Deutscher Apothekertag 2010

Erfolgreiche Projekte, offene Rechtsfragen und aktuelle Gesetzesbaustellen

Der Geschäftsbericht der ABDA vermittelte einen Rückblick auf die zahlreichen Tätigkeiten der Apothekerorganisation, einen Überblick über aktuelle, insbesondere gesetzgeberische Baustellen auf dem Gebiet des Apothekenbetriebs und einen Ausblick auf künftige Herausforderungen. Dr. Sebastian Schmitz, ABDA-Geschäftsführer für Wirtschafts- und Vertragsrecht, erstattete den Geschäftsbericht in Vertretung für den erkrankten ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz. Hinsichtlich der gesetzgeberischen Aktivitäten konstatierte Schmitz "eine bisher nicht dagewesene Intensität" und verwies auf das im August in Kraft getretene GKV-Änderungsgesetz und die beiden derzeitigen Gesetzesvorhaben, das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) und das GKV-Finanzierungsgesetz.

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Dr. Sebastian Schmitz Ein formeller Entwurf zur Novellierung der Apothekenbetriebsverordnung kommt in ­absehbarer Zeit.
Foto: DAZ/Schelbert

Schmitz hob die Leistungen der Apotheken hervor. Im Berichtsjahr 2009 wurden dort 1,4 Milliarden Arzneimittelpackungen abgegeben. Die unabhängige und auf hohem Niveau erbrachte persönliche Leistung der Apotheker sei der Schlussstein für das Gebäude der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung, das ohne diesen Schlussstein in sich zusammenbrechen würde. Mit dieser Leistung würden die Apotheker eine Erwartungshaltung der Politik erfüllen.

Projekte der Apotheker

Die vielfältigen Tätigkeiten der Apotheker unterstrich Schmitz durch den Hinweis auf zahlreiche qualitätssichernde Projekte, die im Berichtszeitraum durchgeführt oder fortgesetzt wurden. Das Engagement bei den Meldungen an die Arzneimittelkommission steige wieder. Die ABDA habe sich in den neuen Aktionsplan 2010 – 2012 zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit eingebracht. Ein wichtiges Anliegen sei dabei der Ausbau der Kommunikation mit den Ärzten. In diesem Zusammenhang verwies Schmitz auch auf die Gespräche mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über einen kassenübergreifenden Medikationskatalog - ein Vorgriff auf den Arbeitskreis 1 des Apothekertages. Außerdem erwähnte Schmitz die nationale Versorgungsleitlinie Asthma, die Qualitätssicherung in der Rezeptur, das QMS-Siegel der Bundesapothekerkammer, Umsetzungshilfen für die Leitlinien zur Qualitätssicherung und den überarbeiteten Leistungskatalog für Beratungs- und Service-Angebote in Apotheken (LeiKa). Die vielen Angebote müssten als alltägliche Leistungen etabliert werden. Angesichts der Erwartungshaltung der Politik sei nach Wegen zu suchen, diese Leistungen und die praktischen Erfordernisse "unter einen Hut" zu bringen. Als weitere Leistungen der Apotheker nannte Schmitz die pharmazeutische Umsetzung der Rabattverträge und die Fortbildung. Im Jahr 2009 hätten die Apothekerkammern der Länder 2290 Fortbildungsveranstaltungen mit rund 119.000 Teilnehmern organisiert.

Im Zusammenhang mit den Leistungen der Apotheker erörterte Schmitz die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beratung. Diese könne nicht gewaltsam aufgedrängt werden. Vielmehr müsse die Möglichkeit bestehen, den Patienten zum Fragen und zum Zuhören zu bringen. Dabei müsse der Patient seine Beratungsbedürftigkeit erkennen. "Genau an dieser Stelle aber würden Pick-up-Stellen eine äußerst unselige Wirkung entfalten", so Schmitz, denn der Patient nähme die Besonderheit des Arzneimittels in diesem Umfeld nicht mehr wahr. "Wenn die Politik vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließt, weiß sie, dass sie das Recht und die Pflicht hat, gegen Pick-up-Stellen und andere Fehlentwicklungen ähnlicher Art einzuschreiten", folgerte Schmitz.

Apothekenbetriebsordnung

Für die Novelle der Apothekenbetriebsordnung sei "in absehbarer Zeit" mit einem formellen Entwurf zu rechnen. Die ABDA werde dabei "alle Maßnahmen unterstützen, die die patientenorientierte Pharmazie fördern und den Apotheker in seiner Funktion als freier Heilberufler stärken". Doch machte Schmitz auch eine Grenze deutlich: "Unmissverständlich abzulehnen sind jedoch Regelungen, die eine unnötige Erhöhung von Aufwand und Bürokratie zur Folge hätten." Dies führe zur Diskussion über erstrebenswerte Ziele und leistbaren Aufwand. Dazu erklärte Schmitz: "Es ist ohne Frage richtig, Forderungen nach zusätzlichen Leistungen entgegenzutreten, wenn sie nicht angemessen honoriert werden." Dies solle die Apotheker aber nicht daran hindern, nach möglichen Qualitätsverbesserungen zu suchen.

Europäisches Recht

In einem weiteren Teil seines Berichts stellte Schmitz offene Fragen zu rechtlichen Rahmenbedingungen des Apothekenbetriebs dar. In der europäischen Rechtsprechung seien insbesondere Fragen des anwendbaren Rechts zur Anerkennung ausländischer Verordnungen und der Preisvorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel relevant. Beim "Pharmapaket" der EU-Kommission drohe eine Aufweichung der begründeten Werbeverbote. Als Maßnahme gegen Arzneimittelfälschungen treibe die ABDA ein Pilotprojekt zur Arzneimittelauthentifizierung in Deutschland voran. Die Pharmakovigilanz werde durch eine europäische Richtlinie vom 22. September stärker europäisch vernetzt. Künftig würden auch Medikationsfehler und Verdachtsfälle meldepflichtig. Außerdem würden für die Öffentlichkeit Internetportale als Meldeweg entwickelt. Insgesamt erkenne das europäische Recht die besondere Bedeutung der Arzneimittelversorgung an und billige dem nationalen Gesetzgeber entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten zu. "Das ist eine gute Ausgangsposition, um unser Arzneiversorgungssystem weiter auszubauen", folgerte Schmitz.

Deutsche Rechtsprechung

In Deutschland stehe eine abschließende Entscheidung zur Gültigkeit der Arzneimittelpreisverordnung für ausländische Anbieter weiterhin aus. Hierzu wurde der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen. Doch immerhin habe der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Bonusgewährungen die Arzneimittelpreisverordnung verletzen. Zu Einschränkungen wegen der wettbewerbsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenzen solle die Urteilsbegründung abgewartet werden, die erst am Tag vor der Eröffnung des Deutschen Apothekertages bekannt wurde und noch nicht ausgewertet werden konnte.

"Apotheken sind Leistungserbringer und keine Kostentreiber."

Dr. Sebastian Schmitz

Außerdem verwies Schmitz auf die "vermehrt auftretenden Bestrebungen, Versorgungsleistungen zu zentralisieren und dabei weite Lieferwege in Kauf zu nehmen". Beispiele seien Hilfsmittelausschreibungen, die Versorgung mit Grippeimpfstoffen und mit individuell hergestellten parenteralen Lösungen. "Es liegt auf der Hand, dass intensive Beratung, schnelle Akutversorgung und Distanzlieferungen an den Endverbraucher über zig oder hunderte Kilometer nicht zusammenpassen", konstatierte Schmitz. Dazu habe der Europäische Gerichtshof erklärt, dass das Erfordernis der Nähe Eingriffe rechtfertigt. "Wer meint, eine beratungsintensive und zeitnahe Versorgung flächendeckend für alle Patienten durch Ausschreibungen und Einzelverträge organisieren zu können, ohne dabei zusätzliche Risiken und Qualitätsverluste einzugehen, der ist auf dem Holzweg", erklärte Schmitz. Daher werde die ABDA weiter alle Anstrengungen unternehmen, die "Nähebeziehung" konsequent umzusetzen.

Im Zusammenhang mit Einzelverträgen erinnerte Schmitz daran, dass der Gesetzgeber die Einzelheiten der Versorgung einem System von Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern überlasse. Das sorge für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen. Doch "dieses Gleichgewicht droht derzeit ins Wanken zu geraten", warnte Schmitz, denn mit dem AMNOG sollten ohne hinreichende Differenzierung kartellrechtliche Prinzipien auf das Vertragssystem angewandt zu werden. Damit würden die Verbandsverträge infrage gestellt oder zumindest in den Streit vor die Gerichte gezogen werden. "Eine geordnete und flächendeckende Versorgung wäre dann nicht mehr zu gewährleisten", folgerte Schmitz.

Aktuelle Baustellen

Als ökonomische Rahmenbedingung des Apothekenbetriebs machte Schmitz deutlich, dass die Krankenkassen seit 2001 rund 36 Milliarden Euro mehr eingenommen hätten. Doch der GKV-Branchenrohertrag sei mit Schwankungen konstant geblieben. "Hier gibt es keinen Zuwachs, der begrenzt werden könnte", folgerte Schmitz. Die Anpassung des Apothekenabschlages nach § 130 SGB V sei ein zentrales Thema im Berichtszeitraum gewesen. Schmitz kritisierte die jüngste Entwicklung hierzu. Der Anlauf der Krankenkassen, dem Schiedsspruch die Folgewirkung für 2010 abzusprechen, sei "nicht mehr hinnehmbar". Leider werde durch das sicher mehrjährige Sozialgerichtsverfahren kurzfristig keine Rechtssicherheit geschaffen. Dies könne sich in den Folgejahren noch verschärfen. Deshalb werde die ABDA weiter darauf drängen, dass Klagen gegen Schiedsstellenentscheidungen keine aufschiebende Wirkung haben. "Dies ist dringend erforderlich, um das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen, eine jährliche Anpassung der Vergütung herbeizuführen", so Schmitz.

"Wer täglich millionenfach Verlässlichkeit bietet, darf auch Verlässlichkeit erwarten – und ein Stück Fairness, auch bezüglich der Honorierung der Leistungen und der beruflichen Rahmenbedingungen."

Dr. Sebastian Schmitz

Zu den Rabattverträgen berichtete Schmitz über eine neuere Angabe aus dem Bundesgesundheitsministerium. Demnach hätten die Krankenkassen 2009 rund 850 Millionen Euro durch diese Verträge gespart. Doch weiterhin fehle Rechtssicherheit in vielen Austauschfällen. "Die Politik äußert zwar viel Verständnis, hat aber bislang zu wenig getan", so Schmitz. Außerdem kritisierte er das steigende Risiko der Apotheken beim Inkasso des Herstellerabschlages. "Es ist schlicht unerträglich, wenn die Apotheken die das Inkasso nicht zu eigenen Gunsten, sondern zu Gunsten Dritter durchführen, für diese Arbeit, die auch noch unbezahlt ist, mit Rechnungskürzungen und Zahlungsausfällen bedroht werden", erklärte Schmitz. Weitere Belastungen seien durch die im AMNOG geplante Änderung der Packungsgrößenverordnung zu befürchten. Da viele Fragen ungeklärt seien, sollte das Vorhaben ohne Zeitdruck bearbeitet werden und "keinesfalls als groß angelegtes Marktexperiment starten".

Zur Diskussion über die angedachte Änderung der Großhandelsvergütung im AMNOG erinnerte Schmitz an die Forderung des Großhandelsverbandes Phagro nach einer kostenneutralen Umstellung auf fixe und variable Elemente, doch stattdessen sei nun eine Umstellung in Verbindung mit einer Einsparung von rund 500 Millionen Euro geplant. Dazu erklärte Schmitz: "Der vollversorgende pharmazeutische Großhandel hat für die Apotheken eine außerordentlich wichtige Unterstützungsfunktion bei der schnellen und flexiblen Bereitstellung der Arzneimittel für die Patienten." Er machte aber auch deutlich, "dass die ordnungsgemäße Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln die alleinige Aufgabe der Apotheken ist, und dies bei Wahrung ihrer ganzen Kompetenz und ihrer vollen Unabhängigkeit."

Ausblick

Als Grundlage für künftige Entwicklungen erinnerte Schmitz an die Erkenntnis, dass Apotheker gebraucht werden und gefragt sind. "Wir brauchen uns mit unseren Vorschlägen und Argumenten also nicht zu verstecken", so Schmitz. Doch die Finanzierung von Leistungen sei schwer, die Gesellschaft betrachte alle Angebote kritisch. Daher müsse das Augenmerk auf die Stärkung der persönlichen Leistung des Apothekers im unmittelbaren Kundenkontakt gerichtet sein. Der Patient müsse die fachliche Kompetenz des Apothekers erleben können.

Resolution gegen Pick-up

Im Zusammenhang mit dem Geschäftsbericht nahmen die Delegierten einstimmig einen Antrag an, in dem der Gesetzgeber und die Bundesregierung aufgefordert werden, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Regelungen zum Versandhandel zu überprüfen. Auswüchse des Versandhandels seien dringend zu korrigieren, heißt es in dem Antrag. Dabei sei insbesondere die aus Gründen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes bedenkliche Abgabe von Arzneimitteln über Pick-up-Stellen zu verbieten. In der Diskussion zu diesem Antrag wurde kritisiert, dass mittlerweile auch Apotheker solche Pick-up-Stellen betreiben. Für Hermann Stefan Keller, Vorsitzender des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz, ist dies eine "Demontage des Berufsstandes". Daraufhin verabschiedeten die Delegierten im weiteren Verlauf des Apothekertages eine spontan eingebrachte Resolution, nach der "Pick-up-Stellen aus Gründen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes verboten werden müssen". Die Apotheker werden in der Resolution aufgefordert, ihrer Beratungspflicht und ihrem heilberuflichen Selbstverständnis nachzukommen. Auch alle anderen in den Vertrieb von Arzneimitteln eingebundenen Unternehmen werden aufgefordert, sich ihrer Verpflichtung zur Erhaltung der Sicherheit der Arzneimittelversorgung bewusst zu werden und Pick-up-Stellen nicht zu unterstützen.

tmb

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