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Koalitionsstreit um Gesundheitspolitik spitzt sich zu

BERLIN (lk). Einst schaffte Roland Koch (CDU) mit einer Unterschriftenkampagne gegen das rot-grüne Staatsbürgerschaftsrecht den Sprung auf den Stuhl des hessischen Ministerpräsidenten. Kurz nach Gerhard Schröders (SPD) Wahlsieg kippte damit 1999 die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat. Jetzt versucht die SPD mit einer Unterschriftenaktion gegen die umstrittene Gesundheitsprämie an Rhein und Ruhr die Macht im größten Bundesland zurückzuerobern. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich in Nordrhein-Westfalen Geschichte wiederholt.

Mobil gegen die Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung macht die SPD auch in Internet: Man wolle die Landtagswahl am 9. Mai zu einer Abstimmung über die Kopfpauschale machen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel bei der Vorstellung der Kampagne in Berlin. Die Bürger könnten dort "ein Stoppsignal setzen gegen die Zerstörung des Sozialstaats", indem sie Schwarz-Gelb abwählten und damit die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat veränderten. Viel Werbung in eigener Sache benötigt die SPD dabei nicht. Der eskalierende Streit im Berliner Koalitionslager zwischen Union und FDP und zunehmend auch im Unionslager lenkt die Aufmerksamkeit quasi automatisch auf die Wahlkampfmühlen der SPD.

Seehofer: Kopfpauschale nicht mit mir

Mit lauter politischer Begleitmusik hatte die Regierung vergangene Woche die im Koalitionsvertrag verabredete Kommission eingesetzt, die bis zum Sommer Reformvorschläge erarbeiten soll. Noch am Tag des Kabinettsbeschlusses legte CSU-Chef Horst Seehofer für seine Partei ein Veto ein: "Eine Umstellung der bestehenden, am Lohn orientierten und sozial gerechten Arbeitnehmerbeiträge auf eine Pauschale wird es mit mir nicht geben." Umgehend widersprach CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder: "Wir wollen die Gesundheitsprämie, das haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt." Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne dissonante Töne zur Gesundheitspolitik der Regierungskoalition.

Hauskrach in der CSU

Inzwischen hat sich der Streit zu einem ausgewachsenen Hauskrach in der CSU zwischen München und der Berliner Landesgruppe entwickelt. Ungewöhnlich scharf kritisierte der CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich die Äußerungen aus München unter anderem von Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) als "destruktives Störfeuer". Die ständigen Interviews von "Nichtzuständigen" seien "störend". In der CSU-Landesgruppe gebe es übereinstimmend "durchaus Unmut über die Äußerungen aus Bayern."

FDP: Autorität der Kanzlerin wird beschädigt

Nachvollziehbar wächst auch in der FDP der Ärger: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Gesundheitsminister Markus Söder (beide CSU) beschädigten die Autorität der Kanzlerin, heißt es in einem Beschluss des FDP-Präsidiums. Beide seien aufgefordert, jetzt die öffentlichen Störungen einer konstruktiven Lösungssuche in der Koalition einzustellen, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich bislang vage: In einem ARD-Interview bekannte sie sich nur zu einer "Weiterentwicklung des Systems", ohne sich für oder gegen die umstrittene Pauschale auszusprechen.

Kostendämpfungsmaßnahmen gefordert

In der Sache aber bleibt die CSU beim Nein zur Gesundheitsprämie: Bei den Berliner CSU-Bundestagsabgeordneten gebe es ungeachtet der politischen Stilfragen "große Vorbehalte" gegenüber den Plänen von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), bekräftigte CSU-Landesgruppenchef Friedrich und forderte Rösler wie zuvor schon Seehofer auf, sich um die ungebremst steigenden Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen zu kümmern. Die CSU werde Rösler bei Maßnahmen zur Kostendämpfung "intensiv unterstützen".

Nach wie vor gilt in der CSU die Rechnung von Horst Seehofer. Danach erfordert die Umstellung des Arbeitnehmeranteils von derzeit 7,9 Prozent eine Prämie in Höhe von 145 Euro und einen steuerlichen Sozialausgleich von 21 Milliarden Euro. Laut CSU bedeutet dies, dass die meisten der 20 Millionen Rentner in Deutschland einen Sozialausgleich benötigten. "Die meisten Frauen erhalten 800 Euro und weniger Rente", rechnete Seehofer der Runde im Kanzleramt vor. Selbst wer wie die Mehrheit 1000 Euro Rente monatlich beziehe, benötige einen Sozialausgleich von über 65 Euro im Monat. Eine so wichtige Wählergruppe mehrheitlich von Sozialtransfers abhängig machen, will auch kein CSU-Bundestagsabgeordneter.

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