Sozialmedizin

Überschuldet und krank – die Gesundheitspolitik ist gefragt

15. Armutskongress in Berlin

Bericht von Udo Puteanus

Wie können Ärzte und Apotheker überschuldete Menschen beim Umgang mit Gesundheit und Krankheit unterstützen? Diese Frage diskutierten Teilnehmer des Workshops "Ethik und Monetik – Die Rolle der Heilberufe bei Überschuldung", der am 5. Dezember 2009 in Berlin auf dem 15. Kongress "Armut und Gesundheit" stattfand (siehe auch DAZ 2009, Nr. 51/52, S. 101).

Überschuldete Menschen sind häufiger krank, nehmen aber das Gesundheitssystem weniger in Anspruch. Dies sind zwei wesentliche Ergebnisse einer Studie von Prof. Dr. Eva Münster vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz [1]. Danach leiden acht von zehn überschuldeten Personen zumindest an einer Krankheit, wobei den Betroffenen vor allem psychische Probleme und Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen zu schaffen machen.

Überschuldete sparen bei der Gesundheit

Münster schätzt, dass ca. 6,2 Mio. Menschen in Deutschland mit rund 220 Mrd. Euro überschuldet sind. Dabei kann dieses Schicksal jeden treffen: Arbeitslosigkeit, Trennung vom Partner, Erkrankungen, Unfälle oder Suchtprobleme können Ursachen für eine plötzliche Überschuldung werden. Junge wie ältere Menschen sind betroffen: 48% der Überschuldeten sind unter 40 Jahre alt.

Mittlerweile ist ein kausaler Zusammenhang zwischen Armut und mangelhaftem Gesundheitszustand wissenschaftlich belegt. Die Erkenntnis, dass dies nicht nur für Länder der Dritten Welt, sondern auch für westliche Industrienationen wie die Bundesrepublik Deutschland zutrifft, setzt sich jedoch erst jetzt langsam im Bewusstsein der politisch Verantwortlichen durch.

Münster untersuchte in Zusammenarbeit mit rheinland-pfälzischen Schuldnerberatungsstellen den Gesundheitszustand überschuldeter Menschen. Aufgrund der Zuzahlungen gehen sie im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung sehr viel seltener zum Arzt und lösen ihre Arzneimittelverordnungen in der Apotheke oftmals nicht ein, so die Aussage von zwei Dritteln der befragten überschuldeten Menschen. Die Überschuldungsproblematik führt also zu einer Einschränkung der gesundheitlichen Versorgung.

Schuldnerberater sehen Scham und Schuldgefühle

Susanne Wilkening, Juristin und Beraterin in der Schuldner- und Insolvenzberatung AWO Friedrichshain-Kreuzberg sowie Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung LAG Berlin e.V., berichtete aus der Praxis der Beratungsstelle. Zu ihr komme kaum ein Klient, der frei von Scham und Schuldgefühlen sei. Vielfach führen die psychischen Belastungen durch die Überschuldungssituation zu ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen. In manchen Fällen sei es aber auch umgekehrt, d. h. dass die Krankheitssituation in die Schuldenfalle geführt hat.

Überschuldet zu sein bedeutet nach Wilkenings Erfahrung immer, einem enormen Stress ausgesetzt zu sein, der sich unter anderem aus Selbstvorwürfen, innerfamiliären Konflikten sowie dem Kampf gegen Mahnungen und Zwangsvollstreckungsversuchen ergibt. Insofern sei es nicht verwunderlich, wenn diese Menschen krank werden und dann aufgrund der finanziellen Misere keinen Arzt aufsuchen. Gesundheitsförderung und Prävention bei dieser sozial benachteiligten Personengruppe sei unbedingt notwendig, um die Krankheitslasten möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen.

Problematik ist Heilberuflern nicht bewusst

Florian Schulze vom Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) sowie Dr. Bernhard Winter vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ) gaben zu, dass diese Problematik noch nicht im Bewusstsein der Heilberufe angekommen ist. Ärzte sollten sensibilisiert werden, ob nicht finanzielle Sorgen Ursache für Erkrankungen sein könnten. In Apotheken solle das Personal darauf achten, ob ein Kunde mit Selbstmedikationswünschen aus Kostengründen einen erforderlichen Arztbesuch meidet. Allerdings sagten beide Verbandsvertreter, dass noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vorliegen, ob überschuldete Menschen mehr oder weniger Selbstmedikation betreiben. Einerseits lassen die Schulden kaum Spielräume für die Selbstmedikation, andererseits könnten zumindest einige Überschuldete versuchen, über Schmerz- oder Beruhigungsmittel ohne Arztbegleitung ihre gesundheitlichen Probleme zu lösen.

Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass Überschuldung und Gesundheit weit mehr als bisher ein Thema in der Gesundheitspolitik werden müsse. Wenn die betroffenen Menschen nicht mehr durch das soziale Netz aufgefangen werden, weil Zuzahlungen zu hohe Hürden bedeuten, dann müsse das Thema auf die politische Tagesordnung kommen. VDPP und VDÄÄ wollen in Zukunft verstärkt auf diese Versorgungslücke aufmerksam machen. Da die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehe, sei zu befürchten, dass die Anzahl überschuldeter Menschen – derzeit 6,2 Mio. (s. o.) – weiter zunimmt.

Zusammenarbeit mit Schuldnerberatung nötig

In der Diskussion stimmten alle Teilnehmer darin überein, dass diese Problematik nicht im Alleingang von jedem Arzt oder Apotheker angegangen werden könne. Vielmehr sei es notwendig, das Thema in die politische Diskussion zu holen und über Kammern und Verbände den Berufsangehörigen nahezubringen. Entsprechende Fortbildungen müssten angeboten werden. Arztpraxen und Apotheken könnten z. B. Flyer über die Möglichkeit der Hilfe durch Schuldnerberatungsstellen auslegen. Außerdem müsse in den Schuldnerberatungsstellen auf Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung hingewiesen werden.

In einigen wenigen Beratungsstellen wird bereits auf Hilfen zur Suchtvorbeugung aufmerksam gemacht. Solche Angebote zeigen, dass Schuldnerberatungsstellen für das Thema Gesundheit durchaus offen seien. Es fehle aber noch an ausreichender finanzieller und personeller Unterstützung, um die Angebote flächendeckend zur Verfügung stellen zu können.

 

Fazit:

In die Überschuldung zu geraten ist inzwischen zu einem Massenphänomen geworden. Die gesundheitlichen Folgen werden allerdings bislang nicht ausreichend in der politischen Diskussion thematisiert. Hier wollen sich VDÄÄ und VDPP in Zukunft stärker engagieren.

 


Literatur

 

[1] Münster E, Rüger H, Ochsmann E, Alsmann C, Letzel S. Überschuldung und Zuzahlungen im deutschen Gesundheitssystem – Benachteiligung bei Ausgabenarmut. Gesundheitswesen 2009 Mai 14. www.thieme-connect.de/ejournals/pdf/gesu/doi/10.1055/s-0029-1214397.pdf. 

 


Bericht

 

Dr. Udo Puteanus, Soetenkamp 45, 48149 Münster, udoputeanus@web.de

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