Arzneimittel und Therapie

Suizidgefahr unter der Therapie mit Ziconotid

Der Wirkstoff Ziconotid (Prialt®), das synthetisch hergestellte Gift der Meeresschnecke Conus magus, wurde bei seiner Einführung 2006 als sichere Alternative zu Morphin gefeiert. Jetzt gerät es zunehmend in Verdacht, bei Patienten Suizide auszulösen. Ziconotid ist zur Behandlung von starken, chronischen Schmerzen bei Erwachsenen angezeigt, die eine intrathekale Analgesie benötigen.

Bochumer Schmerzforscher vermuten, dass Ziconotid nicht nur die Weiterleitung von Schmerzreizen hemmt, sondern dabei auch die Stimmung verschlechtern und gleichzeitig Ängste und Impulskontrolle reduzieren könnte. Diese Mechanismen könnten bei Gefährdeten Suizide begünstigen. Die Forscher raten deshalb zu sorgfältiger Diagnostik und Überwachung des psychischen Zustands der mit Ziconotid behandelten Patienten.

Alternative zu Opioiden

Ziconotid ist ein synthetisches Analogon eines Conopeptids, das sich im Gift der marinen Kegelschnecke Conus magus findet. Es handelt sich um einen N-Typ-Calciumantagonisten, der die Freisetzung von Neurotransmittern in speziellen neuronalen Populationen reguliert, die für die spinale Verarbeitung von Schmerz verantwortlich sind. Durch die Bindung an diese neuronalen spannungsabhängigen Calciumkanäle vom N-Typ inhibiert Ziconotid den spannungssensitiven Calciumeinstrom in die primären nozizeptiven afferenten Nerven, die in den oberflächlichen Schichten des Hinterhorns des Rückenmarks enden. Dadurch wird wiederum deren Freisetzung von Neurotransmittern (einschließlich Substanz P) und damit die Rückenmarksignalisierung von Schmerz gehemmt. Ziconotid verursacht keine opioid-typischen Nebenwirkungen wie Atemdepression und führt nicht zur Gewöhnung, zur Toleranzentwicklung. Seit 2006 ist es auf dem europäischen und amerikanischen Markt und wird über Schmerzmittelpumpen über einen Epiduralkatheter kontinuierlich rückenmarksnah (intrathekal) bei Patienten eingesetzt, bei denen Opioide nicht ausreichend wirken oder inakzeptable Nebenwirkungen auslösen.

Psychische Nebenwirkungen

Seit einiger Zeit jedoch mehren sich Berichte über psychische Nebenwirkungen von Ziconotid. Die Bochumer Forscher analysierten mehrere Studien und förderten auch mehrere Fälle von Suizidversuchen zutage, die die Originalautoren damals aber nicht der Behandlung mit Ziconotid anlasteten. Jetzt stellen die Bochumer Mediziner zwei neue Fälle vor, die den Verdacht erhärten, dass Ziconotid Suizidgedanken verstärkt.

Suizid trotz Behandlungserfolg

Der erste Fall sei besonders tragisch, weil ein Patient, der seit Jahren Schmerzen in den Füßen und zahlreiche erfolglose Behandlungsversuche hinter sich hatte, durch Ziconotid erstmals eine deutliche Besserung seiner Schmerzen erlebt hatte, berichtet Prof. Dr. Christoph Maier, Leiter der Schmerzambulanz Klinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum. Nebenwirkungen traten nicht auf.

Tests ergaben, dass unter der Behandlung mit Ziconotid seine Depressivität, die schon vor Behandlungsbeginn nicht sehr ausgeprägt war, sogar noch sank. Nach gut drei Wochen machte er auf alle einen ausgeglichenen Eindruck, beging aber zwei Monate nach dem Beginn der Behandlung mit Ziconotid überraschend Suizid.

Kausaler Zusammenhang möglich

Eine andere Patientin, 39 Jahre alt und seit 14 Jahren Rückenschmerzpatientin, hatte vor 20 Jahren depressive Phasen und einen Suizidversuch nach einer Schwangerschaft hinter sich. Zwei Monate nach dem Beginn der Behandlung mit Ziconotid – das sie nach aktuellen Empfehlungen wegen ihrer Vorgeschichte gar nicht hätte erhalten dürfen – berichtete sie über verstärkte Suizidgedanken. Außerdem klagte sie über weitere psychische Nebenwirkungen mit Halluzinationen, Verwirrtheit, die zu zwei schweren Autounfällen geführt hatte, und teilweisen Gedächtnisverlust. Möglicherweise hatten diese Unfälle ebenfalls suizidalen Charakter. Die Mediziner setzten die Ziconotidgaben aus. Zwei Wochen später waren die Suizidgedanken ebenso wie die Halluzinationen verschwunden.

"Beide Fälle stützen die Vermutung, dass es zwischen Ziconotid und Suizidneigung einen kausalen Zusammenhang gibt", folgerte Maier und fordert: "Hersteller und Zulassungsbehörden sollten das dringend noch einmal überprüfen."

Alle Patienten sollten vor Behandlungsbeginn sorgfältig auf psychische Störungen untersucht und während der Behandlung engmaschig kontrolliert werden, unabhängig von einer Schmerzlinderung durch das Arzneimittel.


Quelle

Maier, C., et al.: Increased risk of suicide under intrathecal ziconotide treatment? – A warning. PAIN 2010, Online-Publikation doi:10.1016/j.pain.2010.10.007.

hel

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