Arzneimittel und Therapie

Anteilnahme statt Mitleid

Wurde früher unter einer palliativen Versorgung die Betreuung des Kranken in seiner letzten Phase vor dem Tod verstanden, so umfasst sie heute die Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen während der kurativen und palliativen Krankheitsdauer. Damit sind auch die Aufgaben der Palliativmedizin gewachsen, die neben der Symptomkontrolle, der Kommunikation und der psychosozialen Betreuung auch die Vermittlung neuer Perspektiven für die Angehörigen umfasst.

Der erste Schritt für eine sinnvolle palliative Begleitung des Kranken und seiner Angehörigen ist das Erkennen der Bedürfnisse und Nöte, die sich auf somatischen, psychischen und sozialen Ebenen äußern, so Prof. Dr. Ulrich Kleeberg, Hamburg. Erst das Bewusstsein und die Sensibilisierung für die ineinander greifenden somatischen, affektiven und kognitiven Interaktionen öffnet das Verständnis für die Betroffenen und schafft die Basis für eine enge multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern, Pflegekräften, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Psychologen, Physiotherapeuten und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Das gemeinsame Ziel ist der Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen. Eine Entlassung nach Hause oder in eine pflegerische Einheit wie etwa in ein Hospiz wird angestrebt. Derzeit stirbt allerdings noch immer die Mehrzahl der palliativ betreuten Patienten in einem Krankenhaus, bei Tumorpatienten sind es rund 70%.

Qualität statt Beliebigkeit

Die Wahl der palliativen Therapie muss sich an evidenzbasierten Vorgaben ausrichten. Das systematische Vorgehen wird allerdings durch Überlagerung affektiver (Hoffnungslosigkeit, Angst, Zorn, Hilflosigkeit, Aversivität) und kognitiver (Aufmerksamkeit, Bewertung, Antizipation, Selbstkontrolle) Faktoren erschwert. Die klinische Situation sollte in einem ersten Schritt abstrakt bewertet werden, um die äußere Evidenz zu gewinnen. Dem schließt sich die Beurteilung der inneren Evidenz an, in die individuelle Bedürfnisse der Betroffenen einfließen. Die eingeleitete Therapie hängt vom angestrebten Ziel – Lebensverlängerung oder Lebensqualität – ab und kann auch in der späten Phase eine kausale zytotoxische Maßnahme sein. Zu beachten ist in jedem Fall, dass sich kausale Therapien und palliative Intentionen ergänzen. Wichtige Pfeiler sind hierbei

  • die Symptomkontrolle (Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Luftnot, Unruhe, Angst, Depressionen, Ernährungstherapie)
  • die Kommunikation
  • die psychosoziale Betreuung
  • die spirituelle Begleitung
  • die Sterbebegleitung und Betreuung der Angehörigen in der Trauerzeit.

Jede Betreuung sollte mit Anteilnahme, aber nicht mit Mitleid begleitet sein, da "Anteilnahme stimuliert, Mitleid erschöpft". Auch angesichts eines nahen Todes müssen für Patient und Angehörigen Perspektiven eröffnet werden.

"Es ist die vornehmste Pflicht des Arztes, Kardinalsymptome des menschlichen Leidens wie Schmerz, Angst, Atemnot, Unruhe und Durst prompt und dauerhaft zu lindern sowie den Sterbenden Trost und Erleichterung und Erhebung des Gemütes zu verleihen."


C.W. Hufeland (1762 – 1832)

Sorge für die Angehörigen

Die palliative Betreuung schließt die Angehörigen mit ein, auf denen vor allem in der letzten Lebensphase des Kranken eine hohe Belastung ruht. Trotz umfassender Aufklärung fühlt sich die Mehrzahl der Angehörigen nicht ausreichend auf den Tod ihres Familienmitgliedes vorbereitet, zumal das Sterben unterschiedlich verlaufen kann. Nur etwa 40% der Sterbenden erfahren ein für uns als natürlich empfundenes Sterben, das über Schläfrigkeit, Lethargie, Somnolenz zum Koma und schließlich zum Tod führt. In den anderen Fällen treten vor dem Koma Unruhe, Verwirrtheit, Schmerzen, Halluzinationen, Delirien, Myoklonien und Krampfanfälle auf, die nur teilweise ambulant gelindert werden können. Das Gefühl, die Verantwortung für die letzten Lebenstage des Kranken zu übernehmen, ist für viele Angehörige nicht tragbar. Dies spiegelt sich unter anderem in einem hohen Depressionsrisiko und in einem erhöhten Mortalitätsrisiko für die Pflegenden wider.


Quelle

Prof. Dr. Ulrich Kleeberg, Hamburg: "Ziele und Aufgaben der Palliativmedizin", Hamburg, 29. Januar 2010, 18. onkologisch-pharmazeutischer Fachkongress (NZW).


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Curriculum Palliativpharmazie


Laut Sozialgesetzbuch haben gesetzlich versicherte Patienten einen Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). In vielen Verträgen, die derzeit zwischen der GKV und Palliativ-Care-Netzwerken geschlossen werden, sind Apotheker als Kooperationspartner vorgeschrieben. Von der Bundesapothekerkammer und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin wurde ein Curriculum Palliativpharmazie entwickelt, das in einigen Bundesländern bereits als Zertifikats-Fortbildung angeboten wird. Es umfasst 40 Stunden und eine dreitägige Hospitation in einer palliativmedizinischen oder palliativpflegerischen Einrichtung.


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