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Medikamente nicht mehr mit der Schrotflinte verteilen

BERLIN (lk). In den USA ist der Gesundheitsdienstleister Medco mit über 60 Mrd. Euro Umsatz der unangefochtene Marktführer. Jetzt will der Medizingigant sein Geschäftsmodell an der Seite von Celesio über den Atlantik exportieren. Mit Macht drängt das Gemeinschaftsunternehmen Medco Celesio auf den deutschen Markt und will mit seinen Home-Care-Geschäftsmodellen auch den Apothekensektor umkrempeln: "Wir müssen zunächst einen Fuß in die Tür bekommen", kündigte David Snow, Chef des US-Pharmariesen, kürzlich in einem Interview mit dem Handelsblatt eine Marktoffensive an.
In Deutschland Fuß fassen will das Gemeinschaftsunternehmen Medco Celesio mit einem Home-Care-Geschäftsmodell. Medco Celesio-Chef David B. Snow plant für den Aufbau etwa fünf Jahre.
Foto: Medco Celesio

Den Apotheken in Deutschland warf Snow vor, aus Furcht vor neuen Entwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt "Angst" zu verbreiten: "Es ist immer so: Sobald eine Firma mit einer fortschrittlichen Technologie auf den Markt kommt, fürchten sich jene, die ihr Geschäft nach den alten Regeln betreiben. Ihre Reaktion ist, dass sie Angst verbreiten. Ich bin sehr dafür, unsere Kunden entscheiden zu lassen."

Export aus den USA

In den USA setzt Medco bereits auf integrierte Versorgungsmodelle vom Arzneimittelhersteller bis zum Patienten. Dieses Geschäftsmodell will Medco in einer Kooperation mit Celesio nach Deutschland exportieren: "Ich erwarte, dass wichtige medizinische Informationen in einem System verdrahtet sind und zum Wohle des Patienten ausgewertet und kommuniziert werden. Die Zeit, in der Medikamente mit der Schrotflinte verteilt werden, geht zu Ende. Wir steuern auf eine Ära der Präzisions-Medizin zu, und Medco führt diese Bewegung an. Wir arbeiten mit spezialisierten Apothekern, wir verfügen über eine Menge Technologie sowie über viel Logik beim Aufbau evidenzbasierter Therapie- und Verschreibungsauswertungen. Dieses Know-how werden wir nach Europa exportieren."

Was das im Detail bedeutet, brachte Max Müller, Celesios Lobbyist in Berlin und Vice President External Affairs & Communication von Medco Celesio, auf der Handelsblatt Jahrestagung Health auf den Punkt: "Die beste Pille kann nicht wirken, wenn der Patient sie nicht nimmt." Die Netze der Versorgung vor allem von chronisch Kranken seien nach wie vor lückenhaft, nicht optimiert. Müller: "Wir müssen mit den Patienten kommunizieren. Das ist eine Aufgabe für Celesio." Nach dem Vorbild USA sollen bald auch Patienten in Deutschland per SMS oder E-Mail täglich mehrmals daran erinnert werden, ihre Arzneimittel pünktlich einzunehmen.

Denn, so das Medco Celesio Geschäftsmodell: Therapietreue hilft nicht nur die Gesamtkosten von Chronikern zu senken, der Anteil der Arzneimittel an den Gesundheitskosten steigt gleichzeitig und das nicht nur proportional, sondern auch in absoluten Zahlen. Seine Strategie stützt Medco auf Daten der OECD: Mit 77 Prozent der Gesundheitskosten sind chronische Krankheiten der stärkste Kostentreiber in Europa. Allein in Deutschland gibt es laut Max Müller bis zu 13 Millionen Diabetes Typ 2-Erkrankte. Tendenz steigend: "Denn immer mehr junge Menschen leiden an Diabetes."

Durch bessere Therapietreue sparen

In den USA verursachen laut Medco Menschen mit chronischen und komplexen Erkrankungen rund 96 Prozent der Medikamentenausgaben und 75 Prozent aller Gesundheitskosten. Aber nur die Hälfte dieser Patienten verhält sich therapietreu. Darin steckt ein enormes Sparpotenzial: Kosten in den USA therapieuntreue Diabetespatienten jährlich knapp 9000 Dollar sinken die Kosten bei einer Therapietreue von über 80 Prozent auf unter 4600 Dollar, weil Folgeerkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere Krankenhausaufenthalte entfallen. Obwohl unterm Strich die Gesamtkosten sinken, vervierfachen sich aber die Ausgaben für Arzneimittel.

Mit integrierten Versorgungsstrukturen ließen sich im Gesundheitswesen Milliardenbeträge einsparen, so die frohe Botschaft Snows an die Adresse aller geplagten Gesundheitsminister, in den USA bis zu 350 Mrd. Dollar. In Euro gebe es ein vergleichbares Einsparpotenzial, schätzt Max Müller: "200 bis 300 Mrd. Euro."

Eine Frage der Datenhoheit

Doch noch hat Medco Celesio ein Problem: Wer per SMS, Telefon oder E-Mail Patienten an die Einnahme von Arzneimitteln erinnern will, benötigt seine Daten. Und die sind nicht auf der Straße zu finden, sondern stecken vor allem in den Computern der Krankenkassen. Dort liegt der Schlüssel für den Erfolg des Geschäftsmodells versteckt – noch. Überzeugungsarbeit und Geduld sind daher gefragt.

Fünf-Jahres-Plan

Fünf Jahre will sich Medco Zeit lassen, um auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Snow: "Es wird fünf Jahre dauern, um Vertrauen aufzubauen und zu zeigen, dass es funktioniert." Erste Schritte sind aber bereits getan. Snow: "Der Versicherer BIG hat bereits unterzeichnet, und wir haben vier, fünf andere Krankenversicherungen, mit denen die Verhandlungen weit vorangeschritten sind. Ich erwarte, dass wir sie bis Jahresende unter Dach und Fach haben."

Lücken identifizieren und schließen

Was die Marktoffensive von Medco Celesio für die Apothekenlandschaft in Deutschland bedeutet, lässt sich nur zwischen den Zeilen erahnen: "Wir wollen die Lücken in der pharmazeutischen Versorgung identifizieren und schließen", verkündete Max Müller auf der Handelsblatt-Tagung. Unter dem Stichwort "Mail Order Pharmacy" hat Medco Celesio seine Vorstellungen zur Patientenversorgung der Zukunft aufgeschrieben: "Effiziente Distribution durch innovative Liefersysteme, Versandapotheken als Ergänzung der Präsenzapotheken, telefonische Betreuung rund um die Uhr, pharmazeutische Betreuung, Beratung und Programme für Patienten mit chronischen Erkrankungen" – alles Aufgaben, die derzeit auch Apotheken erfüllen.

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