managed-Care-Modelle. Details sollen im nächsten Jahr folgen.

Auch das internationale Celesio-Geschäft soll vorangetrieben werden. Aus dem Engagement in Brasilien mit dem Groß- und Spezialhandel könnte ein "Brückenkopf" für die Entwicklung des gesamten südamerikanischen Marktes werden. Seine Fühler ausstrecken will Celesio auch auf die lukrativen Gesundheitsmärkte in den reichen Golfstaaten.

Viel vorgenommen hat sich der dynamische Manager also. Das Joint Venture mit Medco wurde bereits gestoppt. Als nächstes stehen die Aktivitäten bei Pharmexx und Movianto ebenso wie DocMorris auf dem Prüfstand. Mit dem 100 Millionen-Euro-Sofortprogramm ist erst der Anfang gemacht.



AZ 2011, Nr. 44, S. 1

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