Arzneimittel und Therapie

Allergische Hautreaktionen: von harmlos bis tödlich

Allergische Reaktionen auf Arzneimittel treten bevorzugt an der Haut auf. Die häufigsten Manifestationen sind Ekzeme und Urtikaria; schwere Ereignisse wie das Stevens-Johnson-Syndrom oder die toxische epidermale Nekrolyse sind sehr selten. Prof. Dr. Hans Merk, Aachen, und Prof. Dr. Johannes Weiss, Ulm, erläuterten beim diesjährigen Heidelberger Herbstkongress pathophysiologische Grundlagen und Krankheitsbilder allergischer Reaktionen.

Allergische Reaktionen werden in vier Typen unterschieden:

Reaktionen vom Soforttyp (Typ 1)

Reaktionen vom zytotoxischen Typ (Typ II)

Immunkomplex-bedingte Reaktionen (Typ III)

zellulär vermittelte allergische Reaktionen (Typ IV).

Allergische Reaktionen auf Arzneimittel können verschiedene Organsysteme betreffen, besonders häufig ist die Haut in Mitleidenschaft gezogen. Die hohe immunologische Reaktionsfähigkeit der Haut wird folgendermaßen erklärt: Im Stratum spinosum befinden sich viele Antigen-präsentierende dendritische Zellen. Ferner ist die Haut als Grenzorgan zahlreichen Einflüssen ausgesetzt, so dass sie zur Abwehr ständig pro-inflammatorische Mediatoren bildet, die wiederum Immunantworten begünstigen.

Abhängig vom auslösenden Agens können unterschiedliche Manifestationen auftreten. Diese lassen sich in vielen Fällen einem allergischen Reaktionstyp zuordnen. So werden etwa Kontaktekzeme oder Arzneimittelexantheme durch Reaktionen vom Typ IV hervorgerufen, und das Auftreten einer Urtikaria nach der Gabe von Beta-Laktam-Antibiotika wird dem Typ I zugeordnet.

Allergische Reaktionen auf Arzneimittel

Bei allergischen Reaktionen auf Arzneimittel unterscheidet man

  • On-target-Wirkungen und
  • Off-target-Wirkungen.

Erstere werden durch die Eigenschaften des Arzneimittels hervorgerufen, die Letzteren beruhen zusätzlich auf einer persönlichen Disposition des Patienten. Das heißt also, dass das Auftreten allergischer Reaktionen von mehreren Faktoren abhängen kann und bestimmte individuelle Kriterien die Wahrscheinlichkeit einer allergischen Reaktion erhöhen (siehe Kasten "Risikofaktoren für Arzneimittelallergien").

Kutane Manifestationen einer Arzneimittelallergie treten bevorzugt nach der Gabe von Antibiotika (Amoxicillin, Ampicillin, Co-trimoxazol, semi-synthetischen Penicillinen, Cephalosporinen, Gentamycin) auf. Dies wirft die Frage auf, ob auch die zugrunde liegende Erkrankung ein Risikofaktor für die Manifestation einer allergischen Arzneimittelreaktion ist. Diese Vermutung bestätigt die sogenannte Danger-Hypothese. Diese besagt, dass die Auseinandersetzung des Immunsystems mit einem Agens – in diesem Fall mit Bakterien – Überempfindlichkeitsreaktionen begünstigt. Hinzu kommt, dass Entzündungsfaktoren die Aktivität von T-Lymphozyten fördern.

Risikofaktoren für Arzneimittelallergien

  • Autoimmunerkrankungen
  • nach Knochenmarktransplantationen
  • Epstein-Barr-Virus-Infektionen
  • HIV-Infektionen

Individuelle Risikofaktoren für die Manifestation einer allergischen Erkrankung sind in einzelnen Fällen bereits bekannt. So kann etwa bei Vorliegen einer bestimmten HLA-Struktur nach der Gabe des HIV-Mittels Abacavir eine schwere allergische Reaktion auftreten. Dieser Tatsache wird Rechnung getragen, und vor einer Behandlung mit Abacavir muss eine HLA-Genotypisierung vorgenommen werden, um Risikopatienten von der Therapie mit Abacavir auszuschließen.

Häufig: Exantheme oder Urtikaria

Die meisten allergischen und pseudo-allergischen Reaktionen auf Arzneimittel – insbesondere auf kleine molekulare Substanzen – manifestieren sich an der Haut. Im Vordergrund steht dabei das Arzneimittelexanthem (makulös und makulopapulös), gefolgt von Urtikaria. Ferner können Angioödeme, Rhinitis, Asthma und im Extremfall ein anaphylaktischer Schock auftreten.

Die Voraussetzung für das Auftreten einer Arzneimittelallergie ist eine bereits erfolgte Sensibilisierung, so dass allergische Reaktionen vom Spättyp meistens erst acht bis zwölf Tage – unter Umständen erst Wochen – nach einer Erstexposition auftreten. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten spielen Mastzellen und basophile Zellen, die über Rezeptoren für IgE verfügen, eine wichtige Rolle. Nach der Bindung des Antigens an IgE-Moleküle werden Entzündungsmediatoren wie Histamin, Derivate der Arachidonsäure, Zytokine und Proteasen freigesetzt, die dann das klinische Bild einer Allergie hervorrufen.

Selten: schwere kutane Hautreaktionen

Die meisten kutanen Reaktionen sind harmlos und klingen nach Absetzen des Arzneimittels von selbst wieder ab. Es können jedoch auch schwere Symptome bis hin zum anaphylaktischen Schock oder lebensbedrohliche Hautmanifestationen auftreten.

Darunter fallen das

Hypersensitivitätssyndrom (DRESS; Drug Rash with Eosinophilia and Systemic Symptoms). Dieses ist zu Beginn der Erkrankung nicht von einem Arzneimittelexanthem zu unterscheiden; es weist jedoch eine längere Latenzzeit auf und die ersten Hautsymptome zeigen sich frühestens zwei bis acht Wochen nach der Arzneimitteleinnahme. Neben der Haut sind auch andere Organe betroffen. Es kommt zu Fieber, hämatologischen Veränderungen, Erhöhung der Transaminasen und einer Reaktivierung von Viren. Ein Hypersensitivitätssyndrom kann z. B. nach der mehrwöchigen Einnahme von Carbamazepin auftreten.

Das Stevens-Johnson-Syndrom. Im Vordergrund stehen erosive Schleimhautläsionen. Die Hautoberfläche ist zu weniger als 10% betroffen. Die häufigsten Auslöser sind Allopurinol, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Co-trimoxazol.

Die akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP). Sie ist durch eine akute Manifestation innerhalb weniger Tage nach der Arzneimittelexposition und durch das Auftreten von Erythemen und Pusteln charakterisiert. Hinzu kommen Fieber und Blutbildveränderungen. Häufige Auslöser sind u. a. Antibiotika.

Die toxische epidermale Nekrolyse (TEN). Diese gefährlichste Form einer kutanen Arzneimittelreaktion ist selten und geht mit einer hohen Letalität einher. Die Reaktion beginnt meist langsam mit einem schmerzenden Erythem, das in eine Blasenbildung übergeht. Betroffen sind mehr als 30% der Körperoberfläche. Meist treten zusätzlich Fieber und eine Eosinophilie auf. Die häufigsten Auslöser sind wie beim Stevens-Johnson-Syndrom Allopurinol, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Co-trimoxazol.

Pseudoallergische Reaktionen

Bei pseudoallergischen Reaktionen oder Intoleranzen erfolgt die Freisetzung von Entzündungsmediatoren aus Mastzellen und basophilen Zellen durch toxische oder pharmakologische Wirkungen ohne eine vorhergehende Sensibilisierung. Die klinischen Krankheitsbilder sind dieselben wie nach einer Sensibilisierung. Ein bekanntes Beispiel sind pseudoallergische Reaktionen auf nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID) im Rahmen einer Analgetika-Intoleranz. Weitere charakteristische Medikamente, die eine Pseudoallergie auslösen können, sind Muskelrelaxanzien und Röntgenkontrastmittel. Bei diesen Arzneistoffen kann es zur direkten, IgE-unabhängigen Freisetzung von Histamin aus den Mastzellen kommen.

Kontaktallergien

Bei einer Kontaktallergie handelt es sich um eine verzögert auftretende Reaktion, die durch Antigen-spezifische T-Lymphozyten ausgelöst wird. Der allergischen Reaktion ging eine Sensibilisierung voraus. Wird das Allergen nun erneut auf die Haut aufgebracht, entsteht durch die Freisetzung von Zytokinen eine Entzündungsreaktion, die als allergisches Kontaktekzem oder als Kontaktdermatitis bezeichnet wird. Häufige Auslöser sind Nickel, Kobalt, Duftstoffe, Kolophonium und Kaliumdichromat. Kritische Inhaltsstoffe von Arzneimitteln sind Bufexamac, Perubalsam, Terpene, Melkfett, Propolis und Wollwachsalkohole (teilweise nicht mehr im Handel).

Rechtzeitige Allergentestung

Tritt eine Allergie auf Arzneimittel auf, muss eine genaue und ausführliche Anamnese erhoben werden. Diese umfasst unter anderem bekannte Überempfindlichkeiten, atopische Erkrankungen, prädisponierende Erkrankungen, den Beruf des Patienten, die derzeitige Einnahme von Medikamenten, Art und Dauer der Anwendung, die Klassifikation der klinischen Reaktion sowie die Umstände der Reaktion. Zur weiteren Abklärung werden Allergietests (Prick-Test, Intracutan-Test, Epikutan-Test) und die serologische Diagnostik (Nachweis spezifischer IgE-Antikörper; nur für wenige Arzneistoffe verfügbar) herangezogen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein Provokationstest durchgeführt werden. Die Testung sollte möglichst frühzeitig, das heißt innerhalb von einem bis sechs Monaten nach der Abheilung der allergischen Reaktion erfolgen. Das Ergebnis wird in einem Allergiepass festgehalten.

Quelle Prof. Dr. Hans F. Merk, Aachen: "Allergische Reaktionen auf Arzneimittel" und Prof. Dr. Johannes Weiss, Ulm: "Allergische Hautreaktionen", Heidelberger Herbstkongress 20. und 21. November 2010, veranstaltet von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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