Gesundheitspolitik

Wie transparent ist der G-BA wirklich?

Kritik an neuem Festbetragsbeschluss für Antidepressiva

Berlin (ks). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gibt sich gerne als transparentes Gremium. Es gibt öffentliche Sitzungen, der Gang der Beratungen kann in weiten Teilen im Internet eingesehen werden. Dennoch: Es gibt nach wie vor Kritiker, die den G-BA für eine "Blackbox" halten. Genährt wird diese Annahme durch zwei Ereignisse aus der jüngsten Zeit: Den Festbetragsgruppenbeschluss zu Citalopram und Escitalopram und die Entscheidung des G-BA, gegen ein Urteil Berufung einzulegen, das seine Auskunftspflicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz feststellt.

Am 17. Februar 2011 hat der G-BA beschlossen, für die Wirkstoffe Citalopram und Escitalopram (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer – SSRI) eine neue gemeinsame Festbetragsgruppe (Stufe 2) zu bilden. Dieser Beschluss liegt jetzt dem Bundesgesundheitsministerium zur Prüfung vor. In der Fachwelt hat der Beschluss Aufsehen erregt – auch der Mediziner und Medizinrechtler Prof. Christian Dierks und der Ärztliche Direktor im Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie Schloss Werneck, Prof. Hans-Peter Volz, betrachten ihn mit Sorge. Sie sehen die Versorgung von 160.000 Patienten mit Depressionen in Gefahr.

Beide Wirkstoffe wurden von der dänischen Firma Lundbeck entwickelt. Während Citalopram bereits seit Jahren als Generikum auf dem Markt ist, genießt Escitalopram noch bis Mitte 2014 Patentschutz. Zwei Euro mehr am Tag kostet die Therapie mit dem modernen Antidepressivum – wird der Festbetragsbeschluss wirksam, müsste Lundbeck seinen Preis für Cipralex® um 80 Prozent absenken. Dass er das nicht leisten könne, machte der Hersteller bereits deutlich. Die Folge wäre, dass Patienten, die Escitalopram weiterhin verordnet bekommen möchten, Aufzahlungen leisten müssten. Diese könnten bei etwa 180 Euro im Quartal liegen. Dass die Patienten bereit sind, eine solche Summe zu zahlen, nehmen Volz und Dierks nicht an. Das zeigte vor einigen Jahren schon der Sortis® -Fall. Auch hier hatte der Hersteller – Pfizer – die Einordnung seines Präparates mit patentfreien Cholesterinsenkern nicht akzeptiert und den Preis nicht abgesenkt. Die Folge waren schwere Umsatzeinbrüche beim einstigen Blockbuster.

Missachtet G-BA eigene Vorgaben für Bewertung?

Im Fall der SSRI halten Volz und Dierks dem G-BA vor, er habe in dem Verfahren seine selbst aufgestellten Vorgaben für die Nutzenbewertung missachtet. Denn trotz breiter Studienlage, die eine Überlegenheit von Escitalopram gegenüber Citalopram belege, habe der G-BA diese Studien nicht zum Zuge kommen lassen. Das gelte sowohl für die randomisierten, kontrollierten Einzelstudien (RCTs), als auch für Meta-Analysen und die Relevanzkriterien Remission und Response. So argumentierte der G-BA etwa, dass die Daten einer russischen Studie nicht auf den deutschen Versorgungskontext übertragbar seien. Zudem erscheine die Überlegenheit von Escitalopram zu deutlich: Die Studienergebnisse lägen "außergewöhnlich weit oberhalb der Punktschätzer der anderen Studien, sodass die Vergleichbarkeit kritisch zu beurteilen ist", heißt es in der Begründung des Beschlusses. Die Aussagekraft vorliegender Meta-Anlaysen stufte der G-BA herab, wenn diese nicht alle aktuellen Studien beinhalteten; so auch eine norwegische Übersichtsarbeit, die vier von sechs Studien berücksichtigte. Dass diese vier Arbeiten keine Ergebnisse bringen sollen, ist für Volz nicht zu verstehen. Selbst eine einschlägige Analyse der Cochrane Collaboration, die sämtliche Studien umfasste, wurde vom G-BA wegen "überwiegend starker Heterogenität" nicht anerkannt. Was, so fragt sich Volz, muss man beim G-BA überhaupt einreichen, um die Überlegenheit eines Arzneimittels zu belegen? Besonders kritisch zu sehen sei das Verfahren vor dem Hintergrund einer jüngst vom G-BA vorgelegten Versorgungsanalyse zum Krankheitsbild Depression. Hierin habe man gerade erst eklatante Versorgungsmängel festgestellt – und nun solle gerade Escitalopram den Patienten entzogen werden.

Innovationen in Gefahr

Auch das dritte Instrument, das sich der G-BA für die Nutzenbewertung auferlegt hat, die Relevanzkriterien Response und Remission zur Ermittlung des therapeutischen Zusatznutzens, erachtet das Gremium plötzlich als "fraglich". Volz zieht daher ein vernichtendes Fazit: Der G-BA wende seine eigenen Kriterien nicht vorhersehbar und nicht in sich konsistent an. Dies werde zu einer Verlangsamung, wenn nicht gar zu einem Stopp von Innovationen führen. Dierks betonte, es gehe nicht um einen Feldzug für Escitalopram oder seinen Hersteller. Aber gerade dieser Beschluss zeige, wo die Gefahren liegen. Mit dieser Methodik sei "alles totzuprüfen".

Das Urteil des VG Köln

Zweifel an der Transparenz des G-BA kommen Dierks zudem im Hinblick auf die Berufung, die das Gremium gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln einlegen will (Urt. vom 13. Januar 2011, Az.: 13 K 3033/09). Nach diesem Urteil ist der G-BA auskunftspflichtig nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Für ihn gelte mithin das gleiche wie für andere Bereiche der Verwaltung, betonte Dierks. So habe etwa jeder das Recht ohne Angabe von Gründen, die Namen der Gutachter und der Mitglieder des Unterausschusses zu erfahren. Auch in Protokolle könne Einsicht genommen werden. Nicht vom IFG erfasst seien dagegen Auskünfte über namentliche Abstimmungsergebnisse. Der G-BA habe mit seiner Verweigerung solcher Auskünfte seine Mitglieder vor Einladungen der Industrie schützen wollen, heißt es. Doch auch der Richter habe in der mündlichen Verhandlung betont, dass Einladungen an sich noch nicht kritisch seien – schließlich müssten sie nicht angenommen werden. Dierks, der an dem Verfahren selbst beteiligt ist, ist überzeugt, dass auch das Oberverwaltungsgericht Münster die Rechtslage in der nächsten Instanz nicht anders sehen wird. Er hätte erwartet, dass der G-BA angesichts des deutlichen Votums des Gerichts nun wirklich für mehr Transparenz sorgen werde – gerade in Zeiten, da auch die Politik über eine Neustrukturierung des Gremiums nachdenkt. Doch am 17. Februar stellte der G-BA nicht nur den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil, sondern fasste auch noch den genannten Festbetragsbeschluss. Und das ist nicht alles: am selben Tage gab er zudem eine Pressemitteilung heraus, in der er ankündigte, die Transparenz seiner Arbeit zu erhöhen. Dies sei aber absolut nicht die Transparenz, die das VG Köln fordere, so Dierks. Die Hersteller werden auch weiterhin keine weitergehenden Informationen zu G-BA-Entscheidungen erhalten. Der G-BA werde sich darauf berufen, dass die Rechtsfrage noch nicht geklärt sei, so Dierks. Und bis die Gerichte das letzte Wort gesprochen haben, können Jahre vergehen. Dies sei wenig hilfreich, um die Akzeptanz für die G-BA-Beschlüsse zu erhöhen und sie nachvollziehbar zu machen.



AZ 2011, Nr. 11, S. 2

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