Arzneimittel und Therapie

Behandlung von Asthmatikern mit Tiotropium untersucht

Das lang wirksame Anticholinergikum Tiotropiumbromid (Spiriva®) ist in Deutschland zur Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zugelassen. Kürzlich hat eine amerikanische Studie untersucht, ob sein Einsatz auch Asthmapatienten, deren Erkrankung unter inhalativen Steroiden allein nur unzureichend kontrolliert ist, Vorteile bringen kann.

Bei der Behandlung des Asthma bronchiale wird ein Vorgehen nach Stufenplan (Stufe I bis IV) empfohlen. Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. Als Bedarfsmedikation zur Erweiterung der Atemwege werden auf jeder Stufe kurz wirksame β2 -Sympathomimetika ("Reliever") empfohlen. Ab Stufe II kommen zusätzlich inhalative Glucocorticoide zur Kontrolle der chronischen Entzündung ("Controller") in ansteigender Dosierung zum Einsatz. Wenn bei einem Patienten keine ausreichende Kontrolle der Symptome mehr erzielt werden kann, erfolgt ein Übergang auf die nächsthöhere Stufe.

Wirksamkeit von Tiotropium untersucht

Die Studie sollte bei Patienten, deren Symptome unter niedrig dosierten inhalativen Steroiden ungenügend kontrolliert waren, zwei Hypothesen testen. Zum einen wurde untersucht, ob eine Zugabe von Tiotropium einer Verdoppelung der Steroiddosis überlegen ist. Zum anderen prüfte die Studie, ob Tiotropium, zusätzlich zur Standardtherapie verabreicht, dem Zusatz eines lang wirksamen β2-Sympathomimetikums (LABA) nicht unterlegen ist.

FEV1 und PEF


 

Neben den Symptomen und der Häufigkeit der Asthma-Beschwerden werden zwei weitere Werte für die Lungenfunktion herangezogen, um den Schweregrad zu beurteilen: das FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen in 1 Sekunde) und der PEF (peak expiratory flow).

FEV1 entspricht der Menge Luft, die man maximal in einer Sekunde ausatmen kann;

PEF ist der maximale Atemstrom bei der Ausatmung, gemessen in Liter pro Minute.

Primärer Endpunkt war die morgendliche Peak-flow-Rate (peak expiratory flow, PEF). Zu den sekundären Endpunkten zählten die Einsekundenkapazität (FEV1) vor Bronchospasmolyse, die Zahl der Tage, an denen die Patienten keine zusätzliche Medikation benötigten und die Notwendigkeit medizinischer Nothilfemaßnahmen.

210 erwachsene Asthmapatienten, bei denen mit dem inhalativen Steroid Beclometason keine Symptomkontrolle erzielt werden konnte, wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die Patienten der ersten und zweiten Gruppe behandelte man für jeweils 14 Wochen zusätzlich mit dem lang wirksamen β2-Sympathomimetikum Salmeterol (zweimal täglich 50 µg) oder dem Anticholinergikum Tiotropium (morgens 18 µg). In der dritten Gruppe verdoppelte man die Dosis des Steroids von 80 µg/Tag (2 Sprühstöße à 40 µg) auf 160 µg/Tag (2 Sprühstöße à 80 µg). Die Studie wurde als dreiarmige, doppelblinde, Triple-dummy-Studie im Cross-over-Design durchgeführt, das heißt, allen Patienten wurden alle drei Behandlungen zuteil.

Zwischen die Behandlungszyklen waren zweiwöchige Wash-out-Phasen geschaltet, in denen die Patienten nur niedrig dosiertes Beclometason anwendeten.

Bezüglich des primären Endpunktes war die Tiotropium-Therapie einer Verdoppelung der Steroiddosis signifikant überlegen: Die Unterschiede im morgendlichen PEF lagen im Mittel 25,8 l/min höher (p < 0,001). Auch bei den sekundären Endpunkten zeigte sich eine signifikante Überlegenheit, so beispielsweise beim FEV1 (Differenz 0,10 l, p = 0,004), beim abendlichen PEF (Differenz 35,3 l/min, p < 0,001) oder der Zahl der asthmafreien Tage (Differenz 0,079, p = 0,01).

Im Vergleich mit Salmeterol war Tiotropium in allen Endpunkten nicht unterlegen. Der morgendliche PEF lag unter Tiotropium 6,4 l/min höher (p = 0,26), beim abendlichen PEF betrug die Differenz 10,6 l/min (p = 0,05). Das Anticholinergikum steigerte die prä-bronchodilatatorische FEV1 der Steroidtherapie stärker als Salmeterol (Differenz 0,11 l, p = 0,003).

Minimale Unterschiede bei Nebenwirkungen

Bezüglich der Nebenwirkungen waren Salmeterol und Tiotropium gleichwertig. Unter dem Anticholinergikum traten etwas häufiger Asthmaexazerbationen auf (9 vs. 5 Patienten). Bezüglich der Zahl der Exazerbationen, die eine orale Steroidtherapie erforderten (7 vs. 5 Patienten) und bei den ungeplanten Arztbesuchen (2 vs. 2 Patienten) oder Notfallaufnahmen (2 vs. 1 Patient) waren die Unterschiede jedoch minimal.

Risikosignal in Fachinformation aufgenommen

In der EU ist Tiotropium in zwei Zubereitungen zur Inhalation zugelassen: als Pulver (Spriva® 18 µg Kapseln) und als Lösung in einem neuartigen Inhalationsgerät (Spiriva® Respimat® 2,5 µg).

In die Fachinformation von Spiriva® Respimat® wurde kürzlich ein Hinweis auf das Risiko einer erhöhten Sterblichkeit – insbesondere für kardial vorgeschädigte Patienten und solche mit Herzrhythmusstörungen – aufgenommen, das sich in drei Einjahresstudien speziell bei dieser Darreichungsform gezeigt hatte. Der Hersteller Boehringer Ingelheim führt zurzeit weitere Studien zu Sicherheit der beiden Zubereitungen durch, Ergebnisse werden für 2013 erwartet.


[Quelle: arznei-telegramm Nr. 11/2010, S. 118]

Die Autoren schlussfolgerten aus den Ergebnissen der Studie, dass eine Behandlung mit Tiotropium zusätzlich zu inhalativen Corticosteroiden einer entsprechenden Salmeterol-Therapie gleichwertig zu sein scheint. Ihrer Ansicht nach rechtfertigen diese Ergebnisse größere Studien mit längeren Beobachtungszeiten, da die Zahl der Patienten noch zu gering war, um klinische Konsequenzen daraus ableiten zu können.

Auch Kommentatoren der Studie wie Lewis J. Smith von der Northwestern University Chicago halten weitergehende Untersuchungen für wichtig. Er berichtet, dass einige Lungenärzte bereits damit begonnen hätten, LABAs wie Salmeterol oder Formoterol durch Tiotropium zu ersetzen, wenn die Symptome durch niedrigdosierte Glucocorticoide schlecht kontrollierbar waren. Dieses Vorgehen müsse noch durch zusätzliche Studien untermauert werden.

Quelle Peters, SP, et al.: Tiotropium bromide step-up therapy for adults with uncontrolled asthma. N Engl J Med (2010) 363: 1715 – 1726. Smith, LJ: Anticholinergis for patients with asthma? N Engl J Med (2010) 363: 1764 – 1765. Curfman, GD, et al.: Products at risk. N Engl J Med (2010) 363: 1763.

 


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
 

Kommentar

Tiotropium als neue Therapieoption für Asthmatiker?


Zu nebenstehender Studie baten wir den Lungenfacharzt Prof. Dr. med. Dieter Köhler, Ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, Schmallenberg, um einen Kommentar. Uns interessierte vor allem die Frage, ob nach den Ergebnissen dieser Studie Tiotropium in Zukunft eine Therapieoption für Asthmatiker sein könnte.

Nach meinen Erfahrungen benötigen Asthmatiker dauerhaft keine Anticholinergika wie Tiotropiumbromid. Schaut man sich die Daten der Studie von Peters et al. genauer an, so kommt man zu der Vermutung, dass darin keine "reinen" Asthmatiker untersucht wurden. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 42 Jahren, das ist untypisch für Asthma. Außerdem hatten die Teilnehmer dauerhaft erniedrigte FEV1 -Werte, um die 70% des Sollwertes. So etwas sieht man nur bei COPD. Fast alle Asthmatiker haben normale FEV1 -Werte, wenn sie inhalative Steroide in ausreichend hohen Dosen inhalieren, denn Behandlungsziel ist es ja, dass sie keine Einschränkung in der Lungenfunktion haben. Ich glaube daher, dass es sich bei den Patienten dieser Studie um Asthmatiker mit zusätzlicher COPD handelt, was nicht selten vorkommt. Dazu passt auch die relativ geringe Reversibilität und das Ansprechen auf Tiotropiumbromid. Mit einer Zahl von 210 Patienten war die Studie zudem zu klein, um daraus Schlussfolgerungen für eine generelle Therapieempfehlung für Asthmatiker ableiten zu können. Dafür sind umfangreichere Untersuchungen an breiteren Patientengruppen mit längeren Beobachtungszeiten notwendig.


Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Ärztlicher Direktor
Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft GmbH
57392 Schmallenberg

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