Wirtschaft

Finanzielle Altersvorsorge: Zwischen Fiktion und Notwendigkeit

Nachdenkliche und provokative Gedanken zu einem aktuellen Thema

Der letzte Tarifabschluss, der den Apothekenmitarbeitern einen weiteren Zugang zur betrieblich-privaten Altersvorsorge öffnet, rückt das Thema Altersvorsorge wieder in den Mittelpunkt. 10,00 bis 27,50 Euro pro Monat je nach Arbeitszeit geben die Arbeitgeber künftig im Monat zu einer kapitalgedeckten Altersversorgung dazu. Entschließt sich der Arbeitnehmer zu einer begünstigten Entgeltumwandlung (bis max. 4% der Bemessungsgrenze der Rentenversicherung West, zurzeit also 4% von 5500 Euro = 220 Euro), kommt entsprechend mehr in den Vorsorgetopf, und das Gericht wird vom Staat noch lecker garniert.

Das vielfach publizierte Standardbeispiel: 27,50 Euro Arbeitgeberbeitrag plus 100 Euro Gehaltsumwandlung plus 20% Arbeitgeberzulage anstelle des sonst fälligen Arbeitgeber-Sozialbeitrages auf diesen umgewandelten Gehaltsbestandteil ergeben eine monatliche Sparrate von 147,50 Euro. Ledige Arbeitnehmer auf PTA-Gehaltsniveau kostet das netto nur rund 54 Euro. Das klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Da muss man einfach zugreifen. Zumindest, was den Arbeitgeberbeitrag (die 27,50 Euro) betrifft, gilt das auch. Hier geht der Angestellte ja kein Risiko ein.

Bei der Entgeltumwandlung wird es schon schwieriger. Der reale Aufwand hängt entscheidend vom Einkommen ab. Am meisten profitieren ledige Angestellte, die knapp an der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenkasse (zurzeit 3712,50 Euro) verdienen. Hier addiert sich der Vorteil der Sozialabgaben- und Steuerfreiheit auf maximal rund 60%. Hinzu kommt der Zuschuss des Brötchengebers von 20%, was letztlich den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung repräsentiert. Der eigene Nettoeinsatz beträgt so für 100 Euro Umwandlungsbetrag (= 120 Euro Sparleistung mit Zuschuss) nur etwa 40 Euro. Im schlechtesten Fall sind es, je nach Familienstand und bei niedrigen Einkommensverhältnissen, rund 65 Euro Eigenaufwand für 120 Euro Sparleistung durch Gehaltsumwandlung; bei niedrigen Einkommen dominiert die Sozialabgabenfreiheit. Hier zeigt sich eine gewisse soziale Schieflage. Für den Arbeitgeber ist die Umwandlung hingegen weitgehend kostenneutral.

Was lässt sich erwarten?

Welches Altersvorsorgekapital lässt sich erwarten? Die Tabelle gibt Auskunft. Die Werte orientieren sich an o. a. Beispiel: 27,50 Euro Arbeitgeberbeitrag, 100 Euro Entgeltumwandlung plus 20 Euro Zuschuss macht 147,50 Euro. Mit beispielsweise 3,5% Verzinsung – höher als der Garantiezins von 2,25% in diesem und 1,75% ab nächstem Jahr – errechnen sich auf 30 Jahre nominal etwa 92.800 Euro. Real schrumpft dieser Betrag auf 51.200 Euro bei 2% und 38.200 Euro bei 3% angenommener Inflation. Man erhält diesen Realwert durch Multiplikation des tabellierten Kapitals mit dem jeweiligen "Entwertungsfaktor". Diese inflationäre Auszehrung lässt sich durch jährliche Dynamisierung der Beiträge in Höhe der Inflation vermeiden.

Dem stehen nur 19.800 Euro effektive Eigenleistungen des Arbeitnehmers gegenüber (Annahme: 55 Euro monatliche Nettobelastung, nicht dynamisiert). Für ihn ist die Rendite aufgrund der Bezuschussung und Abgabenbefreiung auch inflationsbereinigt deutlich positiv. Anders sieht es hingegen aus, wenn die gesamten Einzahlungsbeträge betrachtet werden. Dann sorgen bereits 2% Inflation im gewählten Beispiel gerade noch für einen Kapitalerhalt aus heutiger Sicht der Beiträge. Rechnerisch besser sieht es aus, wenn die Entwertung künftiger Beiträge eingerechnet wird. Wir unterstellen weiterhin "echte" Verzinsungen, nach Abzug von Verwaltungs- und sonstigen Kosten der Anbieter.

Was heißt das? Ein Kapitalerhalt ist bereits keine schlechte Leistung – stets im Vertrauen auf das Papiergeld, Fragezeichen inklusive. Spaß macht das Ganze, falls Renditen langfristig weit oberhalb der Inflation erzielt werden, wie die Tabelle ebenfalls lehrt. Dann greift der Zinseszinseffekt auf Realwertbasis. Das ist in der Breite kaum zu erwarten. Würde sich Kapital durchgehend und dauerhaft so rentabel verzinsen, kämen langfristig Summen zusammen, denen überhaupt kein adäquater Gegenwert in Form von Immobilien, Produktivvermögen usw. gegenüber stünde. Das ist eine mathematische Tatsache. Die Kunst beständig hoher Renditen wird ein exklusives Privileg Weniger bleiben.


Welches Altersvorsorgekapital lässt sich erwarten
10 Jahre
20 Jahre
30 Jahre
40 Jahre
Verzinsung p.a.:
1,75%
19.300 €
42.300 €
69.600 €
102.100 €
2,25%
19.800 €
44.500 €
75.500 €
114.100 €
3,50%
21.100 €
50.900 €
92.800 €
152.000 €
4,50%
22.200 €
56.700 €
110.200 €
193.300 €
6,00%
24.000 €
66.900 €
143.700 €
281.400 €
AN-Leistung mtl. + insgesamt netto:
55,00 €
6.600 €
13.200 €
19.800 €
26.400 €
Sparleistung mtl. + insgesamt:
147,50 €
17.700 €
35.400 €
53.100 €
70.800 €
Entwertungsfaktor bei Inflation von:
2,00%
0,820
0,673
0,552
0,453
Entwertungsfaktor bei Inflation von:
3,00%
0,744
0,554
0,412
0,307

Ambivalente Bilanz

So bleibt eine ambivalente Bilanz: Arbeitnehmer wie Arbeitgeber werden durch staatliche (Fehl-)Anreize gedrängt, ihr Geld dem institutionalisierten Großkapital (Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften usw.) zu geben. Bezeichnenderweise Institutionen, die dann "alternativlos" mit staatlichem Geld gerettet werden müssen. Dabei verzichtet der Staat durch solche Anreize auf Steuern und Sozialabgaben. Dafür müssen Sie sich, um es mal so grob verkürzt auszudrücken, wieder mit Rabattverträgen herumärgern, denn irgendwie muss das Geld ja hereinkommen ...

Aber was ist die Alternative? Von 100 Euro brutto bleiben netto ansonsten um die 50 Euro, mit denen man bei wirklich "privater" Vorsorge das Gleiche erzielen müsste wie mit rund 150 Euro subventionierter Vorsorge. Das dürfte in den allermeisten Fällen nicht möglich sein. Parallelen zur Solar- und Windkraftförderung, Steinkohlesubventionierung und vielem, vielem mehr drängen sich auf. Am Ende wundern sich die Leute, dass "Blasen" platzen! Und nein, es sind nicht nur die bösen Banken und Versicherungen. Diese greifen die Fleischbrocken, die der Staat in dieses Haifischbecken hineinwirft, nur begierig auf. Kann man das verdenken? Somit sind wir beim wenig erfreulichen, ja höchst bedenklichen Teil. Das beständige Subventionieren, Fremdbestimmen, Setzen von marktfernen Anreizen, und das noch zum guten Teil schuldenfinanziert: Die Verwerfungen an den Finanzmärkten sind demzufolge eine ganz logische, der Totalzusammenbruch eine nicht mehr auszuschließende Konsequenz – in erster Linie von Staatsversagen!

Das zeigt: Alleiniges Vertrauen in die magischen vier Buchstaben – Geld – kann sich als riskant erweisen. Dagegen werden andere Dinge eine Renaissance erleben:

Die eigene Gesundheit und Fitness

Wenn über die Erhöhung des Rentenalters diskutiert wird, immer mehr Rentner bezahlten Tätigkeiten nachgehen (müssen?), dann schwingt die Frage nach der Arbeitsfähigkeit und Gesundheit mit. Wer noch leistungsfähig ist, über gefragte Qualifikationen verfügt und Spaß am Beruf hat, der braucht sich um sein Alter schon viel weniger Gedanken zu machen. Die eigene Fitness, körperlich, psychisch und intellektuell, ist die beste Form der Altersvorsorge! Dafür können Sie selbst viel tun: Indem Sie sich dieser Bedeutung bewusst sind, die nötige Spannkraft und Motivation bewahren und sich eben nicht im Vertrauen auf irgendwelche Versicherungen "gehen lassen".

Dazu etwas Nachdenkliches: Die Lebewesen um uns herum, ob Zwergmaus, Raubkatze oder Elefant, haben nur diese Form der "Altersvorsorge": Fit und den Anforderungen gewachsen! In Millionen Jahren der Evolution, die all unsere Lebensgrundlagen hervorgebracht hat (und die wir rekordverdächtig verplempern), hat keine Spezies irgendein "Rentensystem" auf Vorratsbasis ("Kapitaldeckung") entwickelt. Kein Bär kann sich so viel anfressen, kein Hamster so viel hamstern, dass er ein Viertel oder Drittel seines Lebens ungeachtet der Leistungsfähigkeit davon zehren kann. Wir haben die Abstraktion des Geldes geschaffen; doch bedeutet die Verlagerung immer größerer Teile der Vorsorge in die Welt des fluiden Geldes nichts weiter als ein Fortstehlen des Staates aus der Verantwortung für seine Bürger.

Die soziale Verankerung

Ob die eigene Familie oder andere, soziale und belastbare Netzwerke – letzten Endes sind es Menschen aus Fleisch und Blut, die im Alltag bis hin zur Pflege füreinander einstehen können. Zwar werden eines Tages intelligente Roboter viele Aufgaben übernehmen, doch wird deren Preis wohl den Einsatz limitieren. Somit bleibt die Verankerung in einem stabilen, sozialen Umfeld neben Gesundheit eine der wichtigsten Säulen der Altersvorsorge. Die Frage wird lauten: Kann ich mir Dienstleistungen künftig kaufen, weil mir das Zinsmärchen das nötige Geld in die Hände gespielt hat, oder habe ich die "Anrechte" bereits im Form eines intakten, sozialen Beziehungssystems erworben, in welches ich ebenfalls einiges investieren musste? Für den Normalbürger dürfte die Frage bei der gegebenen finanzpolitischen Wetterlage recht eindeutig sein. Nur wenige, exponierte Personen mit einem Händchen für Finanzfragen, möglicherweise einem Startvorteil wie einer Erbschaft und einem hohen Maß an Disziplin und strategischer Weitsicht werden auf die Karte Finanzinvestments setzen können. Für die anderen, die große Mehrheit, wird "Humankapital" – eigene Fitness und soziales Umfeld – den bedeutendsten Teil der Altersvorsorge bilden. Das zeichnet sich klar ab. Vertrauen Sie also nicht nur auf Papierrenditen! Investieren Sie auch in die oben erwähnten, beständigeren Vorsorgeformen – wie es Generationen vor uns getan haben und viele Völker traditionell noch tun.


Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de



AZ 2011, Nr. 39, S. 6

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