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Der Fuß in der Tür

Peter Ditzel

Während wir sorgenvoll aufs neue Jahr starren, aufs AMNOG und seine Folgen, auf schwindende Großhandelsrabatte, steigende Kassenzwangsrabatte, Rabattverträge und auf die veränderte Packungsgrößenverordnung, bereiten Konzerne neue Strukturen für die Zukunft im Gesundheitswesen vor, die vermutlich weit folgenschwerer sein werden als das, was wir derzeit erleben. Diese neuen Strukturen könnten unser heutiges Gesundheitssystem und seine bewährten Versorgungswege vollkommen infrage stellen und verändern – auch und gerade im Apothekenbereich. Ob es dann noch die vollversorgenden Apotheken gibt und vor allem flächendeckend wie heute, darf bezweifelt werden.

Es begann vor zwei Jahren: Eine der weltgrößten Versandapotheken und Gesundheitsdienstleister, Medco Health Solutions, übernahm die Mehrheit an der niederländischen Versandapotheke Europa Apotheek. Nach eigenen Angaben macht Medco heute einen Umsatz von mehr als 60 Milliarden US-Dollar. Dieser Coup war der erste Schritt der US-amerikanischen Krake auf den deutschen Markt. Alarmglocken waren kaum zu hören, obwohl sie hätten schrillen müssen. Denn die Europa Apotheek (und seit damals somit Medco) ist Partner-Apotheke für die Drogeriemärkte von dm und ihren Pick-up-Stellen. Mit diesem strategischen Schritt gewann Medco einen attraktiven Zugang auf den deutschen Markt – nach Ansicht von Medco einer der am schnellsten wachsenden Arzneimittelmärkte in Europa und damit für Unternehmen wie Medco besonders interessant. Damit nicht genug. Die Europa Apotheek – und damit Medco – übernahm im Februar dieses Jahres zusätzlich die deutsche, in Mönchengladbach ansässige Versandapotheke shop-apotheke.com – und ist damit nun auch unmittelbar im deutschen Markt angekommen.

Dieser Schritt muss für den deutschen Pharmahandelskonzern Celesio ein Warn- oder Startsignal gewesen sein, dieses Feld nicht Medco zu überlassen. Da das EuGH-Urteil im vergangenen Jahr die Hoffnung auf Fremd- und Mehrbesitz bei Apotheken zunichte machte, musste Ausschau gehalten werden nach anderen Wachstumsbereichen im Gesundheitsmarkt. Der Ausbau der Franchisekette DocMorris in Deutschland, der Aus- und Aufbau der Marke DocMorris in anderen Ländern (mit und ohne Fremd- und Mehrbesitz) ist die eine Stoßrichtung von Celesio. Die andere Richtung ist die Konzentration auf pharmazeutische Dienstleistungen am Patienten gemeinsam in einem Joint Venture mit Medco. Da auch Medco viel mehr als nur eine Versandapotheke ist, lag es für Celesio nahe, im US-amerikanischen Unternehmen nicht den Gegner zu sehen, sondern einen Partner: Im Juni dieses Jahres wurde die Medco Celesio B.V. mit Sitz in Amsterdam gegründet, das Kartellamt hat im August zugestimmt. Wie Pressemitteilungen zu entnehmen war, will sich das Unternehmen auf "innovative, sektorübergreifende pharmazeutische Dienstleistungen für Patienten mit chronischen oder komplexen Erkrankungen wie Diabetes, Asthma, hohen Cholesterinwerten und Herzerkrankungen konzentrieren". Ziel sei es, die Therapietreue der Patienten zu erhöhen und die Versorgung durch mehrere Leistungserbringer zu integrieren. Vorgesehen sei auch eine Zusammenarbeit der Versandapotheken beider Muttergesellschaften (Europa Apotheek und DocMorris). Das neue Unternehmen soll nach und nach in weiteren europäischen Märkten aktiv werden, ein wichtiger strategischer Schritt für Celesio und Medco "für einen beschleunigten Eintritt in neue Märkte mit hohem Wachstumspotenzial", hieß es im Juni.

Noch im gleichen Monat zeigte sich die Direktkrankenkasse "Big direkt" als erste Krankenkasse interessiert an den Dienstleistungen der Medco Celesio B.V. Kein Wunder, arbeitet sie doch bereits mit der Europa Apotheek zusammen und bietet ihren Versicherten einen Bonus auf rezeptpflichtige Arzneimittel, "das heißt, man kann zwischen 2,50 und 15 Euro einsparen, auch wenn man befreit ist", so das Angebot auf der Website. Medco Celesio bietet den Kassen eine "neue Dienstleistung" an mit dem klangvollen Namen "Advanced Clinical Solutions". Mit dieser Dienstleistung soll die Fehlversorgung in der Arzneimitteltherapie aufgedeckt und behoben werden. Ziel seien therapietreue und damit gesündere Patienten, die den Kostenträgern unnötige Mehrkosten ersparen.

Wie Medco-Chef David Snow in der vergangenen Woche bekräftigte, will man mit diesen Aktivitäten einen Fuß in die Tür zum deutschen Gesundheitsmarkt bekommen. Einem Interview im Handelsblatt war zu entnehmen, dass er mit Home-Care-Geschäftsmodellen auch den Apothekensektor umkrempeln will. Mit integrierten Versorgungsstrukturen ließen sich im Gesundheitswesen Milliardenbeträge einsparen durch mehr Therapietreue (neuerdings Adherence genannt) und einen früheren Zugang zu neuen Arzneimitteln für die Patienten. Integrierte Medco-Versorgungsmodelle vom Arzneimittelhersteller bis zum Patienten könnten dies leisten. In Kooperation mit Celesio möchte man diese Modelle auf den deutschen Markt bringen. Big direkt hat bereits unterschrieben, mit anderen Krankenversicherungen stehe man bereits in Verhandlung. Solche Konzerne wollen direkt an den Hersteller und an den Patienten. Welchen Platz hier die Vor-Ort-Apotheke einnehmen kann, dürfte klar sein: keinen.


Peter Ditzel

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