Aus Kammern und Verbänden

Auswirkungen des AMNOG

Die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln war das Hauptthema einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein am 12. November in Düsseldorf. Zehn Behörden- und Interessenvertreter im Gesundheitswesen und Gesundheitspolitiker skizzierten die Auswirkungen des am Vortag beschlossenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) aus ihrer Sicht. Rund 270 Teilnehmer verfolgten die Statements und die anschließende Podiumsdiskussion.

Gesundheitsexperten Ingo Werner, Prof. Dr. Jürgen Windeler, Dr. Rainer Hess, Dr. Rolf Koschorrek, Dr. Carl-Heinz Müller, Johann-Magnus Freiherr v. Stackelberg, Dr. Holger Neye, Prof. Martin Schulz (von links).

Die Hauptakteure der Bewertung: IQWiG und G-BA

Die frühe Nutzenbewertung von neu zugelassenen Arzneimitteln wird ab dem 1. Januar 2011 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durchgeführt. Prof. Dr. Jürgen Windeler vom IQWiG begrüßte das AMNOG, kritisierte aber, dass das IQWiG nicht für die Preisfestsetzung zuständig ist. Durch die frühe Nutzenbewertung könne das IQWiG lediglich Argumente für die Zuordnung der neuen Arzneimittel liefern. Diese Beurteilung basiert auf dem von den Herstellern einzureichenden Dossier und eventuell beigelegten Zusatzinformationen. Das IQWiG führt keine Recherchen zu dem neuen Arzneimittel durch und hört keine Sachverständigen – das Letztere ist Aufgabe des G-BA. Der Bearbeitungszeitraum beträgt drei Monate. Ein Konzept, wie das IQWiG die zusätzlichen Aufgaben personell bewältigen will, werde die Behörde am 17. Dezember vorstellen. Windeler sagte, dass das IQWiG seine bisherigen Untersuchungen zum Nutzen und zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimitteln in bekannter Form weiterführen werde.

Dr. Rainer Hess vom G-BA schloss sich der Notwendigkeit der Nutzenbewertung an und kritisierte deutlich, dass sich ein Hersteller auch komplett der frühen Nutzenbewertung entziehen könne, weil er nicht gesetzlich verpflichtet sei, ein Dossier einzureichen. Da mit der Zulassung die Wirksamkeit und damit auch der Nutzen des Präparates anerkannt sind, haben IQWiG und GBA lediglich den Zusatznutzen zu beurteilen. Nach Hess müsse es jedoch das Ziel sein, den Nutzen zu beurteilen. Daher sei die frühe Nutzenbewertung, wie sie nun durch das AMNOG vorgeschrieben ist, kein Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit.

Positiv vermerkte Hess, dass der G-BA und das IQWiG die Hersteller bei der Studienplanung und der Erarbeitung des Dossiers bereits im Vorfeld beraten können. Ein weiterer von Hess angesprochener Aspekt ist die Rechtsverordnung für die Arbeit des G-BA. Bislang habe das Bundesministerium für Gesundheit lediglich die Rechtsaufsicht über den G-BA, durch die neu zu schaffende Rechtsverordnung werde er nun direkt eingebunden.

Die Einsparer: GKV

Der GKV-Spitzenverband hätte sich mehr Anreize für einen frühen evidenzbelegten Nutzen neuer Arzneimittel gewünscht, erläuterte Johann-Magnus Freiherr von Stackelberg die Position der Krankenkassen. Dennoch sei das AMNOG ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch weiterhin die Politik sehr viel auf Verhandlungen setze und man derzeit noch nicht absehen könne, inwiefern die Hersteller bei ihrer Preisgestaltung den zu erwartenden Rabatt bei Präparaten mit belegbarem Zusatznutzen von vornherein einplanen. Befremdlich empfinde man beim GKV-Spitzenverband die Regelung, dass künftig die ausgehandelten Ergebnisse auch von den privaten Krankenkassen übernommen werden.

Die Betroffenen: vfa

Cornelia Yzer vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) geht davon aus, dass die Hersteller Dossiers zur Nutzenbewertung vorlegen werden. Sie begrüßte, dass diese sich durch den G-BA und das IQWiG bei der Erstellung beraten lassen können. Dagegen kritisierte sie, dass kostenrelevante Faktoren wie Auswirkungen auf die Hospitalisierungsrate oder andere krankheitsbezogene Folgekosten nicht bei der Nutzenbewertung der Arzneimittel berücksichtigt werden.

Wesentlich größere Probleme sehen die Hersteller in der neuen Preisgestaltung, so Yzer. Das AMNOG stelle eine Zäsur im Arzneimittelmarkt dar, es habe wesentliche Auswirkungen auf die Vermarktung neuer Arzneimittel nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. So werden Einbrüche bei der Kostenerstattung in den Auslandsmärkten erwartet, was sich negativ auf die Investitionen in Deutschland auswirken könne. Einzig positiv für die Industrie sei die mit § 140 b SGB V neu geschaffene Möglichkeit, direkter Partner in integrierten Versorgungsstrukturen zu werden. Insgesamt, so Yzer, greifen die Maßnahmen des AMNOG zu kurz, zumal die Beibehaltung von Richtgrößen und Wirtschaftlichkeitsprüfung die Lage der Ärzte nicht verbessere.

Die Vertragsgestalter

Vorteile in Einzelverträgen sowie in der Beteiligung der Industrie an integrierten Versorgungsstrukturen sah auch Ingo Werner, Spectrum | K GmbH. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre mit Ausschreibungen und Rabattverträgen seien positiv. Es sei sinnvoll, neben den etablierten Strukturen eine vertragsbasierte Arzneimittelversorgung in Deutschland aufzubauen.

Die Leistungserbringer: Ärzte und Apotheker

Genau dieses Instrument werde die Attraktivität des Arztberufes weiter schmälern, widersprach Dr. Carl-Heinz Müller von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Es könne nicht sein, dass der Wettbewerb der Krankenkassen sich auf die Versorgung der Patienten in der Arztpraxis auswirkt. Aufgrund der unterschiedlichen Verträge werde nicht mehr leitliniengerecht, sondern je nach Krankenkasse behandelt. Auch gegen die Richtgrößenprüfung sprach sich Müller aus. Als Lösung stellte er das ABDA-KBV-Konzept vor, in dem der Wirkstoff und die Menge durch den Arzt verordnet werden und der Apotheker das für den Patienten passende Arzneimittel innerhalb eines Preiskorridors auswählt.

Prof. Dr. Martin Schulz ergänzte als Vertreter der ABDA die Ausführungen Müllers und machte an einem Praxisbeispiel deutlich, welche Auswirkungen unterschiedliche vertragliche Regelungen für einen Patienten haben können. Außerdem meinte er, dass die geplante Packungsgrößenverordnung bei chronischen Erkrankungen zu überlangen Versorgungsphasen führen könne. Die Verantwortung für die Festlegung sollte nicht der ATC-Code-Arbeitsgruppe beim DIMDI überlassen werden, sondern von Ärzten und Apothekern unter Berücksichtigung sinnvoller Therapieschemata erarbeitet werden, regte Schulz an.

Die Selbstverwalter: KV

Für die Mitglieder der KV Nordrhein werde sich bezüglich der Richtwerte, Quotenregelung, Leitsubstanzen und der Me-too-Liste nicht viel ändern, meinte Dr. Holger Neye zur Arzneimittelvereinbarung 2011 in Nordrhein. Diese Steuerungselemente, die seit 2006 zur Kostenbegrenzung genutzt werden, haben sich bewährt. Neye betonte, dass das AMNOG ein klares Bekenntnis zur Richtgrößenprüfung darstelle, da künftig auch die mit den Krankenkassen direkt geschlossenen Verträge in die Richtgrößenprüfung einfließen sollen. Auch die Weiterführung der Me-too-Liste beurteilte er als sinnvoll, weil allein in Nordrhein durch die Empfehlung der preiswerten Alternativen zu hochpreisigen Analogpräparaten 30 bis 50 Millionen Euro eingespart werden konnten.

Bernd Brautmeier, Vorstand der KV Nordrhein, wies darauf hin, dass die direkte Beteiligung der pharmazeutischen Industrie auf die Arzneimittelversorgung das Risiko der Kommerzialisierung spezieller Versorgungsgebiete und des Ausverkaufs der GKV berge; dies sei von der KV nicht gewünscht.

Die Politik

Dr. Rolf Koschorrek, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss, räumte ein, dass das AMNOG ein Kompromiss sei, der aber in die richtige Richtung gehe. Auch bei der Abstimmung im Bundestag habe sich das, mit Ausnahme zweier "apothekenaffiner" Kollegen, widergespiegelt. Es gehe nicht an, ein gestern verabschiedetes Gesetz, das einen Rahmen setzen soll und durch flankierende Verordnungen ergänzt wird, schon vor dem Startlauf komplett infrage zu stellen. Es muss die Chance eines lernenden Systems haben, und dafür muss es erst einmal laufen.

Die finanzielle Sicherung des Gesundheitswesens für die nächsten Jahre, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist, sei hiermit erfolgt, und nun habe man Zeit, sich anderen Fragen wie der Pflege und der Sicherung der Versorgung angesichts der demografischen Entwicklung zu widmen.


Dr. Constanze Schäfer

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