Gesundheitspolitik

Anhörung zum Versorgungsstrukturgesetz – keine Einigkeit, viel Kritik

ABDA/KBV-Modell findet keinen Zuspruch

Berlin (jz). Nachdem der Gesetzesentwurf zum Versorgungsstrukturgesetz der Bundesregierung bereits in den eigenen Reihen stark diskutiert und vielfach abgeändert wurde, kritisierten ihn nun auch Verbraucherschützer, Krankenkassen und Ärzte als unzureichend: Die Ziele, die die Regierung mit dem Gesetz verfolge, seien zwar richtig, die Maßnahmen reichten jedoch zu kurz, so die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, anlässlich der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags am 19. Oktober.

Das Kabinett hatte den 112-Seiten-Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (VStG) im August beschlossen – seither brachte die Koalition selbst 85 Änderungsanträge zu unterschiedlichen Punkten ein. Während des fünfeinhalb-stündigen Anhörungsmarathons am 19. Oktober bewerteten nun auch Experten und Verbände den Gesetzesentwurf durchaus unterschiedlich: Vom "innovativen Instrumentenmix" mit "viel Zuckerbrot und relativ wenig Peitsche" (Einzelsachverständiger Prof. Dr. Wolfgang Spoerr), über den "Schritt in die richtige Richtung, aber langem Weg zum Ziel" (Johann-Magnus von Stackelberg, GKV-Spitzenverband) bis hin zu "insgesamt unzureichenden Maßnahmen" (Dr. Ilona Köster-Steinebach, Verbraucherzentrale Bundesverband) waren alle Meinungen vertreten.

Das "Ärzte-Gesetz"

Hauptthema der Anhörung war die Stadt-Land-Problematik bei der ärztlichen Versorgung. Uneinig war man sich dabei, ob die Entwurfsregelung dieses Problem lösen kann. GKV-Vize Stackelberg bezweifelte, dass der Entwurf "grundsätzlich geeignet" sei – so die gegensätzliche Meinung von KBV-Vorstand Andreas Köhler – , der ärztlichen Unterversorgung insbesondere in ländlichen Regionen entgegenzuwirken. Wer glaube, Unterversorgung beseitigen zu können, ohne ärztliche Überversorgung insbesondere in Großstädten "wirksam zu bekämpfen", irre, sagte Stackelberg. Er forderte daher statt des im Entwurf vorgesehenen Vorkaufsrechts für die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Verpflichtung derselben, frei werdende Praxen aufzukaufen, um sie vom Markt zu nehmen.

Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Ersatzkassen (vdek), regte außerdem an, sich in dem Gesetzentwurf stärker auf den Nachwuchs zu konzentrieren. Um viele der jährlich neu hinzukommenden rund 5000 neuen Ärzten für den Beruf des Landarztes zu begeistern, reichten die gewählten Ansätze nicht aus. Zur Sicherstellung einer wohnortnahen, flächendeckenden medizinischen Versorgung sollen Landärzte nach dem Willen der Bundesregierung von Maßnahmen der Budgetbegrenzung ausgenommen werden, wenn in ihrer Praxis eine bestimmte Zahl an Behandlungen überschritten wird. Herbert Weisbrod-Frey vom DGB äußerte, dass das Problem viel mehr die fehlende oder schlechte Infrastruktur auf dem Land sei – diese führe dazu, dass sich kein Arzt mehr auf dem Land niederlasse.

Gefragt nach den geplanten Änderungen in Bezug auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sagte dessen unparteiischer Vorsitzender, Dr. Rainer Hess, der G-BA sehe in der beabsichtigten Erweiterung seiner Richtlinienkompetenzen eine Anerkennung seiner bisherigen Arbeit durch die Politik. Kritisch äußerte er sich dagegen zu einigen strukturellen und verfahrenstechnischen Änderungen im Gesetzesentwurf. So dürfen nach dem Entwurf nur solche Personen als Unparteiische und deren Vertreter benannt werden, die in den vorangegangenen drei Jahren nicht bei den G-BA-Trägerorganisationen, deren Mitgliedsverbänden oder Verbänden von deren Mitgliedern beschäftigt waren. Das Gleiche gilt für Personen, die in einem Krankenhaus gearbeitet haben oder selbst als Vertragsarzt, Vertragszahnarzt oder Vertragspsychotherapeut tätig waren. Diese dreijährige Karenzzeit schränke "den Kreis potenzieller Mandatsträger für die bereits im Jahr 2012 anstehende neue Wahlperiode erheblich und völlig unnötig ein", so Hess. Diesbezüglich erhielt er viel Zuspruch: Drei Jahre seien "sehr lang", nach dieser Zeit sei man nicht mehr in der Expertise, so Köhler. Man habe fast den Eindruck, dass "Wissen schädlich" sei für die Benennung, kritisierte auch Pfeiffer.

Angeschnitten wurde neben weiteren Themen auch die Frage der angemessenen Wartezeiten bei der Terminvergabe. Dabei war man sich jedoch nicht einig, ob eine angemessene Wartezeit "ganz generell bestimmbar" sei, so Köhler (KBV), und für den Fall der Bestimmbarkeit blieb die Frage, welche Dauer als "angemessen" gilt – "eine Woche Wartezeit finde ich schon sehr lang", so Stackelberg. Auch bei den geplanten Änderungen zu den zukünftig zulässigen Rechtsformen der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) – vorgesehen sind hier nur noch Personengesellschaften oder GmbHs – waren sich die geladenen Einzelsachverständigen über deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht einig. Mehrere Verbände betonten außerdem, dass die häusliche Pflege, die Versorgung psychisch Erkrankter und Behinderter im geplanten Gesetz nicht ausreichend berücksichtigt werde.

ABDA/KBV-Modell: "rausgeschmissenes Geld"

Das ABDA/KBV-Modell wurde während der Anhörung des Gesundheitsausschusses zwar erst gegen Ende und auch nur kurz thematisiert – dann jedoch umso harscher kritisiert. Das Konzept, mit dem ABDA und KBV eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung für Patienten durch eine engere Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern erreichen wollen, sei "rausgeschmissenes Geld" und werde nicht zu den angekündigten Einsparungen führen, so Stackelberg. Es sehe Verfahren vor, die schon längst erlaubt seien – "was muss da noch erprobt werden?", fragte er. Auch bezüglich des Schiedsverfahrens äußerte er Kritik: Ein Modellvorhaben setze die Freiwilligkeit der Beteiligten voraus. Hier würden die Krankenkassen jedoch zu etwas gezwungen, was sie nicht wollen. Auch deshalb solle das Modell zunächst nur in einer Region getestet und nicht auf weitere Regionen ausgeweitet werden.

Auch Matthias Diessel von Pro Generika ließ – stellvertretend für die vier großen Pharmaverbände – kein gutes Haar am Modell: Er forderte Studien, die mit evidenzbasierten Zahlen belegen, dass das von ABDA und KBV erwartete Einsparpotenzial von 1,8 Milliarden Euro tatsächlich möglich ist. Aus Sicht von Pro Generika ist der Medikationskatalog eine bundesweit einheitliche Positivliste: "Sie führt zur Standardmedikation, zum Standardpatienten – das kann heutzutage sicherlich nicht gewollt sein", so Diessel. Schon vorab war das Konzept in den schriftlichen Stellungnahmen des GKV-Spitzenverbands, der Pharmaverbände und des als Einzelsachverständigen geladenen Chefs der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, scharf kritisiert worden.



AZ 2011, Nr. 43, S. 2

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