Gesundheitspolitik

Politisches Tauziehen um ABDA/KBV-Konzept beginnt

Lobbygruppen bringen sich in Stellung – Begriff "Positivliste" erschwert Umsetzung

Berlin (lk). Das Tauziehen um das ABDA/KBV-Konzept zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung beginnt: Vor Beginn der 1. Lesung des Gesetzentwurfes im Deutschen Bundestag am kommenden Freitag hat sich machtvoller politischer Gegendruck aufgebaut. Mit dem GKV-Spitzenverband und dem Hausärzteverband lehnen zwei schwergewichtige Lobbygruppen das ABDA/KBV-Konzept ab. Mehr noch: In den Publikumsmedien hat sich für den darin enthaltenen Medikationskatalog der Begriff "Positivliste" eingebürgert.

Der Begriff Positivliste erleichtert die Durchsetzung des ABDA/KBV-Konzeptes in den anstehenden politischen Beratungen keineswegs. Denn sowohl in der Union als insbesondere in der FDP war und ist die Einführung einer Positivliste ein absolutes Tabu. Es wäre nicht das erste Mal, dass politische Begrifflichkeiten in der Lage sind, die Umsetzung von Sachpolitik zu torpedieren. Das ABDA/KBV-Konzept ist Bestandteil eines umfangreichen Kataloges von Änderungsanträgen zum Versorgungsstrukturgesetz zur Linderung des Ärztemangels in ländlichen Regionen. Nach der 1. Lesung im Deutschen Bundestag am 23. September starten die entscheidenden parlamentarischen Beratungen in den Ausschüssen. Dort besteht ausreichend Gelegenheit für Befürworter und Gegner des ADBA/KBV-Konzepts, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Ein Termin für die Sitzung des federführenden Gesundheitsausschusses steht noch nicht fest. Beabsichtigt ist jedoch das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2012.

Hausärzte: Apotheken-Fütterungsprogramm

Nach dem GKV-Spitzenverband hat sich kürzlich der Hausärzteverband mit Kritik am ABDA/KBV-Konzept zu Wort gemeldet: "Das ist ein Apotheken-Fütterungsprogramm. Ich bin sicher, dass wir uns auf unserer Delegiertenversammlung dagegen aussprechen werden", lehnte der Vorsitzende des Verbandes der Hausärzte, Ulrich Weigeldt, das Konzept ab. Er selbst halte den Vorschlag für ein Programm, das keinerlei Vorteile für die Patienten bringe. "Es sind vor allem die Apotheker, die von diesem Modell profitieren", sagte Weigeldt der "Süddeutschen Zeitung". Er könne nicht verstehen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ärztliche Kompetenzen abgeben wolle, um einen anderen Berufsstand zu unterstützen. Der Hausärzteverband werde Mittel und Wege finden, um das Modell zu verhindern.

Der Widerstand der Hausärzte ist ernst zu nehmen. Die Hausärzte betreuen mit Abstand die meisten Patienten. Nach eigenen Angaben sind im Verband 32.000 der rund 60.000 Hausärzte organisiert.

Bahr: Keine Positivliste

Wissend um die Macht der Wörter, versuchte auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) als Befürworter des ABDA/KBV-Konzeptes den Begriff "Positivliste" aus der Welt zu schaffen: "Der Medikationskatalog ist das Gegenteil der Positivliste", sagte er auf einer Veranstaltung des Apothekerverbandes Nordrhein. Der Vorschlag ermögliche die notwendige Vielfalt und Freiheiten für Apotheken wie Ärzte, ihre Patienten individuell zu behandeln, weil es sich beim Medikationskatalog nicht um zwingende Vorgaben handele, sondern um Empfehlungen. Gleichzeitig berücksichtige er die Interessen der Versicherten nach einer ökonomischen Arzneimittelversorgung. Eine Positivliste werde es mit ihm nicht geben, betonte Bahr. Gleichzeitig bekräftigte der Minister, dass der Medikationskatalog in das Versorgungsgesetz aufgenommen werde. Darin sei er sich mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der Union, Jens Spahn, einig.

Bahr unterstütze zudem die Bewerbung des Kammergebietes Westfalen-Lippe als Modellregion. Als "Münsteraner" freute er sich, dass sich Westfalen-Lippe als Testregion beworben habe. Dem Vernehmen nach hat der Kammerbezirk seine Bewerbung für das Modellprojekt bereits eng mit Bahr und Spahn, der ebenfalls aus dieser Region stammt, abgestimmt. Die Bundesregierung möchte das Modell zuerst nur in einer Region testen. Die Apotheker wie Ärzte plädieren für mehrere Testregionen. Wenn sich das Konzept in diesem Test beweise, könne es in die Regelversorgung übernommen werden, sagte Bahr.

"Wir sind gespannt, ob das Modell überzeugend ist und zu einer Senkung der Ausgaben führt", so Bahr auf einer Veranstaltung der Continentale Versicherung. Seiner Einschätzung nach könnte das Prinzip, dass der Arzt auf Basis eines Medikationskatalogs einen Wirkstoff verordnet und der Apotheker das konkrete Medikament auswählt, von den Patienten besser akzeptiert werden als die Rabattverträge. Je nachdem, wie das Ergebnis des Modellvorhabens ausfällt, könne die Politik entscheiden, ob ein Ausrollen Sinn macht oder nicht. "Wir müssen nicht immer gleich alles für alle in Deutschland machen", so Bahr weiter.

Nach massiver Kritik auch aus der Pharmaindustrie verteidigte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, die geplante gesetzliche Regelung für Modellvorhaben zum ABDA/KBV-Konzept. Er habe keine Bedenken, dass hierdurch die ärztliche Therapiefreiheit eingeschränkt werde. "Statt Richtgrößenprüfungen und Regressen brauchen wir wirkungsvolle Instrumente für eine rationale Arzneimitteltherapie. Der von der Koalition geplante indikationsbezogene Medikationskatalog kann zu mehr Wirtschaftlichkeit bei der Arzneimitteltherapie beitragen und die Versorgungsqualität weiter verbessern", sagte Montgomery.

Die Kritik aus der Pharmaindustrie, die ärztliche Therapiefreiheit werde durch einen solchen Medikationskatalog eingeschränkt, wies er zurück. Er betonte, dass allein die Industrie von hohen Arzneimittelpreisen in Deutschland profitiere – schon weil Deutschland Referenzland für die Preisgestaltung in anderen Industrieländern ist. "Nun vergießen die Industrieverbände Krokodilstränen wegen der angeblich bedrohten Therapiefreiheit. In Wahrheit geht es ihnen aber um den eigenen Profit. Dass Ärzte bei Regressen für diese Preispolitik in Haftung genommen werden, wird dabei aber übersehen", so Montgomery.

Als einer der letzten der betroffenen Verbände hatte sich letzte Woche auch die ABDA selbst in die Diskussion eingeschaltet: "Der derzeit öffentlich diskutierte Medikationskatalog schränkt die ärztliche Therapiefreiheit nicht ein und ist keine ‚Positivliste‘", schreibt sie in einer Erklärung. "Ärzte und Apotheker wollen keine Listenmedizin, sondern Evidenz-basierte Medizin. Dazu gehört die rationale Verordnung der Leitsubstanzen, soweit dies therapeutisch sinnvoll ist", so ABDA-Vize Friedemann Schmidt. Der geplante indikationsbezogene Medikationskatalog könne die Versorgungsqualität weiter verbessern und zu mehr Wirtschaftlichkeit bei der Arzneimitteltherapie beitragen.

Auch bei der Präsentation des aktuellen Arzneimittelverordnungs-Reports (AVR) spielte das ABDA/KBV-Konzept eine Rolle: Das Modell sei kein taugliches Instrument zur Ausgabensenkung, war dort die Überzeugung. "Wenn derzeit für andere Modelle als Rabattverträge geworben wird, so dient dies nur dazu, dass bestimmte Gruppen am rationalen Verordnungsverhalten – das das SGB V ohnehin vorschreibt – noch etwas mehr verdienen wollen", erklärte der AVR-Mitherausgeber Dr. Dieter Paffrath. Unterstützung erhielt Paffrath von Jürgen Graalmann, dem stellvertretenden Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes. Er kann dem Modell zwar Positives abgewinnen – nämlich die Wirkstoffverordnung und das Eingeständnis, dass weiteres Einsparpotenzial im Arzneimittelbereich vorhanden ist. Nicht akzeptabel ist aber auch für ihn, dass diese Einsparungen nicht den Patienten zugutekommen sollen. Richtig "beunruhigend" ist für Graalmann zudem die Vorstellung, dass das Instrument die Rabattverträge aushebeln könnte. Es wird also noch erheblicher Anstrengungen und politisches Durchhaltevermögen bedürfen, um aus dem Änderungsantrag der Regierungskoalition gegen den massiven Widerstand der Lobbygruppen ein Gesetz werden zu lassen.



AZ 2011, Nr. 38, S. 1

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