Deutscher Apothekertag 2010

Die Zeit drängt

Dr. Christian Rotta

Pick up entwickelt sich zu einer Never ending story (oder sollte man – wenn es nicht so ernst wäre – eher von einem Running Gag des bundesrepublikanischen Politikbetriebs im Gesundheitswesens sprechen?). Gerade ist wieder einmal das im Koalitionsvertrag vereinbarte Pick-up-Verbot aus einem Gesetzentwurf geflogen.

Beteiligt am Pick-up-Schauspiel sind mehrere Akteure. Da ist zunächst die Politik, die im Jahre 2004 ohne Not unterschiedslos den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und OTC-Arzneimitteln legalisiert hat (das DocMorris-Urteil des EuGH forderte nur Letzteres), um sich alsbald verwundert die Augen über die "Ausfransungen" ihrer legislativen Wohltat zu reiben: Das haben wir nicht gewollt. Aber hätte man es nicht wissen können?

Da ist aber auch das Bundesverwaltungsgericht, das 2008 in seinem dm-Urteil u. a. unter Hinweis auf die Brockhaus-Enzyklopädie gemeint hat feststellen zu müssen, dass (auch) bei Medikamenten ein "erweiterter" Versandbegriff gelte, der es Drogeriemärkten und anderen Verkaufs- und Abgabestellen erlaube, Pick-up-Stellen für Arzneimittel zu eröffnen. Die Logik der belesenen Richter: Was im Rahmen des legalisierten Versandhandels einem Briefträger recht sei, müsse in Form von Pick-up-Stationen auch Drogerieketten billig sein dürfen. Mit ihrem Urteil kassierten die fünf Bundesrichter en passant auch noch die Regelungen zur Errichtung von Rezeptsammelstellen in der geltenden Apothekenbetriebsordnung. Die Folge: In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche aufsichts- und rechtsfreie Gewerbebetriebe zur Aushändigung von Arzneimitteln außerhalb der Apothekenbetriebsräume. Rechtlich agieren diese Betriebe dabei als bloße Verrichtungsgehilfen ausländischer Versandapotheken, tatsächlich versuchen sie mit ihrer Werbung und in ihrem Erscheinungsbild regelmäßig den Eindruck einer "Apotheke light" zu erwecken. Dass bei dieser Arbeitsteilung offen bleibt, wer der Hund und wer der Schwanz ist, war voraussehbar. Immerhin: Inzwischen scheint es dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr ganz wohl zu sein ob seiner rechtskreativen (und ziemlich lebensfremden) Entscheidung. In der jüngst ergangenen Visavia-Entscheidung ruderte das Gericht etwas zurück – aber nix Genaues weiß man nicht.

Beteiligt am Pick-up-Tohuwabohu ist schließlich aber auch die ABDA. All zu lange war im Apothekerhaus immer wieder vertreten worden, dass einem Pick-up-Verbot ausschließlich (!) über ein Versandhandelsverbot bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beizukommen sei. Vor allem von den ABDA-Juristen wurden alle Ansätze, jenseits eines Versandverbots Arzneimittelbestell- und -abholstellen außerhalb der Apothekenbetriebsräume zu unterbinden, als verfassungswidrig bezeichnet. Kritikern dieser Politik wurde mit viel Schaum vor dem Mund vorgeworfen, der ABDA in den Rücken zu fallen. Inzwischen scheint man sich endlich eines Besseren besonnen zu haben. Auf der ABDA-Pressekonferenz zum Apothekertag war sogar von einem Strategiewechsel die Rede.

In der Tat hatte die ABDA-Alles-oder-nichts-Politik in der Pick-up-Frage von Anfang an viele Schwachstellen: So würde auch ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel Pick-up-Stellen für OTC-Medikamente unangetastet lassen. Gerade im OTC-Bereich aber gewinnt der Versandhandel (und damit Pick up) zunehmend an Bedeutung. Sein Anteil beträgt dort inzwischen rund 10 Prozent. Auch gerät, wer meint, Pick up nur mit einem Versandverbot beikommen zu können, zwangsläufig in Argumentationsnöte, wenn er aufgrund fehlender parlamentarischer Mehrheiten schließlich doch für ein Pick-up-Verbot eintritt. Jetzt könnte sich rächen, dass die ABDA – ohne Not – in der Vergangenheit ihr rechtliches Pulver verschossen hat. Und schließlich: Mit ihrer Verweigerungshaltung hat die ABDA viel Zeit verloren, in der bei Pick-up-Betreibern sukzessiv Besitzstände entstanden sind.

Das Zögern der ABDA ist umso unverständlicher als schon seit geraumer Zeit konkrete Gesetzesvorschläge vorliegen, u. a. vom früheren Leiter der ABDA-Rechtsabteilung Professor Hilko J. Meyer. Sie zeigen auf, wie ein Pick-up-Verbot verfassungsfest umgesetzt werden kann und wurden sowohl in der DAZ als auch in der juristischen Fachpresse publiziert (vgl. DAZ 2009, Nr. 7, S. 647; vgl. auch Hofmann, DAZ 2009, Nr. 19, S. 2152) . Auch ein eigens von der ABDA in Auftrag gegebenes, freilich nie veröffentlichtes Gutachten des Verfassungsrechtlers Professor Rüdiger Zuck bestätigt die Verfassungsmäßigkeit eines Pick-up-Verbots. Warum also das Zögern? Natürlich bleibt bei jeder gesetzgeberischen Initiative ein verfassungsrechtliches Restrisiko. Aber darf man deshalb die Hände in den Schoß legen? Leider ließ die ABDA-Spitze auch in München offen, welche konkreten Schritte sie zu unternehmen gedenkt, um jetzt endlich die Gesundheits- und Rechtspolitiker zu unterstützen, die ihren Auftrag im Koalitionsvertrag ernst nehmen. Zwei Jahre Stillstand sind genug. Die Zeit drängt.


Christian Rotta

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