Gesundheitspolitik

Gericht zieht Direktvertrieb in Zweifel

Landgericht Berlin: Winthrop-Partnerprogramm ist wettbewerbswidrig

Berlin (ks). Das Landgericht Berlin hat der Sanofi-Aventis-Tochter Winthrop einen Strich durch die Rechnung gemacht: Sie darf Apotheken nicht mehr ihr seit 2009 laufendes Partnerprogramm anbieten. Dieses Programm sieht vor, dass Apotheken Arzneimittel von Winthrop und Sanofi-Aventis im Wege des Direktvertriebs zum Herstellerabgabepreis erhalten, wenn sie sich verpflichten, diese Präparate bei der Aut-idem-Substitution bevorzugt zu berücksichtigen. Die Richter stützen ihre Entscheidung insbesondere auf § 10 Apothekengesetz (ApoG). Sie stellen in ihrem Urteil aber auch das Direktgeschäft von Apotheken grundsätzlich in Frage.

(Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. März 2011, Az.: 96 O 38/10)


Das Winthrop-Partnerprogramm war eine Folge der 2009 abgeschlossenen AOK-Rabattverträge. Hier hatte Winthrop für zehn Substanzen Exklusivverträge erhalten, Sanofi-Aventis für zwei. Darüber hinaus bestanden ältere Portfolioverträge mit der AOK sowie ein "Substanzvertrag" über fünf weitere Winthrop-Generika. Das mit einer Frist von zwei Wochen kündbare Partnerprogramm sah verschiedene Formen der bevorzugten Abgabe vor: Die zwölf Präparate aus der AOK-Ausschreibung sollten etwa dann vorzugsweise abgegeben werden, wenn andere Kassen für den jeweiligen Wirkstoff Rabattverträge mit Winthrop/Sanofi aber auch anderen Herstellern abgeschlossen hatten. Auch weitere Präparate aus den Portfolioverträgen werden im Vertrag zum Partnerprogramm beispielhaft aufgeführt. Als Gegenleistung erhalten die Apotheker die Arzneimittel direkt von Winthrop oder ihrer Muttergesellschaft zum günstigeren Herstellerabgabepreis. Sie erhöhen damit also ihre Gewinnmarge, da sie gegenüber den Krankenkassen den Apothekeneinkaufspreis abrechnen, der den für sie entfallenen Großhandelszuschlag enthält.

Verstoß gegen § 10 ApoG

Die Wettbewerbszentrale sah in dem Vorgehen insbesondere einen Verstoß gegen das in § 10 Apothekengesetz (ApoG) geregelte Arzneimittelbevorzugungsgebot. Das Landgericht Berlin folgte dem und bejahte einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch. Zwar gilt die Vorschrift des § 10 ApoG unmittelbar nur für den Apotheker und nicht für pharmazeutische Unternehmen – doch die Beklagte hafte hier als Anstifterin. Der Apotheker, der auf Grundlage des Partnerprogramms mit Winthrop zusammen arbeitet, verstoße jedenfalls gegen § 10 ApoG, wenn er von Winthrop oder Sanofi-Aventis hergestellte Arzneimittel bevorzugt an Patienten abgibt.

§ 10 ApoG


Der Erlaubnisinhaber darf sich nicht verpflichten, bestimmte Arzneimittel ausschließlich oder bevorzugt anzubieten oder abzugeben oder anderweitig die Auswahl der von ihm abzugebenden Arzneimittel auf das Angebot bestimmter Hersteller oder Händler oder von Gruppen von solchen zu beschränken.


Zweck dieser Norm sei es, die Eigenverantwortlichkeit des Apothekers und seine Entscheidungsfreiheit gegenüber anderen am Arzneimittelverkehr beteiligten Kreisen sicherzustellen. Das Verbot solle "verhüten, dass der Arzneimittelschatz der Apotheken durch Bindung an die Waren bestimmter Hersteller zum Schaden einer geordneten Arzneimittelversorgung beschränkt wird" – dies hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1964 so gesehen und aus Sicht der Berliner Richter besteht kein Anlass, diesen Schutzzweck heute enger auszulegen. Das Partnerprogramm sorge aber dafür, dass die Apotheke bevorzugt Arzneimittel der Beklagten vorrätig halten werde – und diese Beschränkung könne durchaus Einfluss auf die Arzneimittelversorgung haben. So könne etwa die Wahlfreiheit privat Versicherter eingeschränkt werden. Das Argument der Beklagten, die Apotheker seien nicht gezwungen, bei nebeneinanderstehenden Rabattverträgen das jeweilige Winthrop/Sanofi-Präparat abzugeben, spreche nicht gegen eine Anwendung des § 10 ApoG. Die Vereinbarungen des Partnerprogramms – die ohnehin kurzfristig gekündigt werden können – entfalten ihre Wirksamkeit dem Urteil zufolge nicht in erster Linie durch eine bindende vertragliche Verpflichtung zur bevorzugten Abgabe, sondern dadurch, dass für den Apotheker ein finanzieller Anreiz hierzu geschaffen wird. Und die damit einhergehenden Gefahren für eine geordnete und möglichst breite Arzneimittelversorgung würden nicht dadurch beseitigt, dass der Apotheker sich im Einzelfall auch für ein anderes Arzneimittel entscheiden könne, ohne Sanktionen seiner Vertragspartnerin befürchten zu müssen.

Darüber hinaus sieht das Gericht einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG gegeben: Die Vereinbarungen und ihre Durchführung gefährdeten die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch unangemessenen, unsachlichen Einfluss. Maßgeblich sei dabei, dass der Apotheker bei seiner Entscheidung für oder gegen ein Medikament auch die Interessen Dritter zu wahren habe – infolge des finanziellen Vorteils, der ihm von der Beklagten versprochen wird, könnte er veranlasst sein, diese Interessenwahrnehmungspflicht zu verletzten.

Des Weiteren kann das Programm dem Urteil zufolge nicht als zulässige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 2 a Heilmittelwerbegesetz (HWG) gesehen werden. Danach sind Barrabatte zulässig, so sie in Übereinstimmung mit den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes gewährt werden. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Rx-Arzneimittel sichergestellt ist. Aber das Landgericht erkennt im Verzicht auf den Großhandelszuschlag – der durch das HWG nicht ausdrücklich verboten ist – einen Verstoß gegen § 128 Abs. 2 SGB V. Diese Norm, die über ihren Absatz 6 auch zwischen Pharmaunternehmen und Apotheken anwendbar ist, verbietet, dass pharmazeutische Unternehmen im Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung Apotheken Zuwendungen in Form von wirtschaftlichen Vorteilen gewähren. Damit soll ausgeschlossen werden, dass bei der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter finanzielle Vorteile ohne Wissen und Beteiligung der Krankenkassen gewährt werden. Zwar bestimmt § 128 Abs. 6 SGB V, dass die eine entsprechende Anwendung nur erfolgen kann, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. § 7 Abs. 1 Nr. 2 a HWG könne aber nicht als andere gesetzliche Bestimmung in diesem Sinne gesehen werden. Die Norm sei nicht so zu verstehen, dass sie Barrabatte ohne Einschränkungen zulasse. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich vielmehr, dass insbesondere Skonti, also prozentual zu berechnende Preisnachlässe erlaubt werden sollten. Zwar werde nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Pharmaunternehmen auf die beim Rx-Direktvertrieb verbleibende Großhandelsspanne ganz verzichten. Doch es sei auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber einen solchen Verzicht ausdrücklich zulassen wollte.

Bei Sanofi-Aventis will man sich derzeit noch nicht zu dem Urteil und einer möglichen Berufung äußern.

Das Urteil finden Sie im Volltext auf unserer Webseite unter der Servicerubrik DAZ.online Recht.



AZ 2011, Nr. 15, S. 1

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