Verkehrssicherheit

Fahrtauglichkeit unter Schmerztherapie

Viele Patienten sind wegen akuter oder chronischer Schmerzen auf eine Schmerztherapie angewiesen. Oft wird durch die Analgesie eine Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr erst möglich. Doch Analgetika und hier vor allem die Opioid-Analgetika können die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen. Besondere Vorsicht ist bei Neuverordnungen und Dosisänderungen geboten.
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Eine kontinuierliche Schmerztherapie kann bei chronischen Schmerzen einen wichtigen Beitrag zur Fahrtauglichkeit leisten.
Foto: Hexal AG

Im Hinblick auf die Fahrtauglichkeit unter einer Schmerztherapie ist grundsätzlich zwischen einer Behandlung mit Opiaten und nicht-morphinartig wirkenden Analgetika zu unterscheiden.

Entsprechend einschlägiger experimenteller Untersuchungen ist unter nicht-morphinartig wirkenden Analgetika kaum mit Leistungsminderungen zu rechnen, wenn sie als Monopräparate und in den empfohlenen therapeutischen Dosierungen eingenommen werden. Bei hohen Dosierungen sind erregende Wirkungen auf das zentrale Nervensystem nicht auszuschließen, wobei sich dieser Effekt bei Kombinationspräparaten mit Coffein noch verstärken dürfte.

Problem Opioide

Schwieriger ist die Lage zur Fahrtauglichkeit unter Opioid-Analgetika zu bewerten.

Epidemiologische Studien berichten für Opiate ein etwa doppeltes Unfallrisiko im Vergleich zu einer substanzfreien Verkehrsteilnahme, das sich durch den gleichzeitigen Konsum von Alkohol bis auf das etwa Dreifache erhöht. Problematisch an diesen epidemiologischen Daten ist, dass nicht bekannt ist, ob es sich um einen illegalen Drogenkonsum oder um den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels handelte.

Einen weiteren Zugang bieten experimentelle Studien, in denen gesunde Probanden oder Patienten mit und/oder ohne Medikation gezielt auf Einbußen in klassischen Leistungstests der Fahreignungsdiagnostik, in Fahrsimulatoren oder in praktischen Fahrproben geprüft werden.

Bei Studien, in denen Opioide einmalig an Gesunde verabreicht wurden, zeigten sich fast durchgängig Leistungsbeeinträchtigungen.

Wenn Schmerzen Folgen wie Alkohol haben

Allerdings können sich natürlich nicht nur psychotrope Substanzen, sondern auch lange und starke Schmerzen leistungsbeeinträchtigend auswirken. Demnach kann bei Patienten eine adäquate Schmerztherapie auch mit Leistungsverbesserungen verbunden sein und somit die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr überhaupt erst ermöglichen (sog. Netto-Effekt der Medikation). So ergab beispielsweise eine Studie im Realverkehr mit medikamentfreien chronischen Schmerzpatienten, dass diese ähnlich stark in der Spur schwankten wie gesunde Probanden unter einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille.

Sicherer durch stabile Morphintherapie

Bereits in den 50er Jahren wurde nachgewiesen, dass schmerzbedingte Beeinträchtigungen durch Morphin abgeschwächt werden können. So führte in einem entsprechenden Experiment einerseits die Einnahme von Morphin, andererseits die Applikation eines schmerzhaften Elektroschocks zu einer verlängerten Reaktionszeit. Wurde der Elektroschock allerdings mit der Morphin-Einnahme kombiniert, unterschied sich die Reaktionszeit nicht von einer Placebo-Bedingung ohne Schmerz, einige Versuchspersonen zeigten dann sogar eine bessere Leistung.

Aber auch mehrere jüngere Untersuchungen unterstützen den Befund, dass zumindest eine stabile Morphin-Therapie nicht unbedingt eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen muss. Oft erbringen Schmerzpatienten dann vergleichbare Leistungen wie schmerz- und medikamentenfreie Kontrollpersonen. Andere Studien berichten zwar schlechtere Durchschnittsleistungen von Patienten, finden aber eine sehr hohe interindividuelle Variabilität. Das heißt, es gibt einzelne Patienten, die sogar besser oder zumindest gleich gut abschneiden wie die Vergleichspersonen.

Zeigten sich Beeinträchtigungen, handelte es sich meist um eine Verlangsamung einfacher psychomotorischer Prozesse i. S. einer Sedierung und weniger um qualitative Defizite bzw. gesteigerte Fehlerraten bei höheren kognitiven Funktionen. Erstere können sich aber durchaus negativ auf Stabilisierungsaufgaben im Straßenverkehr auswirken (z. B. Spurhaltung, Reaktion auf plötzliche Ereignisse).

Tipps für Schmerzpatienten

  • Bitte bedenken Sie grundsätzlich, dass Sie nach der Fahrerlaubnisverordnung verpflichtet sind, selbstständig und eigenverantwortlich zu prüfen/prüfen zu lassen, ob Sie fahrtauglich sind.
  • Achten Sie sehr genau darauf, ob Sie sich müde fühlen. Versuchen Sie, nur ausgeschlafen zu fahren oder sich vor einer Fahrt noch einmal hinzulegen.
  • Legen Sie sofort eine Pause ein, wenn Sie beim Fahren müde werden, auch wenn es nur noch ein paar Minuten bis zum Ziel sind!
  • Fragen Sie bei neuen Medikamenten und Dosissteigerungen Ihren Arzt oder Apotheker, ob diese Ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können. Beobachten Sie in den ersten Wochen genau, ob Sie mit Müdigkeit auf die Medikamente reagieren und verzichten Sie in dieser Zeit darauf, selbst zu fahren.
  • Selbst geringste Mengen Alkohol können die Beeinträchtigung ihrer Fahrtüchtigkeit durch die Schmerzmedikamente drastisch verstärken. Fahren Sie dann auf keinen Fall selbst Auto!
  • Erkundigen Sie sich bei Ihrem Arzt oder Apotheker nach Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten speziell im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit.
  • Lassen Sie sich im Zweifel von Verkehrsmedizinern oder -psychologen bei medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen (etwa TÜV oder DEKRA) beraten.


 

Diese Tipps stehen unter DAZ.plus/Dokumente zum Download bereit.

Mehrere Studien, die direkt eine Adaptation für Schmerzpatienten bei stabiler Einstellung untersuchten, konnten eine Toleranzentwicklung tatsächlich nachweisen. So ergab eine Morphin-Studie, die Schmerzpatienten in der Aufdosierungsphase mit Patienten, die die Zieldosierung schon mindestens sieben Tage eingenommen hatten, verglich, nur für Erstere signifikante Leistungsbeeinträchtigungen.

Fahrtauglichkeit individuell beurteilen

Zusammenfassend kann also unter einer stabilen Opioid-Therapie Fahrtüchtigkeit gegeben sein, was aber stets am einzelnen Patienten zu prüfen ist.

Für die Einstellungsphase, bei größeren Dosisveränderungen und bei ständig wechselnden Therapieverläufen ist in jedem Fall ein Fahrverbot zu empfehlen. Zudem sollte ein Beigebrauch anderer Substanzen (z. B. Alkohol) sicher ausgeschlossen werden können.

Entsprechend den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (2010) können Personen, die Betäubungsmittel i. S. des Betäubungsmittelgesetzes – also auch Opiate – einnehmen oder von solchen abhängig sind, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gerecht werden. Allerdings wird hier die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels explizit ausgenommen. Im Hinblick auf eine dauerhafte Einnahme von Medikamenten wird eine Fahreignung "bei nachgewiesenen Intoxikationen und anderen Wirkungen von Arzneimitteln, die die Leistungsfähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeuges beeinträchtigen, bis zu deren völligem Abklingen" als nicht gegeben angesehen. Entscheidend ist dabei, ob eine medikamentöse Therapie (v. a. die Dauertherapie) mit psychophysischen Leistungsbeeinträchtigungen verbunden ist, die für das Führen von Kraftfahrzeugen von Bedeutung sind.

Abraten bei neuen Präparaten und Dosiserhöhung

Ärzte und Apotheker sollten also unbedingt auf die Gefahr einer fahrrelevanten Leistungsbeeinträchtigung durch Opiate hinweisen und den Patienten dringend davon abraten, bei neuen Präparaten oder Dosiserhöhungen in den ersten Wochen selbst Auto zu fahren. Im Hinblick auf nicht-opioide Analgetika sollten die Patienten daran erinnert werden, diese nur monotherapeutisch und in der empfohlenen Dosis einzunehmen. Ärzte sollten ein solches aufklärendes Gespräch in jedem Fall führen, dokumentieren und sich schriftlich bestätigen lassen, da für sie eine zivil- oder strafrechtliche Haftungspflicht besteht, wenn sie einen Patienten auf seine Fahruntüchtigkeit nicht oder nicht hinreichend deutlich hinweisen.

Vorsorgepflicht liegt beim Patient

Da aber nach § 2 Absatz 1 der Fahrerlaubnisverordnung für alle Teilnehmer am Straßenverkehr, eine Vorsorgepflicht besteht, liegt die Hauptverantwortung dennoch bei den Patienten selbst. Sie müssen selbstständig und eigenverantwortlich prüfen, ob die eigene Fahrtauglichkeit noch gegeben ist.

Dies kann im Rahmen einer freiwilligen Untersuchung der fahrrelevanten körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit (durch Verkehrsmediziner, Verkehrs- oder klinische Neuropsychologen) beurteilt werden. Ergänzend kann eine praktische Fahrverhaltensprobe durchgeführt werden. Eine ausreichende Fahrtüchtigkeit kann dann auch schriftlich bescheinigt werden, was als Nachweis dafür gilt, dass man seiner Vorsorgepflicht nachgekommen ist.

Literatur Veldhuijzen DS, Karsch AM, van Wijck AJM: Drugs, driving and traffic safety in acute and chronic pain. In: Verster JC, Pandi-Perumal SR, Ramaekers JG, de Gier JJ (Hrsg.): Drugs, driving and traffic safety. Birkhäuser Verlag, Basel 2009, S. 355 – 370. Körner Y, Schnabel E, Krüger HP: Drogen und Opiate im Straßenverkehr. In: Beubler E (Hrsg.): Opiatabhängigkeit: Interdisziplinäre Aspekte für die Praxis. Springer-Verlag, Wien, S. 269 – 280.

 


Autorin

 

Dr. Yvonne Kaußner 
Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW GmbH) 
Raiffeisenstr. 17 
97209 Veitshöchheim

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